Wie privat sind Chats am Handy?
Beweismittel. Handys sind ein unerschöpflicher Quell strafrechtlicher Ermittlungen. Die Polizei darf mehr, als vielen bewusst ist.
Wien. Die Chats im Vorfeld der Bestellung von Thomas Schmid zum Öbag-Chef haben nicht nur ein Schlaglicht darauf geworfen, wie höchstrangige Bestellungen im staatsnahen Bereich erfolgen. Es ist auch einiges über die persönliche Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern bekannt geworden. Wo verläuft die Grenze zwischen öffentlich und privat?
1 Wann darf die Kriminalpolizei mir mein Handy abnehmen?
Alles, was aus Beweisgründen erforderlich erscheint, um gerichtliche Straftaten aufzuklären, darf die Kriminalpolizei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft mitnehmen. Ursprünglich war diese Befugnis für simple Gegenstände wie Tatwaffen gedacht; sie gilt aber eben auch für Handys, bei denen selbst dem Besitzer meist nicht bewusst ist, was alles darauf gespeichert ist. Die aggregierte Information nimmt für Georg Krakow, ehemals Staatsund jetzt Rechtsanwalt, problematische Dimensionen an. Sie erinnern ihn an die – als verfassungswidrig aufgehobene –Vorratsdatenspeicherung: Zwar werden hier nicht auf staatliche Anordnung, sondern freiwillig Informationen gesammelt; ein schrankenloser Zugriff der Behörden könnte aber ebenfalls das Grundrecht auf Schutz des Privatlebens verletzen.
2 Können die Behörden Sperren des Handys überwinden?
Hier muss zwischen dem Verdächtigen und Dritten unterschieden werden. Letztere sind zur Mitwirkung an der Aufklärung von Straftaten verpflichtet und können mit Beugestrafen gezwungen werden, ihr Handy zu entsperren. Sich selbst belasten muss hingegen niemand. Eine passive Mitwirkung des Verdächtigen am Entsperren wird aber als zulässig angesehen: etwa, indem die Polizei den Finger des Betroffenen an den Fingerprint-Leser hält. Dazu mit dem Betroffenen zu raufen, ginge aber zu weit, sagt Susanne Reindl-Krauskopf, Vorständin des Instituts für Strafrecht der Uni Wien. Auch seinen Pincode muss er nicht verraten. Die Polizei darf aber selbst Sperren knacken.
3 Welche Daten darf die Polizei auswerten? Auch Zufallsfunde?
Die Sicherstellung muss der Aufklärung einer bestimmten Straftat dienen. Alle Daten, die auf dem Handy gespeichert sind und den Verdacht erhärten oder entkräften, können verwendet werden; Ingeborg Zerbes, Institutskollegin von Reindl-Krauskopf, vergleicht das Handy mit einer Truhe, in der schriftliche Unterlagen gefunden werden; auch diese dürfen allesamt verwertet werden. Nun können sich bei der Suche auch Hinweise auf ganz andere Straftaten finden: sogenannte Zufallsfunde oder, im Ermittlerjargon, „Beifang“. Auch der darf nicht nur, sondern muss verwendet werden, weil die Strafverfolgungsbehörden dem Legalitätsprinzip verpflichtet sind. Das Handy wird damit, wie die vielen Ermittlungen im Gefolge der Ibiza-Affäre gezeigt haben, zu einer unerschöpflichen Quelle möglicher Strafverfahren. Informationen, die mit der Strafrechtspflege nichts zu tun haben – z. B. über den Gesundheitszustand – dürfen jedoch nicht zum Akt genommen werden. Die Grenze ist nicht immer leicht zu ziehen; die „Beziehungskultur“kann auch strafrechtlich relevant sein, meint Zerbes.
4 Darf über das Handy auch laufende Kommunikation verfolgt werden?
Nicht im Wege der Sicherstellung. Denn nun wechselt man vom Gegenstand zur Kommunikationsüberwachung. Und die ist an strengere Voraussetzungen geknüpft: Es muss, erläutert Reindl-Krauskopf, um ein Vorsatzdelikt mit einer mehr als einjährigen Strafdrohung gehen, ein dringender Tatverdacht bestehen, eine richterliche Bewilligung vorliegen. Rühmt sich ein Verdächtiger, dass er im Supermarkt einen teuren Wein hat mitgehen lassen, so darf das Beweismittel für Diebstahl nicht verwendet werden: Denn auf den stehen in diesem Fall maximal sechs Monate Haft. Gäbe es jedoch Hinweise auf einen Mord, dürften sie sehr wohl verwendet werden.
5 Dürfen Medien Chats veröffentlichen? Und wo ist die Grenze?
Die Grenze ziehen § 7 Mediengesetz und § 77 Urheberrechtsgesetz (Briefschutz), wie Thomas Höhne, Rechtsanwalt und Experte für Persönlichkeitsrechte, erklärt. Gleich vorweg: Übertreten sieht er diese aktuell nicht. Das Mediengesetz schütze vor Bloßstellung im höchstpersönlichen Lebensbereich, um den sei es aber hier nie gegangen, sondern „immer um den beruflichen Bereich, zudem im Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben“. Auch der Briefschutz schützt vertrauliche Aufzeichnungen nur, wenn es ein berechtigtes Interesse gibt. Bei der Abwägung spielen nicht nur der Inhalt, sondern auch die Bekanntheit des Verfassers eine Rolle: „Es gibt ein legitimes öffentliches Interesse wie eine solche Jobbesetzung zustande kommt“, sagt Höhne zu den ÖbagChats. Ob die Inhalte der Chats rechtswidrig sind oder nicht, spielt keine Rolle.
6 Welche Informationen bekommt der Untersuchungsausschuss?
Maßstab ist der Beweisbeschluss bei der Einsetzung des U-Ausschusses. Alle Behörden, die vom Untersuchungsgegenstand betroffen sind, müssen diesem entsprechend vollständig Akten und Unterlagen vorlegen. Aktuell sind 19 Stellen und Einrichtungen vorlagepflichtig, u. a. das Justizministerium. Dabei ist, so entschied der Verfassungsgerichtshof jüngst, alles von politischer Relevanz vorzulegen. Ausnahmen sind möglich – etwa wenn Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gefährdet würden. Auch rein private Dokumente dürfen nicht vorgelegt werden, sagt U-Ausschuss-Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl. Allerdings gebe es auch vermischte Dokumente – und hier sieht Pöschl derzeit ein Problem: Als Verfahrensrichter sei es seine Aufgabe, die Person, die vernommen wird, in ihrem privaten Recht zu schützen, aber: „Wenn die Informationen schon in den Medien sind, bevor ich eine Beurteilung vornehmen kann, ob eine Verletzung der Privatsphäre vorliegt, kann ich das nicht mehr.“Dann könne er nur mehr im Nachhinein feststellen, zu welchen Punkten der Befragte nicht antworten müsse. Gab es Fälle, wo er entschieden hätte, dass Informationen nicht bekannt werden sollen? Ja, sagt er. Beispiele könne er aber als Verfahrensrichter mit Äquidistanz zu allen Parteien nicht nennen.