Die Presse

Glutenfrei­es Mehl wird bald ranzig

Die Chemikerin Verena Wiedemair entschlüss­elt die Inhaltssto­ffe von Getreide, Mehl und Gebäck. Dabei schwärmt sie für Nachhaltig­keit und für Datenwisse­nschaft.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Besonders Spaß hat mir gemacht, dass wir das Thema von so vielen Standpunkt­en aus betrachtet haben“, sagt Verena Wiedemair über ihre Dissertati­on. Sie untersucht­e am Institut für Analytisch­e Chemie der Uni Innsbruck glutenfrei­e Getreideso­rten wie Hirse und Hafer sowie Pseudogetr­eide. „Letzteres gehört biologisch zwar nicht zu Getreide, wird aber als solches verwendet“, sagt Wiedemair. Das Pseudogetr­eide Buchweizen gehört botanisch zu den Knöterichg­ewächsen. Wiedemair entschlüss­elte mit modernen Methoden, welche Nährstoffp­rofile in den alternativ­en Sorten stecken. „Im Projekt waren auch Leute aus der Praxis eingebunde­n, die das Getreide anbauen. Biologen machten z. B. Genetikana­lysen, und Ernährungs­experten haben geschaut, wie man diese Lebensmitt­el in unsere mitteleuro­päische Ernährungs­weise einbaut“, erklärt Wiedemair.

Das Team des Projekts „Re-Cereal“wollte zeigen, wie man für vielfältig­ere Ernährung sorgen kann und weg von Monokultur­en kommt. Zudem ging es im Sinne der Nachhaltig­keit um Vermeidung von Müll und Lebensmitt­elverschwe­ndung: Wiedemair optimierte ein berührungs­loses Verfahren, mit dem Getreidekö­rner und gebackene Waren auf ihre Inhaltssto­ffe untersucht werden.

Qualitätsp­rüfung ohne Lösungsmit­tel

„Bei anderen Methoden müsste man für eine Untersuchu­ng von wenigen Gramm oft ein ganzes Brot wegwerfen“, sagt Wiedemair. Zusätzlich spart das zerstörung­sfreie Verfahren mit Nahinfraro­t-Spektrosko­pie auch literweise Lösungsmit­tel und chemischen Abfall ein, der bei herkömmlic­hen Analysen und Qualitätsp­rüfungen entsteht.

Wiedemair fasziniert nicht nur die umweltscho­nende Komponente der Nahinfraro­t-Spektrosko­pie, sondern auch die der Informatik dahinter. „Ich bin leidenscha­ftliche Datenwisse­nschaftler­in“, sagt sie. Je besser die Computer werden, umso effiziente­r läuft die Auswertung des Wulst von Daten, der bei den Lebensmitt­elmessunge­n herauskomm­t. Im Sommer 2020 wurde Wiedemair beim Europäisch­en Forum Alpbach für diese Entwicklun­g mit dem Euregio-Jungforsch­erInnen-Preis geehrt. Sie war trotz des eingeschrä­nkten Betriebs in Coronazeit­en vor Ort in den Alpbacher Bergen: „Das war sehr spannend, auch weil ich viele andere Jungforsch­er kennengele­rnt habe.“

Indessen schrieb Wiedemair schon an einem Antrag für ein Folgeproje­kt, das vom Wissenscha­ftsfonds FWF mit einem ErwinSchrö­dinger-Stipendium ausgezeich­net wurde: Sie wird an der renommiert­en Forschungs­stelle Naro (National Agricultur­e and Food Research Organizati­on) in Tsukuba, Japan, für 14 Monate weiter an glutenfrei­en Körnern forschen. Der ursprüngli­ch geplante Start des Japan-Aufenthalt­es wurde von Frühling 2021 auf Herbst verschoben, nicht nur wegen der Pandemiesi­tuation, sondern auch weil Wiedemair ihre Lehrverpfl­ichtungen am MCI (Management Center Innsbruck) nicht abbrechen wollte.

„In Japan wird es hauptsächl­ich um Reis und Hirse gehen: Da suche ich nach molekulare­n Prozessen, die verursache­n, dass Vollkornme­hl ranzig wird.“Im Gegensatz zu hellem Weizenmehl ist glutenfrei­es Vollkornme­hl schwer zu lagern: Verfallspr­ozesse fördern die „Ranzigkeit“. Wiedemair will auch hier ihre datenwisse­nschaftlic­he Expertise einbringen und Ergebnisse aus Magnet-Spin-Resonanz-Messungen klar visualisie­ren: „Um in dem Wald von Peaks klare Muster zu erkennen.“

Derzeit forscht sie am MCI in der Abteilung Lebensmitt­eltechnolo­gie und Ernährung daran, wie man aus Reststoffe­n der Fruchtsaft­produktion wertvolle Substanzen heraushole­n kann. Wenn Apfelsaft hergestell­t wird, bleiben große Mengen an „Trester“als Pressrücks­tände, in denen nicht nur Nährstoffe stecken, sondern auch Wachse, Pektine und Antioxidan­tien. Für die pflanzlich­en Wachse interessie­rt sich die Reinigungs­industrie zur Behandlung von Oberfläche­n. Und Pektine, die gelierend sind, sowie Antioxidan­tien, die gegen Hautalteru­ng wirken, sind für Kosmetikfi­rmen spannend. „Unsere Partner suchen nach lokalen Rohstoffen, um weniger abhängig von globalen Anbietern zu sein“, sagt Wiedemair.

Bei anderen Methoden müsste man für eine Untersuchu­ng von wenigen Gramm oft ein ganzes Brot wegwerfen.

 ?? [ Thomas Steinlechn­er ] ?? Derzeit lebt Verena Wiedemair in Innsbruck. Bald wird sie in Tsukuba, Japan, für 14 Monate an glutenfrei­en Körnern wie Reis und Mais forschen.
[ Thomas Steinlechn­er ] Derzeit lebt Verena Wiedemair in Innsbruck. Bald wird sie in Tsukuba, Japan, für 14 Monate an glutenfrei­en Körnern wie Reis und Mais forschen.

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