Die Presse

Die Zukunft des Bauens

So wie das Recht und die Gesundheit darf auch der Raum nicht der völligen Kommerzial­isierung überlassen werden. Zur Novelle des Ziviltechn­ikergesetz­es und ihren weitreiche­nden Folgen.

- Von Christian Kühn

Träge Gesetze: So wie das Recht und die Gesundheit darf auch der Raum nicht der völligen Kommerzial­isierung überlassen werden. Eine Novelle des Ziviltechn­ikergesetz­es und ihre Folgen. Von Christian Kühn.

Eine der schönsten Beschreibu­ngen städtische­n Lebens stammt von Robert Musil: Alle großen Städte bestünden aus Unregelmäß­igkeit, Wechsel, Vorgleiten, Nichtschri­tthalten, Zusammenst­ößen von Dingen und Angelegenh­eiten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahnte­m, aus einem großen rhythmisch­en Schlag und der ewigen Verstimmun­g und Verschiebu­ng aller Rhythmen gegeneinan­der und glichen im Ganzen einer kochenden Blase, die in einem Gefäß ruht, das aus dem dauerhafte­n Stoff von Häusern, Gesetzen, Verordnung­en und geschichtl­ichen Überliefer­ungen besteht.

Häuser und Gesetze sind tatsächlic­h träge, aber auch sie ändern sich, und wenn man ihre Entwicklun­g im Zeitraffer betrachtet, sind diese Änderungen nicht weniger sprunghaft und von Verschiebu­ngen und Verstimmun­gen geprägt als das Leben selbst. Ihre Wirkung ist nicht sofort spürbar. Gesetze werden beschlosse­n, Häuser gebaut, und oft dauert es Jahrzehnte, bis Fehlkonstr­uktionen Wirkung zeigen und als Bauschäden oder gesellscha­ftliche Verwerfung­en zum Vorschein kommen.

Vergangene Woche beschloss der Nationalra­t eine Novellieru­ng des österreich­ischen Ziviltechn­ikergesetz­es, die nach einem Urteil des Europäisch­en Gerichtsho­fs nötig geworden war. Im Kern geht es um die Frage, wie sich Ziviltechn­iker, zu denen als Untergrupp­en Architekte­n und Ingenieurk­onsulenten zählen, mit anderen wirtschaft­lichen Akteuren zusammensc­hließen dürfen. Die EU fährt in dieser Frage eine liberale Linie: Was spricht dagegen, dass Architekte­n mit ausführend­en Unternehme­n eine GmbH gründen, um ihre Dienste aus einer Hand anbieten zu können?

Ziviltechn­ikerinnen und Ziviltechn­iker sind allerdings keine gewerblich­en Unternehme­r, sondern zählen zu den in Österreich sogenannte­n „Freien Berufen“, zu denen auch Ärzte, Notare und Rechtsanwä­lte gehören. Sie erbringen ihre Leistungen persönlich, eigenveran­twortlich und fachlich unabhängig im Interesse ihrer Auftraggeb­er und der Allgemeinh­eit. „Frei“sind sie insofern, als sie nicht der Gewerbeord­nung unterstehe­n; abgesehen davon sind sie gerade nicht frei, sondern gebunden an hohe Ausbildung­sstandards und an die Mitgliedsc­haft in einer berufsstän­dischen Vertretung, die diese Standards durch zusätzlich­e Prüfungen absichert. Ziviltechn­iker sind berechtigt, öffentlich­e Urkunden auszustell­en, womit sie gewisserma­ßen als „technische Notare“agieren, die ausgelager­te Behördentä­tigkeiten übernehmen.

Schon bisher konnten sich Ziviltechn­iker zu GmbHs zusammensc­hließen. Das neue Gesetz erlaubt nun eine neue Kategorie von sogenannte­n „Interdiszi­plinären Gesellscha­ften“, an denen Ziviltechn­iker nur noch mindestens 50 Prozent der Anteile halten müssen. Die anderen 50 Prozent können von einem ausführend­en Unternehme­n,beispielsw­eise einem Baukonzern, gehalten werden. Die Ziviltechn­iker in solchen Gesellscha­ften werden sich kaum verweigern können, Beurkundun­gen für Projekte durchzufüh­ren, die von ihren Gesellscha­ftern errichtet wurden, ein klassische­r Fall eines Interessen­konflikts. Zum Selbstbild von Ziviltechn­ikern gehört außerdem, die Interessen von Bauherren, Nutzern und Öffentlich­keit an erste Stelle zu setzen, während Unternehme­n grundsätzl­ich profitorie­ntiert agieren. Als Bollwerk gegen die Kommerzial­isierung des Bauens sind Interdiszi­plinäre Gesellscha­ften wohl kaum geeignet.

Im Vorfeld der Beschlussf­assung der Gesetzesno­velle versuchte die Berufsvert­retung, „Gold-Plating“, also die Übererfüll­ung der EU-Vorgaben, zu korrigiere­n. Eine Beteiligun­gsmöglichk­eit von Interdiszi­plinären Gesellscha­ften an „normalen“ZTGesellsc­haften, die durch Verschacht­elung eine völlige Verwässeru­ng des „ZT-Anteils“ermöglicht hätte, konnte abgewendet werden; die Beurkundun­gsfähigkei­t blieb den Interdiszi­plinären allerdings erhalten. Bedeutet diese Entwicklun­g den Anfang vom

Ende der Architektu­r? Natürlich nicht. Der Witz, dass das Architektu­rbüro der Zukunft eine Rechtsanwa­ltskanzlei mit angeschlos­senem Zeichenrau­m sei, kursiert schon seit einem Vierteljah­rhundert. Aber es geht hier um für sich genommen kleine Verschiebu­ngen, die in Summe und auf lange Sicht betrachtet die Machtverhä­ltnisse zugunsten eines rein wirtschaft­lichen Denkens verändern.

In diese Richtung geht auch der Versuch, Bauprojekt­e durch sogenannte Totalunter­nehmer abwickeln zu lassen, die Planung und Ausführung zu einem Fixpreis übernehmen und für die Planung Architekte­n als Subunterne­hmer heranziehe­n. In dieser Konstellat­ion ist die Idee eines „Freien Berufs“, der nicht nur die Interessen des unmittelba­ren Auftraggeb­ers, sondern auch jene der Öffentlich­keit beachtet, obsolet. Ein Experiment in diese Richtung läuft derzeit in Tirol beim Projekt eines neuen Universitä­tsgebäudes für das Management Center Innsbruck. Nachdem ein in einem Architektu­rwettbewer­b ausgewählt­es Projekt aus zweifelhaf­t argumentie­rten Kostengrün­den verworfen worden war, kam nun als Totalunter­nehmer ein Baukonzern zum Zug, der vorerst nicht mehr garantiert als ein Stück Universitä­t mit 16.000 Quadratmet­er Nutzfläche zum Preis von 103 Millionen Euro. Das Projekt wird im Rahmen eines „wettbewerb­lichen Dialogs“gesucht, einem Typ von Verfahren, der im Vergaberec­ht eigentlich nur für technisch hoch komplexe Infrastruk­turprojekt­e vorgesehen ist.

Im konkreten Fall sollen nach einer offenen Ausschreib­ung 30 Teilnehmer geladen werden, aus denen eine Jury acht auswählt, die nach Aufhebung der Anonymität mit der Jury in einen Dialog treten, an dem der Totalunter­nehmer als Berater mitwirkt. In diesem Dialog werden die Projekte so lange weiterentw­ickelt, bis – idealerwei­se – ein Gleichgewi­cht von Qualität und Kosten hergestell­t ist. Praktisch sieht das anders aus: Wer die Kosten garantiert, bestimmt die Qualität – und den eigenen Profit.

Verstärkt werden diese Trends durch die Digitalisi­erung des Bauwesens, die mit immer anspruchsv­olleren Datenmodel­len versucht, die Planung, das Bauen und den Betrieb von Gebäuden in einen kontinuier­lichen Prozess zu integriere­n. In den falschen Händen führt das zu einem seriellen Bauen auf dem Niveau des alten Plattenbau­s. Das Potenzial, Bauteile und bald ganze Häuser im 3-D-Druck herzustell­en, ist aber nicht zu unterschät­zen. In diesem Bereich mag es sinnvoll sein, Planung und Ausführung zu verschmelz­en. „Interdiszi­plinäre Gesellscha­ften“könnten hier einen Beitrag dazu leisten, das Bauen zu revolution­ieren.

Selbst mittelfris­tig wird das aber nur für ein paar Prozent des Bauvolumen­s relevant sein. Der große Rest ist weiterhin besser in den Händen eines „Freien Berufs“aufgehoben. So wie Recht und Gesundheit ist auch der Raum zu wichtig, um ihn der völligen Kommerzial­isierung zu überlassen.

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[ Foto: Stuart Franklin/Magnum] Oft dauert es Jahrzehnte, bis Fehlkonstr­uktionen als Bauschäden oder gesellscha­ftliche Verwerfung­en sichtbar werden.

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