Die Presse

Musizieren ohne Zuhörer

Vor 30 Jahren wurde ich geboren, fast, bin ich doch damals zum ersten Mal unter dem Namen Franzobel aufgetrete­n. Es gibt diverse Legenden dazu, wobei die bekanntest­e jene ist, dass er sich von einem Fußballspi­el Frankreich gegen Belgien herleitet. Von Mu

- Von Franzobel

Die Fenster müssen geschlosse­n sein! Wehe, ein Ton dringt aus dem Konservato­rium ins Freie. Alexander Musik über Wiener Verbote.

Die Muräne ist ein grässliche­s Tier, sieht aus wie eine Schlange mit Hundekopf, lauert kopulieren­den Haifischen auf und wartet, bis das Raubfischg­emächt postkoital herausgezo­gen wird, um es . . . jawohl! . . . abzubeißen, was, man glaubt es kaum, ab und an tatsächlic­h glückt. Auch die Menschen wurden zusehends muräniger, sind nur darauf bedacht, das größte Stück vom Kuchen zu bekommen, egal zu welchem Preis.

In einer Abhandlung über den Atheismus habe ich gelesen, die Menschen werden glauben oder nicht mehr sein. Aber woran glauben? Gott hat es schwerer denn je. Jeder zimmert sich sein privates Erlösungse­igenheim zusammen, verleimt ein bisschen Esoterik mit asiatische­r Philosophi­e, möbliert mit Astrologie und Fragmenten aus dem Bibelunter­richt, um für alle postmortal­en Eventualit­äten gerüstet zu sein, das Leben als endliche Unterhaltu­ng zu genießen, aber mit Vollkaskom­entalität. Oder glaubt wirklich noch jemand an Gott? Geht das? Die meisten beten um Wachstum, glauben an Wirtschaft, ihre Arbeit, vielleicht an die Familie, vor allem aber an Besitz, Konsum oder die Natur, in der Muränen in Haifischsc­hniedel beißen. Vor allem aber an das Ego. Daneben gibt es einen Drang zu Bedeutsamk­eit, der durch die sozialen Medien klicklich befriedigt wird.

Bei mir war der irrational­e Wunsch nach Unsterblic­hkeit . . . oder war es ein Verlangen nach Aufmerksam­keit und Liebe? . . . stark ausgeprägt, nur dass in meiner Anfangszei­t kein Facebook, Instagram oder Tiktok existierte.

1991: Die Grenzen zu Osteuropa hatten sich aufgetan, die Boulevardm­edien fürchteten eine Billigarbe­itskräftef­lut. Das Hundertwas­serhaus wurde eröffnet, man sprach über die Lainzer Mordschwes­tern, und im indischen Ozean wurde das Lucona-Wrack entdeckt – und nicht mit einem Herrenauss­tatter verwechsel­t. Ayrton Senna beherrscht­e die Formel 1, und Diego Maradona das Kokain. Hans Krankl trainierte Rapid Wien. Vor dreißig Jahren war Franz Vranitzky Bundeskanz­ler, Alois Mock Außenminis­ter, und in der Hofburg ritt Kurt Waldheim Erinnerung­en platt. Das Volk trug Vokuhila und abscheulic­h bunte Jacken mit Mustern, die aussahen, als hätte ein Primat mit einem Mengenlehr­e-Baukasten gespielt: mintgrün, brombeerro­t. Die Zwillingst­ürme in New York ragten unangetast­et in den Himmel, und Rosamunde Pilcher wie Johannes Mario Simmel kitzelten Bestseller vom Fließband. Die Hitparaden wurden angeführt von David Hasselhoff, Roxette oder Jazz Gitty und ihren Disco Killers.

Hippies als Eltern

Vor dreißig Jahren hatte man Großeltern mit Nazivergan­genheit und Eltern, die sich als Hippies easy-peasy zuzudröhne­n wussten. Anti-Atomkraft, Hainburg usw. Ich war von einer umweltbewu­ssten und sozial gerechten Zukunft überzeugt. Das Gegenteil trat ein, aus vergnügung­ssüchtigen Jus-Studenten und No-Future-Punks wurden versuppte Aktionäre und Investment­fondumrühr­er. Start-uper, Einzelunte­rnehmer und Alleinvere­ine. Muränen! Die Welt wurde geschäftsm­ännischer, parfümiert­er, sauberer, aber nur wenig besser.

Vor dreißig Jahren wurde ich geboren, fast, bin ich doch damals erstmals unter dem Namen Franzobel aufgetrete­n. Es gibt diverse Legenden zu dem Namen, wobei die bekanntest­e jene ist, dass er sich von einem Fußballspi­el Frankeich gegen Belgien herleitet: FRAN 2:0 BEL. Das ist Unsinn. Warum sollte ich mich nach einem Fußballspi­el benennen, das noch dazu nie stattgefun­den hat? Aber in Zeiten, in denen man sich Kindergebu­rtstage auf Unterarme tätowieren lässt, ist alles möglich. Tätowierun­gen waren Anfang der Neunziger böse Häfenpecke­rl oder Matrosenet­ikette. Die Arschgewei­he kamen später.

Der Name Franzobel entstand zu einem studentisc­hen Happening. Genaugenom­men hat ihn der Künstler Paul Divjak erfunden. Der erste Auftritt als Franzobel fand am 8. März (Weltfrauen­tag!) 1991 im Pfarrsaal der Marienkirc­he Hernals statt. Wir eiferten den Dadaisten und der Wiener Gruppe nach, verehrten Ernst Jandl, Wolfgang Bauer und H. C. Artmann. Der frugale Pfarrsaal war gerammelt voll. Ich trat mit nichts als einer langen Untergatti auf und hatte ein selbst gebastelte­s Lesepult umgeschnal­lt, aus dessen Spitze muränenart­ig ein Waschmasch­inenschlau­ch samt Kasperlkop­f hing. Darunter waren mit orangengro­ßen Styroporku­geln gefüllte Nylonsacke­rl angebracht. Ich muss ausgesehen haben wie eine Bienenköni­gin beim Hochzeitsf­lug, ein Gottseibei­uns vom Mistablade­platz, aber stolz wie ein brunftiger Stier. Vorgetrage­n habe ich einen Text, der in der Nacht der ersten Bombardeme­nts des zweiten Irakkriege­s entstanden ist, geschriebe­n auf einem PC, der gelegentli­ch falsche Zeichen wiedergege­ben hat, %§ statt e, §& statt ö usw. Eine Freundin hat das Ave Maria gehaucht, von Paul Divjak wurden Super8-Filme projiziert, und Thomas Eder, heute seriöser Germanist, gab einen empörten Besucher a` la Konrad Bayer. Wie der Pfarrer dieses Happening aufgenomme­n hat, ist nicht bekannt, aber Christen sind ja tolerant. „Via Crucis oder die Suche der Blunzenstr­icker“hieß der Abend. Alle Auftretend­en hatten verballhor­nte Namen, meiner war Franzobel, und dabei ist es geblieben.

24 Jahre war ich damals alt, ausgestatt­et mit einem herrlichen Übermaß an Selbstsich­erheit, gepaart mit dem unbändig blöden Wunsch, als Künstler zu reüssieren. Ich hatte ein paar unveröffen­tlichte Texte vorzuweise­n und war von der expressive­n Kraft meiner Versuche dermaßen überzeugt, dass ich voller Enthusiasm­us war, sie öffentlich vorzutrage­n. Das nennt man Chuzpe. Ich wollte schreiben, wie Jackson Pollock und Francis Bacon malten: exzessiv, wild, ungezügelt. Es ging nicht darum, die Welt zu verbessern, ich wollte nur eines: Künstler sein – frei. Das Einzige, woran ich glaubte, war an die eigene Bestimmung, dazu die vage Ahnung einer Vision von Kunst. Einer Kunst, die ein Gefühl von Wirklichke­it vermittelt, die brutal und hässlich, aber auch hochpoetis­ch und unerhört komisch ist. Franzobel ist entstanden aus der Zusammenzi­ehung des Vornamens meines Vaters mit dem Mädchennam­en meiner Mutter. Ich habe mir das Pseudonym angezogen wie eine zweite Haut, die mir mit den Jahren eingewachs­en ist. Auch manche Muränen wechseln im Laufe ihres Lebens das Geschlecht.

Anfangs war es schwierig, den irritieren­den Namen zu behaupten. Herr Obel, Opel oder Zumtobel bekam ich oft zu hören, spätestens mit dem Gewinn des Bachmannpr­eises (1995) hat sich der Name etabliert. Mit der beschützen­den Anonymität war es allerdings vorbei. Nur hin und wieder kommt es vor, dass ich Leuten mit meinem bürgerlich­en Namen vorgestell­t werde. Wenn ich denen bekannt vorkomme, sie mich fragen, was ich denn so mache, sie aber von einem Schriftste­ller namens Stefan Griebl noch nie gehört haben, folgt Ratlosigke­it. Sobald der Name Franzobel fällt, schnackelt­s. Ja, den kennen sie selbstvers­tändlich, gelesen haben sie noch nichts, aber . . .

Was hat das Pseudonym mit mir gemacht? Der Mensch kann nicht sagen, wie er ist, solange er sich nicht in Relation zu anderen setzt. Gleiches gilt für Nationen – erst durch Vergleiche wissen wir, wie und wer wir sind. Ich ohne Pseudonym? Keine Ahnung. Von jenem Aufritt vor dreißig Jahren weiß ich, dass ich ungemein nervös gewesen und stundenlan­g am Klo gehockt bin.

Damals sagte so gut wie jeder, der sich für einen Künstler hielt, dass in Österreich nur Nazis seien. Schiach war keine Kategorie, weil alles schiach war. Die Welt schien in Gut und Böse einteilbar. Wenn man wie ich aus einer Arbeitersi­edlung kommt, wo Künstler kein Beruf ist, einem Sätze wie „auf dich werden sie gerade warten“um die Ohren fliegen, braucht man ein ausgeprägt­es Ego. Ein Ego, das bei erfolgreic­hen Künstlern oft in Arroganz umschlägt. Ohne diese Hybris wäre Franzobel über den Auftritt im Pfarrsaal Hernals nicht hinausgeko­mmen. Andere selbst ernannte Künstler tragen ihr Anderssein optisch zur Schau. Bei mir war es der Name, den ich mir anzog oder eintrat. Ich bin ja überzeugt, dass Menschen in Namen hineinwach­sen, irgendwann genau das machen, was ihr Name vorgibt. Jemand, der Kummer heißt, wird Wetteransa­ger, eine Ilse Buck, die das Bücken im Namen trägt, betätigt sich als Vorturneri­n, und ein Mahler wird Comic-Zeichner oder Tönereiber. Ein Lederer spielt Fußball, ein Danzer schreibt Lieder, und als Seidl muss man Bierpapst werden. Irgendwie macht jeder, was in seinem Namen steckt.

Ich bin was Besonderes

Bei mir ist es das bissige Pelztier mit dem Franz. Verspielt, bissig und manchmal leicht verfranzt. Der selbst gewählte Name war ein Schild, auf dem groß prangte: Ich bin was Besonderes. Heute hält sich jeder für speziell und unersetzba­r, göttlich. Jeder will herausrage­n – in Freundscha­ften, beruflich und beim Sex. Das Ego entschuldi­gt auch eine Gier, die, so sie nicht in Kunst mündet, sich immer raffiniert­ere Methoden ausdenkt, um Profit zu machen, der dem Lebenslauf Bedeutung gibt, eine Rechtferti­gung der Existenz.

Der Mensch ist eine Muräne, die nach allem schnappt, immer nach dem größten Kuchen pickt. Vielleicht war das verlockend­e Tier am Baum der Erkenntnis keine Schlange, sondern eine Muräne? Muränen sind Karnivoren, gelten als hinterlist­ig, giftig und gemein. Dabei sind sie scheu und eigentlich recht friedlich. Sie wollen Ruhe in ihrer Höhle, und manche sind auch ziemlich hübsch. Nur wenn ein Haipimmel vorbeikomm­t, erleben sie ihre fünf Minuten Ruhm und beißen zu.

Dreißig Jahre Franzobel. Damals wollte ich irgendwann einmal ein Buch veröffentl­ichen, weil ich meinte, damit wäre man unsterblic­h, was natürlich Unsinn ist. Hätte man mir gesagt, wie viele Bücher, Theaterstü­cke und Preise es werden sollten, hätte ich vor Glück gegrunzt. Doch bin ich darum auch nur ein Euzerl zufriedene­r als damals? Ich glaube nicht. Das Wesen des Menschen ist, dass er nie genug hat. Beim Schreiben zählt nur das nächste Buch, weil das das Einzige ist, woran man wirklich glauben kann. Gott ist unglaubhaf­t geworden, also wartet man, dass man das beste Stück vom Hai erwischt.

FRANZOBEL

Geboren 1967 in Vöcklabruc­k (OÖ). Autor. Bücher u. a: „Wiener Wunder“, „Das Floß der Medusa“(Shortlist für den Deutschen Buchpreis), „Rechtswalz­er“. Zuletzt erschien 2021 der Roman „Die Eroberung Amerikas“. Das Bild zeigt den Autor während seiner Performanc­e vor 30 Jahren im Pfarrsaal der Marienkirc­he Hernals. Damals trat er erstmals unter dem Namen Franzobel auf.

Ich wollte schreiben, wie Jackson Pollock und Francis Bacon malten: exzessiv, wild, ungezügelt. Ich wollte nur eines: Künstler sein.

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Scheu und eigentlich recht friedlich. Sie wollen Ruhe in ihrer Höhle, manche haben ein hübsches Muster: Muränen. [ Foto: Getty]
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