Albaniens Schwarzbauten
Expedition Europa: an der albanischen Riviera. Baulicher Wildwuchs und Schwimmen in einer muschelförmigen Bucht.
Expedition Europa: an der albanischen Riviera. Baulicher Wildwuchs und Schwimmen in einer muschelförmigen Bucht. Von Martin Leidenfrost.
Nichts fasziniert mich an Albanien so sehr wie seine Baupolitik: Einerseits ist da ein geradezu drittweltlicher Wildwuchs, andererseits ein Künstler im Amt des Premierministers, der Tausende Schwarzbauten abreißen ließ, am Kreisverkehr von Kamza persönlich Legalisierungsurkunden ausstellte und die versunkene Aromunen-Metropole Moscopole ganz aus Stein wieder aufbaute. Edi Rama, seit 2011 im Amt, will am 25. April wiedergewählt werden. Albanien hat die momentan wohl liberalste Corona-Politik Europas, also fahre ich wieder an die albanische Riviera.
2015 ließ „Bulldozer-Edi“bei Nacht eine provisorische Kirche in Drimades schleifen, 2016 knöpfte er sich den Hauptort der albanischen Riviera vor, Himara. 18 Gebäude, die einer Verlängerung seiner neuen Strandpromenade mit ihren LED-Lampen und aerodynamischen Holzbänken im Wege standen, bekamen den Räumungsbefehl. Da beides die griechische Minderheit betraf, erreichte das albanisch-griechische Verhältnis einen neuen Tiefpunkt.
Eidechsen auf weißen Wänden
Beim letzten Mal, 2016, stolperte ich im Dunkeln in die griechisch-orthodoxe Strandkapelle von Drimades. Ikonen, brennende Kerzen, Eidechsen auf den weiß gekalkten Wänden. Ein frischer weicher Geruch umfing mich, ich hörte das Meer. Nun ist die Strandkapelle versperrt. In einem Cafe´ am Steilhang hängt der Kampagnen-Wimpel von Trump, „Keep America Great!“, der Barista kommentiert maliziös das Nachrichtenfernsehen. Dort wird auch Edi Rama gezeigt, nachts auf einem fast leeren Platz vor einem farbigen Neubau wahlkämpfend, einsam zuhörend in einen Stuhl versunken, neuerdings mit weißem Bart.
Als ich in Himara einfahre, sind auch dort Stühle in weiten Abständen aufgestellt, auf feuchten Rasenziegeln. Es wird gerade das EU-geförderte „Eco-Museum“eröffnet, schön gemacht mit Sitztruhen, nur dass es kein einziges Ausstellungsobjekt zu sehen gibt. In den aufliegenden Broschüren kommt nichts Griechisches vor.
Unten an der Strandpromenade sehe ich gleich: Die zum Abriss bestimmten Häuser stehen noch. 2016 besuchte ich die Neranxis in ihrem einfachen zimmergroßen Anbau. Der 91-jährige Grieche ruhte in nachtblauem Pyjama und schwarzem Barett auf dem Diwan, seine 87-jährige Frau huschte behände zwischen Katzen umher. Nun sind die Vorhänge zu, auf dem Flachdach liegt ein Haufen schwarzer Äste. Er wäre jetzt 96, sie 92, sie könnten tot sein.
Ganz wenige Touristen in den Promenadencafes.´ Ein alter albanischer Geschäftsmann in Cordhose erklärt die Verschiebung von Phase 2 und 3 der Weltpromenade mit Athens Protesten. Er selbst findet Rama gut, „das Problem von Edi ist, dass er zu wenig Entschädigung zahlt“. Eine griechische Wirtin erzählt, dass nur ein paar Buden am Kreisverkehr abgerissen wurden, „wegen der Proteste“.
Ein junger Auswanderer hat von dem Konflikt noch nie gehört. Eigentlich lebt der Bürger Griechenlands in London, „dort gibts aber jetzt nichts zu tun“, darum lebt er jetzt in Athen, dort gibts auch nichts zu tun, aber es ist wenigstens Athen. Obwohl er nur ein bis zwei Sommerwochen hier ist, hat er ein Haus in Himara: „Ich bin doch nicht blöd und zahle 30 Euro pro Nacht im Hotel!“
Ansonsten schwimme ich in der muschelförmigen Bucht, schwimme an den einfachen weißen Anbau der Neranxis heran. Niemand kann mir sagen, ob sie noch leben. Ich klopfe lieber nicht bei ihnen an.