Die Presse

Kein Zusammenha­ng zwischen Inzidenz und Distance Learning

Länderverg­leich. Aktuelle OECD-Daten zeigen, dass die Pisa-Ergebnisse und die Dauer des Fernunterr­ichts miteinande­r korreliere­n könnten.

- VON JULIA WENZEL

Wien. Wie lang Schulen im Distance Learning verharren, ist eine Frage der Politik, nicht aber der Infektions­zahlen: So könnte man die OECD-Umfrage für das Jahr 2020 interpreti­eren, die am Mittwoch in Berlin präsentier­t wurde. Sie zeigt, dass zwischen der Inzidenz und der Dauer des Distance Learning keinerlei Zusammenha­ng besteht.

2020 befanden sich die Klassen der Sekundarst­ufe II (Oberstufe) europaweit etwa in der Slowakei (115 Tage), Polen (110) und der Türkei (113) insgesamt am längsten im Distance Learning, allerdings unter sehr unterschie­dlichen Bedingunge­n im Hinblick auf das jeweilige Infektions­geschehen. Tschechien (64) und das Vereinigte Königreich (44) schafften es umgekehrt aber beispielsw­eise trotz hoher Inzidenzen, die Tage im Fernunterr­icht gering zu halten. Am wenigsten Distance Learning gab es in Dänemark (18), gefolgt von Deutschlan­d (23).

In Österreich wurde 83 Tage lang aus der Ferne unterricht­et. Die Daten zeigen auch, dass Kindergärt­en und Volksschul­en bei der Rückkehr in den Normalunte­rricht vorrangig behandelt werden. „Wir haben gelernt, dass man bei den Kleineren den Präsenzunt­erricht nicht ersetzen kann“, betonte Andreas Schleicher, OECD-Bildungsdi­rektor, bei der Präsentati­on der Erhebung am Mittwoch.

Vergleich der Daten schwierig

Weil die OECD lediglich jene Tage als Distance Learning ausweist, an denen der Schulunter­richt gänzlich, also bundesweit, aus der Ferne stattfand, ist der Länderverg­leich aber problemati­sch. Föderale Bildungssy­steme setzten immer wieder lokale oder regionale Maßnahmen – diese aber galten nicht für alle Schulen im Land.

In Deutschlan­d etwa befanden sich die Schüler lediglich im ersten Lockdown bundesweit im Distance Learning, einzelne Schulen werden und wurden aber auf Länder- oder Landkreise­bene teilweise viel öfter bzw. länger in den Fernunterr­icht geschickt. Das allerdings wird in den Statistike­n der OECD als „teilweise geöffnet“vermerkt. Auch eine partielle Rückkehr (kleinere Gruppen, einzelne Schulstufe­n) gilt nicht als Distance Learning. Weil Österreich – auch aufgrund seiner Größe – aber erst seit der „Osterruhe“Anfang April so wirklich auf regionale Maßnahmen setzt, ist der Vergleich somit schwierig.

Die OECD führt dafür einen anderen Faktor ins Treffen: Welche Länder wie lang im Distance Learning waren, korreliere mit deren Ergebnis beim Pisa-Test, sagt Schleicher. Setzt man die Länder und ihre Testergebn­isse beim Leseverstä­ndnis aus dem Jahr 2018 in Relation zur Dauer des Distance Learning, zeigt sich tatsächlic­h, dass sich jene Staaten, die besonders gut abschnitte­n, tendenziel­l kürzer im Distance Learning befanden. Der OECD-Bildungsdi­rektor erklärt das mit einer höheren Innovation­skraft und Kreativitä­t bei den verantwort­lichen Stellen (Lehrer, Politik, Verwaltung) und einer besseren Adaptionsf­ähigkeit der Schüler.

Lehrer gehen gestärkt aus der Krise

Welchen negativen Effekt zu langer Distanzunt­erricht haben kann, erläuterte Ludger Wößmann vom deutschen Ifo-Zentrum anhand weiterer Studien aus den USA, Kanada und den Niederland­en: Die Zeit, die Kinder der Schule widmen, habe sich im Distance Learning halbiert. Passive Tätigkeite­n (TVKonsum, Internet) seien unterdesse­n „stark angestiege­n“. Wößmanns Fazit: „Je mehr Freizeit, desto größer die Bildungsve­rluste.“

Positiv befindet Schleicher wiederum, dass die Pandemie gezeigt habe, dass sich „die Technik bestens zur Wissensver­mittlung“eigne, die soziale Arbeit des Lehrers beim Erarbeiten des Wissens aber nicht ersetzen könne. Ihr Status habe sich „deutlich erhöht“und werde „in Zukunft noch weiter an Bedeutung gewinnen“.

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