Lockdown Hürden auf dem Weg
Covid. Noch sind die Intensivstationen voll, das Burgenland rechnet mit zeitverzögerter Entspannung – und öffnet.
Wien. Das von Niederösterreichs Landeshauptfrau viel beschworene „Miteinander“endet ab Montag bei der burgenländischen Landesgrenze. Bisher ging die sogenannte Ostregion bei Coronamaßnahmen im Gleichschritt. Zuletzt hatten Wien und Niederösterreich aufgrund hoher Zahlen die Verlängerung des Lockdowns bis 2. Mai beschlossen. Das Burgenland entschied am Mittwoch, nicht mitzugehen.
Ab Montag öffnen Schulen, der Handel. Auch körpernahe Berufsgruppen dürfen die Arbeit wieder aufnehmen. Das Ganze soll von einer massiven Testinitiative begleitet werden. In allen Betrieben sollen die Mitarbeiter künftig zwei Mal pro Woche getestet werden, ebenso Lehrer. Die Schüler kommen drei Mal dran.
Die Impfungen schritten zügig voran, heißt es aus dem Büro von Hans Peter Doskozil gegenüber der „Presse“. In zwei Wochen sollten alle über 65 Jahren geimpft sein, heißt es. Die Impfbereitschaft sei mit 80 Prozent hoch.
Man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, betonte Doskozil am Mittwoch. Das Burgenland habe bei der SiebenTage-Inzidenz (190) und den täglichen Fallzahlen (zwischen 50 und 70 pro Tag) eine nahezu „perfekte Entwicklung“zu verzeichnen. „Wir sind unter den besten drei Bundesländern, was diese Entwicklung betrifft.“Und dieser Rückgang bei den Zahlen werde sich auch zeitverzögert auf die Auslastung der Normalbetten und danach auch auf die Intensivstationen auswirken, ist er überzeugt.
Noch immer angespannte Situation
Dass die Infektionszahlen im Burgenland derzeit nachhaltig sinken, bestätigt auch Komplexitätsforscher Peter Klimek vom offiziellen Prognosekonsortium. In Bezug auf die noch immer angespannte Lage auf den Intensivstationen sieht er die burgenländische Situation trotzdem kritisch: „Ob es jetzt wirklich verantwortungsvoll ist, dass sich kleine Bundesländer, die wenig Spitzenmedizin haben, darauf verlassen, dass sie von großen Ländern mitversorgt werden, lasse ich einmal dahingestellt.“Im Anlassfall sei dann aber eher die Steiermark als Wien betroffen, da sich die Regionen mit hoher Inzidenz im Süden des Burgenlands befänden. Insofern schätzt er auch das Risiko, dass Wiens Lockdown durch Lockerungen im Burgenland konterkariert werden könnte, als gering ein. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker hatte zuletzt kein Hehl gemacht, dass er mit der hohen Belegung aus anderen Bundesländern unglücklich sei. 21 Prozent der Betten seien mit Nichtwienern belegt. Immerhin seien das Reserven, die für CovidPatienten fehlten.
„Ich entscheide für Wien, Landeshauptmann Doskozil für das Burgenland. Wir beide haben die politischen und gesundheitlichen Konsequenzen für unser Handeln in unseren jeweiligen Bundesländern zu tragen. Grundsätzlich bin ich immer für bundeseinheitliche Regelungen eingetreten und trete auch weiterhin für ein österreichweit einheitliches Vorgehen zur Bekämpfung der Pandemie ein“, sagt Wiens SPÖ-Bürgermeister, Michael Ludwig, zur „Presse“. Niederösterreichs Landeshauptfrau, Johanna Mikl-Leitner, hielt sich mit Wortmeldungen zurück.
Burgenlands Alleingang zeigt auch, dass es zuletzt keine zentrale Maßnahmen-Steuerung mehr auf Bundesebene gegeben hat. Die Öffnungen waren mit Gesundheitsminister Rudolf Anschober nicht abgesprochen. Er soll nicht erreichbar gewesen sein. Auf Beamtenebene zeigt man sich ob des burgenländischen Vorgehens wenig begeistert. Kanzler Kurz und Vizekanzler Werner Kogler, der Anschober vertritt, sagten nach dem Ministerrat am Mittwoch, dass man die Entwicklungen im Auge behalten und wenn notwendig die „Notbremse“ziehen wolle.
Tiroler Öffnungswünsche
Auch Tirol preschte am Mittwoch mit Forderungen nach Öffnungen vor: Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) fordert vor dem Bund-Länder-Gipfel am Freitag Öffnungsschritte im Mai. Klimek hält das für Nordtirol für realistisch. Gerade teilimmunisierte Bezirke wie Schwaz würden eine Perspektive brauchen. Klar sei aber: Sollten regional die Zahlen wieder deutlich steigen, müsse man in den betroffenen Bezirken rasch gegensteuern.
Wir haben mit dem Landeshauptmann gesprochen: Wenn es notwendig ist, wird die Notbremse gezogen.
Kanzler Sebastian Kurz
Die Presse: Sie haben vor Wochen prognostiziert, die Osterruhe werde in einem längeren Lockdown enden. Ist es seither gelaufen, wie Sie das erwartet hatten? Gerald Gartlehner: Ja. Dass sechs Tage nicht reichen werden, war leicht vorhersehbar. Hier hat die Ehrlichkeit der Politik gefehlt. Jetzt haben wir im Osten einen Lockdown, die Zahlen gehen leicht runter, aber das Hauptproblem ist, dass die Intensivstationen stark belastet sind. Wir sollten aus den kommenden Wochen des Lockdowns das Maximum an Wirksamkeit herausholen. Derzeit haben wir in Wien einen Lockdown, aber man merkt davon nicht viel. Es gibt täglich Staus. Da läuft etwas nicht richtig, der Lockdown sollte konsequenter sein.
Wo sehen Sie hier noch Hebel? Der Bereich Home-Office ist einer, den wir ungenutzt gelassen haben. Epidemiologisch wäre verpflichtendes Home-Office ideal, aber das wird politisch nicht gemacht. Aber zum Beispiel ein Aufruf an Arbeitgeber, Home-Office wirklich überall umzusetzen, wo das möglich ist, könnte viel bewirken. Sonst kommen wir in eine Situation wie im Jänner und Februar: Es gibt einen Lockdown, aber er bewirkt nicht wirklich etwas.
Trotzdem sind die Zahlen gesunken, der R-Wert liegt wieder unter eins. Wirkt der Lockdown oder spielen andere Aspekte mit? Da spielen sicher einige Faktoren mit. An den Schulen wird jetzt de facto gar nicht mehr getestet. Ob Osterfeierlichkeiten einen negativen Effekt gehabt haben, werden wir im Laufe dieser Woche sehen. Aber wie man es dreht und wendet: Die Zahlen sind zu hoch, der Mai ist nur zwei Wochen entfernt.
Was muss in diesen zwei Wochen gelingen, damit man verantwortungsvoll öffnen kann?
Das Um und Auf sind die Intensivkapazitäten. Es wäre ein Irrsinn zu öffnen, wenn Intensivstationen voll sind. Wir sollten jetzt zwei Wochen alles versuchen, um die Infektionszahlen so weit es geht zu senken.
Ließe sich ein harter Lockdown noch durchsetzen? Braucht es zum Durchhalten klare Ziele?
Ich glaube, was die Leute wirklich nicht wollen, ist dieser endlose Lockdown-Schlauch, während sich nicht wirklich etwas ändert. Fixe Ziele zu setzen ist schwer, aber was die Intensivstationen betrifft, müssten wir unter die kritische Schwelle von 30 bis 33 Prozent Auslastung durch Covid-Patienten kommen.
Derzeit liegen wir im Osten bedeutend höher. Wie soll sich das in zwei Wochen ausgehen?
Das würde sich in zwei Wochen wohl nicht ausgehen, aber wenn die Inzidenz stark sinkt, würde die Belastung der Intensivstationen in zwei, drei Wochen nachziehen.
Oft heißt es, im Mai wird vieles
von selbst leichter. Es wird wärmer, die Impfungen werden das Infektionsgeschehen bremsen.
Ja, das können Faktoren sein, aber wir müssen uns vor Augen halten: Wir sind viel höher als 2020. Damals hatten wir am Gipfel des Geschehens 1000 Neuinfektionen pro Tag. Da wäre niemand auf die Idee gekommen zu öffnen. Jetzt sind wir doppelt so hoch. Die wärmere Jahreszeit kann einen Effekt haben, aber wir dürfen nicht vergessen: Sehr viel wärmere Regionen wurden von der Pandemie auch und teils viel härter getroffen. Da habe ich nicht so große Hoffnungen. Es gibt noch zu wenige Impfungen. Gelingt es, den Plan von fünf Millionen Impfungen bis Ende Juni umzusetzen, bin ich zuversichtlich.
Was ist das realistischste Szenario für Mai und Juni?
Ich sehe zwei Szenarien: Das Beste für einen unbeschwerteren Mai und Juni wäre, wenn ganz Österreich jetzt in einen harten, zweiwöchigen Lockdown geht. Dann können wir die Wochen überbrücken, bis sich im Juni hoffentlich ein Effekt der
Impfungen zeigt. Kommt das nicht, werden wir weiter von einem halbweichen Lockdown in den nächsten gehen – je nachdem, welche Region gerade stärker betroffen ist.
Sehen Sie es als Chance für den designierten Minister Wolfgang Mückstein, mit der Aussicht darauf einen letzten, harten Lockdown durchzusetzen?
Das hängt viel vom politischen Klima und den Widerständen in der Koalition ab. Aber es muss getan werden, was getan werden muss. Sonst machen wir dieselben Fehler wie im Jänner und Februar.
Hätten wir uns die vergangenen mühsamen Monate erspart, wäre damals nicht geöffnet worden?
Ja. Damals war der Lockdown politisch nicht mehr zu halten, weil er nichts mehr gebracht hat. Jetzt machen wir denselben Fehler.
Welche Szenarien halten Sie für den Sommer und den Herbst für realistisch? Ist das Gröbste vorbei?
Ja, wenn die fünf Millionen Impfungen gelingen und die brasilianische Mutante auf dem amerikanischen Kontinent bleibt. Wir werden mit Fällen der brasilianischen Variante rechnen müssen, aber wenn Cluster auftreten, wäre es wichtig, sofort lokale Quarantänen zu verhängen, den Föderalismus dazu auszuhebeln, damit es nicht zu einer Ausbreitung kommt wie in Tirol bei der Südafrika-Variante. Ansonsten beginnt alles von vorne.