Die Presse

Mischwesen aus Affe und Mensch

Biotechnik. Genetiker aus den USA und China ließen mit menschlich­en Stammzelle­n versetzte Affenembry­onen wachsen – und nennen diese Forschung selbst ethisch brisant.

- VON THOMAS KRAMAR

Vorn wie ein Löwe, in der Mitte wie eine Ziege, hinten wie eine Schlange: So hat Homer die Chimaira beschriebe­n, und heute noch verstehen wir unter Chimäre ein Mischwesen aus mehreren Arten. Das meinen auch die Forscher um Juan Carlos Izpisua Belmonte, wenn sie nun in „Cell“(15. 4.) berichten, dass sie chimärisch­e Embryonen hergestell­t haben, und zwar „monkey/human chimeric embryos“, wie’s im Kommentar dazu heißt, der auch gleich einen „ethischen Dialog“darüber postuliert – oder konstatier­t, das wird nicht so recht klar.

Doch zunächst zur Technik. Die Forscher nahmen menschlich­e pluripoten­te Stammzelle­n – Zellen, die noch auf kein Gewebe festgelegt sind – und markierten sie mit einem fluoreszie­renden Protein, um sie später leicht erkennen zu können. Jeweils 25 dieser Zellen injizierte­n sie in Embryonen von Javaneraff­en, sechs Tage, nachdem diese durch Befruchtun­g erzeugt worden waren. Zu dieser Zeit sind die Embryonen im Stadium der Blastozyst­e, das ist eine Hohlkugel aus Zellen, die den sogenannte­n Trophoblas­ten bilden – aus dem später die Plazenta wird – und an einem Pol den Embryoblas­t, der sich später in Epiblast und Hypoblast teilt, aus diesem wird der Dottersack, aus jenem der eigentlich­e Embryo.

Normalerwe­ise würde sich ein Embryo im Stadium der Blastozyst­e in die Gebärmutte­r einnisten. Die Forscher ließen die mit menschlich­en Zellen versetzten AffenEmbry­onen stattdesse­n an Petrischal­en anwachsen, wo sich manche tatsächlic­h weiter entwickelt­en. Am zehnten Tag nach der Befruchtun­g waren noch 103 von 132 Embryonen am Leben, am 19. Tag nur mehr drei. Doch über die ganze Zeit blieb der Prozentsat­z an menschlich­en Zellen in allen Embryonen praktisch gleich, sie vermehrten sich also genauso effektiv wie die Affenzelle­n, mit denen sie naturgemäß auch biochemisc­h kommunizie­rten. Von „interspeci­fic crosstalk“sprechen die Forscher. Sie untersucht­en diesen und auch die Differenzi­erung der menschlich­en Zellen in Richtung Epiblast respektive Hypoblast: Diese sei langsamer als in einem normalen Embryo verlaufen.

Wozu soll dieses gruslig anmutende Experiment dienen? Zum besseren Verständni­s der Frühentwic­klung des Menschen, schreiben die Forscher, „und um effektive Strategien zur Verbesseru­ng von menschlich­em

Chimärismu­s in evolutionä­r entfernten Arten zu entwickeln“. Gemeint ist offenbar Xenotransp­lantation, also die Übertragun­g tierischer Gewebe oder Organe auf Menschen. Wer etwa die Herzklappe eines Schweins in sich trägt – und das tun viele Menschen –, ist ja streng genommen eine Chimäre. Und es ist gar nicht so leicht, die Abstoßung des fremden Gewebes zu verhindern.

Bereits 2017 versuchte die Gruppe um Izpisua Belmonte, menschlich­e Zellen in Schweinege­webe in einem frühen Entwicklun­gsstadium zu integriere­n, das ging nicht so gut, wohl weil Schweine und Menschen evolutionä­r recht weit entfernt sind. Darum verlegte man sich auf Affen. Mit deren Zellen verständig­en sich die menschlich­en Zellen leichter, die Sprachbarr­iere sei wie zwischen Spanisch und Französisc­h, bei Schweine- und Menschenze­llen wie zwischen Chinesisch und Französisc­h, meint Izpisua Belmonte.

„Starke Reaktionen“

Wichtig sei ihm der Austausch mit Bioethiker­n, erklärt er – und betont, dass die Versuche nicht „in vivo“, sondern nur „ex vivo“stattfinde­n. Die nicht in eine Gebärmutte­r eingeniste­ten Embryonen könnten sich gar nicht weiter entwickeln. Die Idee, menschlich­e und tierische Zellen zu mischen, provoziere „starke Reaktionen“, fügt der „Cell“-Kommentar hinzu: Doch konsequent­e Ablehnung solcher Mischungen würde zur Abschaffun­g etablierte­r Forschung führen – und auch medizinisc­her Techniken, etwa der Xenotransp­lantation.

Man darf prophezeie­n: Wirklich heftig wird die Debatte, wenn Forscher solche chimärisch­en Embryonen implantier­en oder gar zulassen, dass sie geboren werden.

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[ Weizhi Ji] Kugelförmi­ge Blastozyst­e: Die (durch Fluoreszen­z) farbig leuchtende­n Zellen sind menschlich­er Provenienz.

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