So will die EU bei der Impfproduktion autark werden
Analyse. Die zusätzliche Verteilung von 50 Millionen Dosen Biontech-Pfizer-Impfstoff durch die Kommission ist der Beginn eines Umdenkens in der europäischen Vakzinbeschaffung. Um künftig nicht mehr international ins Hintertreffen zu geraten, soll alles au
Brüssel/Wien. Es ist ein ehrgeiziger Plan, der in Brüssel bereis vor Wochen präsentiert worden ist, nun aber durch die jüngste Ankündigung von Biontech-Pfizer, 50 Millionen Dosen zusätzlich bis Sommer zu liefern, endlich Fahrt aufnimmt. Die Europäische Kommission will nach den Erfahrungen in diesem Jahr mit gebrochenen Lieferversprechen, der Umleitung in Drittländer und wachsender interner Kritik an der Impfstoffbeschaffung die Strategie ändern: Künftig soll der Impfstoff für die Gemeinschaft aus Werken auf dem Gebiet der EU kommen. Und selbst die Bestandteile sollen aus den Mitgliedstaaten stammen.
Zentrale Grundlage ist ein vorbereiteter neuer Vertrag mit Biontech-Pfizer über die Lieferung von 1,8 Milliarden Impfdosen in den kommenden beiden Jahren. Der Impfstoff des amerikanisch-deutschen Herstellerkonsortiums soll in der EU erzeugt und von hier aus an die Mitgliedstaaten ausgeliefert werden. Wichtigster Produktionsstandort ist das von Deutschland mitfinanzierte Werk in Marburg, das jährlich rund 750 Millionen Dosen erzeugen kann. Neben Biontech-Pfizer soll auch das US-Pharmaunternehmen Moderna künftig mehr auf EU-Boden produzieren. Bereits in den vergangenen Monaten wurde die Produktion erweitert. Laut der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ist der Bau eines neuen Werks in Ostdeutschland geplant. Mit Moderna ist nach Brüsseler Quellen bereits ein Folgeauftrag von 150 Millionen Dosen für 2022 vorbereitet.
Damit Hersteller nicht so wie in der Vergangenheit zwar in der EU produzieren, dann aber diese Dosen in die USA oder nach Großbritannien exportieren, sind zum einen Exportkontrollen eingeführt worden. Zum anderen werden künftige Verträge mit den Pharmaunternehmen eine prioritäre Lieferung in die EU vorsehen. Nicht ausgeschlossen wird allerdings, dass die künftigen Lieferungen teurer werden.
Die Impfstoffe von Biontech-Pfizer als auch von Moderna sind mRNA-Vakzine, die leichter als herkömmliche Vektorimpfstoffe an Mutanten angepasst werden können. Für die Forschung an diesen Mutanten stellt die EU 123 Millionen Euro aus ihrem Programm „Horizont Europa“zur Verfügung. Diese Mittel sollen für die Hersteller ein zusätzlicher Anreiz sein, sich längerfristig an die EU zu binden.
Abkehr von Vektorimpfstoffen
Die Umorientierung geht mit einer Abkehr von jenen Herstellern einher, mit denen die EU in diesem Jahr schlechte Erfahrungen gemacht hat. Mit AstraZeneca, behauptet der deutsche EU-Abgeordnete und Impfexperte Peter Liese (CDU), würden keine Verträge mehr abgeschlossen. Der britischschwedische Hersteller des Vektorimpfstoffs hatte trotz erheblicher Vorauszahlungen der EU im ersten Quartal statt 120 Millionen Dosen nur 30 Millionen geliefert. Dazu kamen Probleme mit Thrombosefällen. Dänemark hat als erstes EU-Land einen völligen Ausstieg angekündigt, Frankreich will nicht einmal mehr jene Personen, die bereits eine erste Teilimpfung mit AstraZeneca erhalten haben, ein zweites Mal damit impfen. Sie sollen Biontech-Pfizer erhalten.
Auch beim zweiten in der EU zugelassenen Hersteller eines Vektorimpfstoffs, Johnson & Johnson, zeichnen sich Probleme ab. Schon vor der Verabreichung der ersten Dosen in der EU begann die EU-Arzneimittelagentur (EMA) eine vertiefte Prüfung der Ursachen für das Auftreten von Blutgerinnseln. Das Unternehmen ersuchte daraufhin die Mitgliedstaaten, mit der Verimpfung vorerst zu warten. Doch das ist nicht alles: Am Donnerstag erklärte ein EU-Diplomat, Johnson & Johnson habe seinen Antrag auf Marktzulassung bei der EMA zurückgezogen. Wegen der schnelleren Lieferung von Biontech-Pfizer sei die Impfkampagne dadurch nicht gefährdet. Es kreisen Spekulationen, dass der Konzern auf diese Weise versuche, seine ursprünglich für die EU bestimmten Dosen in die USA umzuleiten, wo vorletzte Woche 15 Millionen Dosen in einer Fabrik nahe Baltimore aufgrund eines menschlichen Fehlers unbrauchbar wurden. Ein Sprecher der Kommission wollte die Frage, ob die EU nächstes Jahr erneut bei Johnson & Johnson bestellen werde, nicht kommentieren: „Zäumen wir das Pferd nicht von hinten auf.“