Linke Aktivisten? Rassistisch
Interview. Judith Sevin¸c Basad greift in ihrem Buch „Schäm dich!“Identitätspolitik und Cancel Culture wegen „totalitärer Tendenzen“an. Ein Gespräch über verbotene Fragen, das schlechte Gewissen von Eliten und Applaus aus der falschen Ecke.
„Schäm dich!“Autorin Judith Sevinc¸ Basad im „Presse“-Interview über linke Identitätspolitik und Cancel Culture.
Die Presse: Wir lernen uns gerade kennen. Wenn ich Sie jetzt nach Ihren türkischen Wurzeln frage: Fühlen Sie sich dann gekränkt, als Opfer von Mikroaggression? Judith Sevinc¸ Basad: Nein, gar nicht. Es ist erst einmal ein Zeichen von Interesse, wenn man Menschen, die sich nicht so leicht zuordnen lassen, nach ihrer Herkunft fragt. Ich kann verstehen, wenn viele davon auf Dauer genervt sind, wenn es ihnen das Gefühl gibt, dass sie nicht dazugehören. Aber es ist nicht jeder Rassist, der die Frage stellt. Ich selbst habe immer stolz von meinem Vater erzählt, der aus der Türkei eingewandert ist. Es gibt mir einen besonderen Status, dass ich nicht so bin wie Durchschnittsdeutsche. Interkulturalität in der Familie ist etwas Schönes.
Sie kritisieren linke Identitätspolitik, die hinter Rassismus und Sexismus gesellschaftliche Machtstrukturen sieht. Was ist denn schlimm daran, wenn Aktivisten sich für mehr Gerechtigkeit engagieren? Das tun sie ja nicht! Sie haben die wirklichen sozialen Probleme aus den Augen verloren. Die Ungerechtigkeiten haben viel mit mangelnder Integration zu tun. Und diese SocialJustice-Aktivisten wollen keine Integration, weil sich Migranten damit an die weiße, rassistische Norm anbiedern würden. Dabei sind sie mit ihrer Identitätspolitik selbst rassistisch, indem sie Menschen in eine Gruppe pressen, aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung – und dann festlegen, welche Gruppe Vorteile genießen soll. Weiße und Männer sollen ihre Jobs aufgeben, sich nicht zu Wort melden. Im öffentlich-rechtlichen Deutschlandfunk hofft man, das Problem mit den alten weißen Männern werde sich bald „biologisch auflösen“. Man baut also ein Feindbild auf, wünscht Menschen den Tod, anhand biologischer Merkmale. So ein Rassendenken hatten wir schon einmal. Dahin sollten wir nicht zurück.
Sie sagen, strukturellen Rassismus gebe es nicht. Wollen Sie Stereotype wie „die“Türken oder „die“Schwarzen bestreiten? Natürlich gibt es abwertende Klischees. Aber „struktureller Rassismus“besagt: Unser ganzes kulturelles System ist von Grund auf rassistisch. Weiße entkommen dieser Prägung nicht, sie sind auch nicht Herr ihrer eigenen Vernunft. Der einzige Ausweg für sie ist, sich komplett zu unterwerfen. Das behaupten Bestsellerautoren wie Alice Hasters oder Mohamed Amjahid, die als „die“Kämpfer gegen Ausgrenzung gefeiert werden. Dabei sind das unfassbar totalitäre Tendenzen!
Wie klein sind die Gruppen, die hinter diesem Kulturkampf stehen? Wenn man das Menschen erzählt, die am Land leben und nicht in Twitter-Filterblasen zu Hause sind, schütteln sie lachend den Kopf . . .
Es stimmt, dieser Aktivismus wird von einer Minderheit angetrieben. Aber sie ist sehr aktiv in der Bildungsarbeit, in den Redaktionen und in der Politik. Wenn ihre Ideologie Einzug hält bei denen, die über die Realität aufklären sollen, wird es gefährlich. Vieles läuft schon im ZDF im Hauptabendprogramm, damit wird es zum Mainstream.
Warum findet es so viel Zuspruch?
Man macht sich die Leute gefügig, indem man ihnen „Schäm dich!“zuruft. Wer die Forderungen kritisiert, ist automatisch ein Menschenfeind. Was die Aktivisten fordern, ist quasireligiös: Lies diese Bücher, geh in die Knie, wasch dich rein von den Sünden deiner Vorfahren, sonst wirst du nicht erlöst. Sprechen darf nur, wer qua Gruppenidentität am meisten Schmerz erfahren hat. Die anderen sollen schweigen. Die Letzten werden die Ersten sein, wie im Christentum. Hinter diesen Ritualen steckt das schlechte Gewissen einer Bildungselite. Von gut situierten Leuten, die Reue, Buße und Läuterung erfahren wollen, um sich dann als die besseren Menschen inszenieren zu können.
Bei der Cancel Culture werden angeblich Personen, die man als rassistisch oder sexistisch abstempelt, mundtot gemacht. Aber auf die Schnelle fallen einem dazu in
ist Publizistin. Sie studierte Philosophie und Germanistik und lebt in Berlin. Basad schreibt für „FAZ“, „Welt“, „NZZ“und „Cicero“.
ist im WestendVerlag erschienen (224 Seiten, 18,50 Euro).
Deutschland nur Lisa Eckhart und Dieter Nuhr ein, in Österreich gar niemand. Wird da aus einer Mücke ein Elefant gemacht? Nein. Ich habe bei der Recherche unzählige Beispiele gefunden, Sie haben nur die medienwirksamsten genannt. Schauen Sie sich an, was an den Universitäten abgeht.
Warum soll ich nicht Haltungen von mir fernhalten, die ich nicht akzeptieren kann? Tun es viele, zeigt es eben Wirkung. Es ist völlig in Ordnung zu sagen: Wir wollen nicht, dass Holocaust-Leugner oder Volksverhetzer eine Bühne bekommen. Damit schützt man die Demokratie. Aber schauen Sie sich den Fall Rowling an: Die „Harry Potter“-Autorin hat nur gesagt, dass Männer nicht menstruieren können. Daraufhin formiert sich ein globaler Mob , der ihre Bücher verbrennt und ihr den Tod wünscht, weil sie „transphob“sei. Da werden Menschen wegen ganz normaler Aussagen fertiggemacht.
Hinter dem, was Sie Ideologie nennen, stehen ganze Forschungszweige. Ignorieren Sie wissenschaftliche Erkenntnisse? Das hat nichts mit seriöser Wissenschaft zu tun. Hinter diesem ganzen trendigen Bereich – Gender Studies, Queer Studies, Critical Race Theory, Intersektionalität – stecken keine empirischen Studien. Die Analysen gehen von einem sehr starren, plumpen Weltbild aus: Der Westen, Weiße, Heterosexuelle bleiben immer Täter. Migranten, Queere, Muslime sind immer Opfer. Auch islamistische Attentäter. Sogar Genitalverstümmelung wird als Tradition verteidigt – das Schlimmste, was man einer Frau antun kann. Das sind haarsträubende Thesen.
Die Vordenker berufen sich auf postmoderne Philosophen. Zu Unrecht?
Sie nehmen sich ein paar Bausteine, von Foucault, Derrida, Barthes – und mixen sie zu einer Theorie, die sie zur absoluten Wahrheit erheben. Nur damit könnten wir in eine bessere und gerechte Welt steuern.
Sie sind keine Freundin von Rechtspopulisten und Rechtsextremen. Bekommen Sie nicht Applaus von der falschen Seite? Ja. Aber das heißt doch nicht, dass meine Thesen rechtsextrem sind. Dieses Argument: „Das kannst du nicht sagen, damit stärkst du die Falschen“, ist das dümmste, das ich kenne. Und es ist genau das, was unsere Gesellschaft spaltet. Es sollte doch um die Inhalte gehen, nicht darum, wer sie sonst noch vertritt. Und wir sollten Menschen wieder als eigenverantwortliche Individuen sehen, nicht als fremdgesteuert von einem System.