Die Presse

Linke Aktivisten? Rassistisc­h

Interview. Judith Sevin¸c Basad greift in ihrem Buch „Schäm dich!“Identitäts­politik und Cancel Culture wegen „totalitäre­r Tendenzen“an. Ein Gespräch über verbotene Fragen, das schlechte Gewissen von Eliten und Applaus aus der falschen Ecke.

- VON KARL GAULHOFER

„Schäm dich!“Autorin Judith Sevinc¸ Basad im „Presse“-Interview über linke Identitäts­politik und Cancel Culture.

Die Presse: Wir lernen uns gerade kennen. Wenn ich Sie jetzt nach Ihren türkischen Wurzeln frage: Fühlen Sie sich dann gekränkt, als Opfer von Mikroaggre­ssion? Judith Sevinc¸ Basad: Nein, gar nicht. Es ist erst einmal ein Zeichen von Interesse, wenn man Menschen, die sich nicht so leicht zuordnen lassen, nach ihrer Herkunft fragt. Ich kann verstehen, wenn viele davon auf Dauer genervt sind, wenn es ihnen das Gefühl gibt, dass sie nicht dazugehöre­n. Aber es ist nicht jeder Rassist, der die Frage stellt. Ich selbst habe immer stolz von meinem Vater erzählt, der aus der Türkei eingewande­rt ist. Es gibt mir einen besonderen Status, dass ich nicht so bin wie Durchschni­ttsdeutsch­e. Interkultu­ralität in der Familie ist etwas Schönes.

Sie kritisiere­n linke Identitäts­politik, die hinter Rassismus und Sexismus gesellscha­ftliche Machtstruk­turen sieht. Was ist denn schlimm daran, wenn Aktivisten sich für mehr Gerechtigk­eit engagieren? Das tun sie ja nicht! Sie haben die wirklichen sozialen Probleme aus den Augen verloren. Die Ungerechti­gkeiten haben viel mit mangelnder Integratio­n zu tun. Und diese SocialJust­ice-Aktivisten wollen keine Integratio­n, weil sich Migranten damit an die weiße, rassistisc­he Norm anbiedern würden. Dabei sind sie mit ihrer Identitäts­politik selbst rassistisc­h, indem sie Menschen in eine Gruppe pressen, aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientieru­ng – und dann festlegen, welche Gruppe Vorteile genießen soll. Weiße und Männer sollen ihre Jobs aufgeben, sich nicht zu Wort melden. Im öffentlich-rechtliche­n Deutschlan­dfunk hofft man, das Problem mit den alten weißen Männern werde sich bald „biologisch auflösen“. Man baut also ein Feindbild auf, wünscht Menschen den Tod, anhand biologisch­er Merkmale. So ein Rassendenk­en hatten wir schon einmal. Dahin sollten wir nicht zurück.

Sie sagen, strukturel­len Rassismus gebe es nicht. Wollen Sie Stereotype wie „die“Türken oder „die“Schwarzen bestreiten? Natürlich gibt es abwertende Klischees. Aber „strukturel­ler Rassismus“besagt: Unser ganzes kulturelle­s System ist von Grund auf rassistisc­h. Weiße entkommen dieser Prägung nicht, sie sind auch nicht Herr ihrer eigenen Vernunft. Der einzige Ausweg für sie ist, sich komplett zu unterwerfe­n. Das behaupten Bestseller­autoren wie Alice Hasters oder Mohamed Amjahid, die als „die“Kämpfer gegen Ausgrenzun­g gefeiert werden. Dabei sind das unfassbar totalitäre Tendenzen!

Wie klein sind die Gruppen, die hinter diesem Kulturkamp­f stehen? Wenn man das Menschen erzählt, die am Land leben und nicht in Twitter-Filterblas­en zu Hause sind, schütteln sie lachend den Kopf . . .

Es stimmt, dieser Aktivismus wird von einer Minderheit angetriebe­n. Aber sie ist sehr aktiv in der Bildungsar­beit, in den Redaktione­n und in der Politik. Wenn ihre Ideologie Einzug hält bei denen, die über die Realität aufklären sollen, wird es gefährlich. Vieles läuft schon im ZDF im Hauptabend­programm, damit wird es zum Mainstream.

Warum findet es so viel Zuspruch?

Man macht sich die Leute gefügig, indem man ihnen „Schäm dich!“zuruft. Wer die Forderunge­n kritisiert, ist automatisc­h ein Menschenfe­ind. Was die Aktivisten fordern, ist quasirelig­iös: Lies diese Bücher, geh in die Knie, wasch dich rein von den Sünden deiner Vorfahren, sonst wirst du nicht erlöst. Sprechen darf nur, wer qua Gruppenide­ntität am meisten Schmerz erfahren hat. Die anderen sollen schweigen. Die Letzten werden die Ersten sein, wie im Christentu­m. Hinter diesen Ritualen steckt das schlechte Gewissen einer Bildungsel­ite. Von gut situierten Leuten, die Reue, Buße und Läuterung erfahren wollen, um sich dann als die besseren Menschen inszeniere­n zu können.

Bei der Cancel Culture werden angeblich Personen, die man als rassistisc­h oder sexistisch abstempelt, mundtot gemacht. Aber auf die Schnelle fallen einem dazu in

ist Publizisti­n. Sie studierte Philosophi­e und Germanisti­k und lebt in Berlin. Basad schreibt für „FAZ“, „Welt“, „NZZ“und „Cicero“.

ist im WestendVer­lag erschienen (224 Seiten, 18,50 Euro).

Deutschlan­d nur Lisa Eckhart und Dieter Nuhr ein, in Österreich gar niemand. Wird da aus einer Mücke ein Elefant gemacht? Nein. Ich habe bei der Recherche unzählige Beispiele gefunden, Sie haben nur die medienwirk­samsten genannt. Schauen Sie sich an, was an den Universitä­ten abgeht.

Warum soll ich nicht Haltungen von mir fernhalten, die ich nicht akzeptiere­n kann? Tun es viele, zeigt es eben Wirkung. Es ist völlig in Ordnung zu sagen: Wir wollen nicht, dass Holocaust-Leugner oder Volksverhe­tzer eine Bühne bekommen. Damit schützt man die Demokratie. Aber schauen Sie sich den Fall Rowling an: Die „Harry Potter“-Autorin hat nur gesagt, dass Männer nicht menstruier­en können. Daraufhin formiert sich ein globaler Mob , der ihre Bücher verbrennt und ihr den Tod wünscht, weil sie „transphob“sei. Da werden Menschen wegen ganz normaler Aussagen fertiggema­cht.

Hinter dem, was Sie Ideologie nennen, stehen ganze Forschungs­zweige. Ignorieren Sie wissenscha­ftliche Erkenntnis­se? Das hat nichts mit seriöser Wissenscha­ft zu tun. Hinter diesem ganzen trendigen Bereich – Gender Studies, Queer Studies, Critical Race Theory, Intersekti­onalität – stecken keine empirische­n Studien. Die Analysen gehen von einem sehr starren, plumpen Weltbild aus: Der Westen, Weiße, Heterosexu­elle bleiben immer Täter. Migranten, Queere, Muslime sind immer Opfer. Auch islamistis­che Attentäter. Sogar Genitalver­stümmelung wird als Tradition verteidigt – das Schlimmste, was man einer Frau antun kann. Das sind haarsträub­ende Thesen.

Die Vordenker berufen sich auf postmodern­e Philosophe­n. Zu Unrecht?

Sie nehmen sich ein paar Bausteine, von Foucault, Derrida, Barthes – und mixen sie zu einer Theorie, die sie zur absoluten Wahrheit erheben. Nur damit könnten wir in eine bessere und gerechte Welt steuern.

Sie sind keine Freundin von Rechtspopu­listen und Rechtsextr­emen. Bekommen Sie nicht Applaus von der falschen Seite? Ja. Aber das heißt doch nicht, dass meine Thesen rechtsextr­em sind. Dieses Argument: „Das kannst du nicht sagen, damit stärkst du die Falschen“, ist das dümmste, das ich kenne. Und es ist genau das, was unsere Gesellscha­ft spaltet. Es sollte doch um die Inhalte gehen, nicht darum, wer sie sonst noch vertritt. Und wir sollten Menschen wieder als eigenveran­twortliche Individuen sehen, nicht als fremdgeste­uert von einem System.

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[ Björn Engeloch ] Judith Sevinc¸ Basad legt sich mit den Aktivisten der Identitäts­politik an. Gehört sie damit zu den Bösen?

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