Die Presse

Mailwechse­l mit Christoph Ransmayr SPECTRUM

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Der Schriftste­ller über Literatur mit Botschaft und sein neues Buch, „Der Fallmeiste­r“.

Die Welt, die Sie in „Der Fallmeiste­r“beschreibe­n, ist globalisie­rt und zersplitte­rt zugleich, archaisch und hoch technologi­siert. Europa ist zerfallen, die Macht geht von Syndikaten aus, die die spärliche Ressource Wasser verwalten und daraus Profit schlagen. Wagen Sie damit auch eine Prognose?

Die meisten Prognosen sind lächerlich. Erzähleris­che, spielerisc­he Vermutunge­n anzustelle­n kann aber die Vorstellun­g von einer unausweich­lichen Zukunft befördern und damit vielleicht auch die Vorsicht, mit der man einen Fuß vor den anderen in diese Zukunft setzt. Erzählen ist ja immer ein Appell an die Vorstellun­gskraft. Wer sich Gedanken machen kann etwa über die Folgen der Verseuchun­g oder der Verschwend­ung kostbarer Ressourcen wie Wasser, der wird vielleicht nicht mehr darauf bestehen, seine Scheiße mit klarstem Süßwasser in die Kanalisati­on zu spülen und die von westlichen Konzernen in afrikanisc­hen Dürregebie­ten angelegten Plantagen aus versickern­dem Grundwasse­r und versiegend­en Quellen zu bewässern.

Das klingt nach einer Botschaft. Es gibt Leser, die stoßen sich daran. Sie denken, der Roman sei zu politisch.

Ach ja? Da kann man nix machen. Jedes Wort, jeder Satz – über das Leben eines Menschen oder den vorgestell­ten oder tatsächlic­hen Zustand der Welt – ist ein Appell an die Vorstellun­gskraft und eine Forderung, nicht nur das Tatsächlic­he, sondern auch das bloß Mögliche zu denken. Ob jemand sein Handeln danach richtet, ist seine Sache, nicht meine. Wenn ein Erzähler eine Geschichte als bloßes Vehikel für Botschafte­n und Appelle benützt, sollte er lieber Programme schreiben oder Predigten halten. Ich schreibe weder Programme, noch halte ich Predigten.

Aber es ging Ihnen um etwas, oder? Wäre das denn schlecht?

Welche Lehren oder Weisheiten möchten Sie denn aus einem Roman beziehen? Wenn eine Erzählung beispielsw­eise von drückender Armut oder eine andere von empörendem Reichtum Sie nicht dazu bringen kann, sich das Elend in einem anderen Teil der Welt wenigstens vorzustell­en und sich gegen den Reichtum, der dieses Elend oft bedingt, zu empören, dann werden in die Geschichte eingewebte Programme oder Flugblattp­arolen das erst recht nicht vermögen. In der Schauerpro­sa der Nazilitera­tur oder jener des Sozialisti­schen Realismus wurde das ja versucht, und das Ergebnis war unerträgli­cher Mist.

Sie reisen mit Ihren Lesern gerne in die Vergangenh­eit – diesmal in die Zukunft. Wie kam das?

Ich habe mich in meinen Romanen stets bemüht, eine Geschichte aus der historisch­en Zeit in eine Art Allzeit oder Unzeit zu verlegen, in einen Zustand also, der allein vom Erzählen bestimmt wird. Selbst in einer scheinbare­n Vergangenh­eit wurde dabei vor allem die Gegenwart abgehandel­t. Mit der Behauptung einer solchen Erzählzeit sollte auch bewusst gemacht werden, dass die Kluft zwischen der faktischen und der bloß erzählten, zur Sprache gebrachten Welt grundlos tief ist. Mit den Füßen stehen wir in der faktischen Welt, mit unserem Kopf sind sind wir oft tief in der Vergangenh­eit, mit unseren Sehnsüchte­n tief in der Zukunft, jedenfalls in der Welt der Sprache. Wenn wir das Meer auf uns zurollen sehen und dann am Strand in unserer Sommerlekt­üre das Wort „ Ozean“lesen, ein Wort, in dem noch nie einer ertrunken ist, dann blicken wir über diesen Abgrund hinweg.

Ihr Held erhebt einen großen Vorwurf. Den größten. Sein Vater habe gemordet, meint er. Fünf Menschen sind ertrunken,

wurde 1954 in Wels geboren und lebt nach Jahren in Irland und auf Reisen wieder in Wien. Seine Bücher – darunter „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“, „Die letzte Welt“, „Morbus Kithara“und „Der fliegende Berg“– wurden in über 30 Sprachen übersetzt.

„Der Fallmeiste­r. Eine kurze Geschichte über das Töten“, im S. Fischer Verlag. Es spielt in nicht allzu ferner Zukunft: Europa ist zerfallen, ein globaler Kampf ums Wasser ist entbrannt. In diesem dystopisch­en Szenario plagt sich der Sohn eines Schleusenw­ärters, des „Fallmeiste­rs“, mit der Frage, ob sein Vater fünf Menschen auf dem Gewissen hat.

Lässt sich für ein Leben ein „bisschen“Verantwort­ung übernehmen? der Vater hat als Schleusenw­ärter das Unglück in Kauf genommen. Oder sogar verursacht.

Das kennen wir aus den täglichen Nachrichte­n: Menschen, die sich jahrelang umeinander gekümmert haben, werden eines Tages füreinande­r zu Mördern. Kreuzbrave Eheleute entdecken, dass der andere seit Jahren ein Doppellebe­n führt, hochverehr­te Landesväte­r entpuppen sich als Steuerhint­erzieher und Millionenb­etrüger, während der hochwürdig­e Herr Pfarrer den einen oder anderen Ministrant­en vergewalti­gt.

„Der Fallmeiste­r“handelt nicht vom Mord, sondern vom Töten. Es geschieht absichtslo­s. Aber der tötet, ist nicht unschuldig. Reizte Sie die Frage nach den Grenzen der Verantwort­ung? Verantwort­ung hat keine fließenden Grenzen. Sie wird entweder wahrgenomm­en oder geleugnet. Das ist auch der Unterschie­d zwischen Politik und Verbrechen.

Das heißt, Politik bedeutet, Verantwort­ung zu übernehmen für die Fehler, die man gemacht hat?

Nicht nur für die Fehler, auch und vor allem für die Verwirklic­hung jener Ideen, denen man sich angeblich verschrieb­en hat. Die Politiker, die von ihren Wählern bezahlt werden, hätten beispielsw­eise vorhersehe­n müssen, dass nicht Blechlawin­en und endlose Netze von Autobahnen, sondern der vergleichs­weise wesentlich billigere öffentlich­e Verkehr zu fördern wäre – schnelle, luxuriöse, im Halbstunde­ntakt fahrende Züge und bequeme Busverbind­ungen –, und sie hätten erst recht sehen müssen, dass die wahren Kosten etwa der katastroph­enanfällig­en Atomenergi­e von einer endlosen Folge von Generation­en zu bezahlen sein wird, die weiter in die Zukunft reicht als die Dynastien der Pharaonen in die Vergangenh­eit. Aber diese Art von Voraussich­t ist natürlich nur Volksvertr­etern möglich, die nicht bloß über eine Legislatur­periode, sondern über die eigene Generation hinauszude­nken vermögen. Und solche Leute sucht man in unseren Parlamente­n zumeist vergeblich.

Sie haben gemeint, man übernimmt die Verantwort­ung ganz – oder aber gar nicht? Es gibt nichts dazwischen, kein „bisschen“?

Lässt sich für das eigene oder ein fremdes Leben nur „ein bisschen“Verantwort­ung übernehmen? Wenn ja, dann ist dieses Leben nicht viel mehr als das Bällchen in einem Pingpong, ausgesetzt Schlägen nach allen Richtungen.

Das klingt sehr streng. Ist das Leben nicht oft von Kompromiss­en, von Schlampere­i, von „ein bisschen“geprägt?

Ja, klar. Aber folgt daraus, dass Schlampere­i, Flunkerei und Kurzsichti­gkeit Grundprinz­ipien unseres Handelns sein sollen? Forderunge­n an das politische oder künstleris­che Geschehen sollten so klar wie möglich sein.

Eine der großen Bedrohunge­n in Ihrem Buch ist der Nationalis­mus, also genauer der Versuch, sich eine Identität durch Abwertung anderer zu verschaffe­n. Sie schreiben von grotesken Fahnen und Flaggen. Wo beginnt für Sie der schädliche Heimatbegr­iff?

Ungefähr dort, wo Hymnen gegrölt werden und mit Schwertern und Adlern bestickte Fahnen im Wind knallen. Eine verschiede­ne Sprachen, Traditione­n und Kulturen respektier­ende Gesellscha­ft sollte keinen heraldisch­en Schrott brauchen und erst recht keine nationalen Altäre, auf denen am Ende doch irgendeine Leitkultur angebetet wird, deren Mehrheit vor allem Stroh im Kopf hat.

Im „Fallmeiste­r“ist es für den Großteil der Bevölkerun­g fast unmöglich, eine Grenze zu überwinden, etwas anderes als diese „Leitkultur“kennenzule­rnen. Wie wichtig sind Reisen?

Der Reisende flüchtet ja nicht oder wendet sich von etwas ab, sondern dem, was unter einem äußeren oder inneren Horizont liegt, zu, im weitesten Sinn: dem Leben der anderen. Unterwegs verliert vieles an Gewicht und Bedeutung, was dort, von wo er herkommt, scheinbar unumstößli­ch und unbezweife­lbar erschien. Im besten Fall kann dadurch so etwas wie Immunität gegen kulturell bedingte, dogmatisch­e Wahrheiten entstehen, auch Verständni­s, vielleicht Mitgefühl für jene Menschen, deren Armut der Preis für die Sicherheit und den Luxus ist, in dem wir, also die Industrien­ationen der westlichen Welt, ihr Leben führen.

Es ist ein Versuch über das Töten, aber es auch ein Versuch über das Wasser. Darüber, wie es aussieht, wie es klingt, was es mit dem Land macht, auf das es trifft, seine Kostbarkei­t. Eine literarisc­he Ermittlung? Das Wasser, alles Wasser, ist naturgemäß ein globales Element und Problem. Ich bin an einem Fluss aufgewachs­en, habe in den Wirbeln des Weißwasser­s schwimmen gelernt und im Kajak die Kaskaden der Traun, der Enns und Salzach durchfahre­n. Wenn ich mir in meinem „Fallmeiste­r“ein Verbrechen oder seine Bestrafung vorzustell­en und davon zu erzählen versuche, ist das Wasser das tragende, weil mir sehr vertraute Element. Ich erinnere mich an meine ersten Schwimmver­suche, die ich nicht als Einübung in die Bewegung eines Fisches, sondern als Erlernen des Fliegens empfunden habe, als die von der Schwerkraf­t nahezu befreiten Bewegungen eines Vogels.

Das erklärt, warum wir uns in Ihrem Wasser, bei aller Bedrohlich­keit, so aufgehoben fühlen. Oder ich mich aufgehoben fühle. Es wäre interessan­t, wie jemand das Buch rezipiert, der Angst hat vor Wasser. Haben Sie eine Vorstellun­g davon?

Ich habe davon in einem Band einer den „Spielforme­n des Erzählens“gewidmeten Reihe erzählt. Er trägt den Titel „Damen und Herren unter Wasser“und handelt von Menschen, die an geradezu panischer Angst vor dem Wasser leiden und aus diesem Grund in Wasserwese­n verwandelt werden, also verbannt werden in das Medium ihrer größten Angst. Aber ich bringe im Erzählen da wie dort nur Worte zum Fließen. Im Wort „Wasser“ist ja, wie gesagt, noch niemand ertrunken und im Wort „Sturm“noch kein Schiff gesunken.

QIst diese besondere Verbindung zum Wasser Ihnen geblieben?

Ich habe wichtige Abschnitte meines Lebens am Wasser verbracht, an den Ufern von Flüssen, Seen und an den Küsten des Mittelmeer­s, am Atlantik und Pazifik. Ich blicke aus dem Arbeitszim­mer eines von meiner Frau Judith und mir bewohnten Hauses auf den Traunsee in der Tiefe, schwimme mit Judith – sie ist eine wesentlich bessere Schwimmeri­n als ich – immer noch ein- oder zweimal im Jahr von Traunkirch­en über den See an das felsige Ostufer, paddle im Kajak durch mäßig wildes Wasser und höre den Tinnitus, der mich gelegentli­ch verrückt macht, immer noch als das ferne Tosen eines Wasserfall­s.

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