Die Feldschlacht in Merkels Schatten
Analyse. CDU und CSU reiben sich in einem erbitterten Machtkampf auf. Und Angela Merkel schweigt. Die Kanzlerin hat keinen Nachfolger aufgebaut. Das rächt sich jetzt.
Die Union gleicht in diesen Tagen einem Schlachtfeld. So sieht das nicht die Konkurrenz oder ein wild gewordener Boulevard. So sehen das die eigenen Leute. Als sich die beiden möglichen Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Markus Söder (CSU) am Dienstag in einer Fraktionssitzung gegenseitig ihre Schwächen aufzählten, sprach der CSU-Mann Peter Ramsauer hernach von einer „offenen Feldschlacht“: Wie „Gladiatoren“seien die beiden vom Fraktionschef in die Arena geführt worden, dann sei Blut geflossen. Der Chef der sonst streitlustigen Jungen Union, Tilman Kuban, bezeichnete den Machtkampf nicht minder martialisch als „Selbstzerfleischung“.
Auch hinter den Kulissen liegen die Neven blank. Das Gerangel dauere schon „zu lang“, sagt ein CDU-Vorstandsmitglied zur „Presse“. Eine gesichtswahrende Lösung für alle Seiten fällt ihm aber auch nicht ein. Der Mann klingt ratlos. In der Fraktion bereiten Dutzende Söder-Anhänger indes eine Kampfabstimmung am Dienstag vor.
Ein schnelleres Ende des Machtkampfs könnte wohl jene Frau herbeiführen, um deren Erbe dieses Hauen und Stechen veranstaltet wird: CSU-Chef Markus Söder hatte erklärt, ohne die Unterstützung von Angela Merkel könne kein Kandidat erfolgreich sein. Ein Machtwort Merkels würde helfen. In der Theorie. „Sie wird sich nicht äußern“, meint das CDU-Vorstandsmitglied. Nicht öffentlich.
Die Kanzlerin ist die Schweiz
Merkel pflegt einen präsidialen Regierungsstil. Sie schwebt gleichsam über den Niederungen der Parteipolitik. So wirkt das schon seit Jahren und auch in diesen Tagen. Ihre Union versinkt im Chaos. Und die
Kanzlerin schweigt. Sie ist in diesem Konflikt – nach außen hin – die Schweiz. Sie hat sich Neutralität auferlegt: „Ich will und werde mich heraushalten“, lautet ihr Credo.
Wäre Merkels Biografie der Maßstab, müsste im unionsinternen Duell CDU-Chef Laschet, dessen Rückhalt als Kanzlerkandidat schwindet, ihr Favorit sein. Merkel führte 16 Jahre lang die CDU, nicht die CSU. Und sie sitzt als Kanzlerin qua Amt noch immer im engsten Führungszirkel der Partei.
Laschet zählte viele Jahre lang zu Merkels treuesten Verbündeten. Als CSU und Teile der eigenen Partei über Merkels Flüchtlingspolitik herfielen, wich der Rheinländer nicht von ihrer Seite. Söder agierte in dem Flüchtlingsstreit indes als Einpeitscher, der seine CSU-Truppen erst zurückpfiff, als ihm in Bayern die Wähler davonliefen. Merkel wird ein Elefantengedächtnis nachgesagt. Sie vergisst nichts.
Söder erweckte zuletzt aber den Eindruck, Merkel stünde ihm inzwischen näher als Laschet. Der gewiefte Machtpolitiker aus Nürnberg deckte die „überragende“Kanzlerin nicht nur in der Coronapolitik mit Komplimenten zu. Er hofierte sie auch in seiner Heimat. Im Sommer 2020 schipperte das Duo vor malerischer Kulisse gen Schloss Herrenchiemsee. Die Königin und ihr Kronprinz: So sah das aus. Und als Merkel neulich Laschets Coronapolitik tadelte, wurde das als Wink in der Kanzlerfrage (fehl)gedeutet. Merkel hat das Bild später korrigiert. Aber mehr öffentliche Unterstützung gab es seither weder für Laschet noch für Söder.
Die Demontage der AKK
Dabei lässt sich eine Linie ziehen zwischen Merkels Verzicht auf den CDU-Vorsitz und ihrem Festhalten am Kanzleramt bis zur Wahl und dem Chaos, in dem ihre Union zweieinhalb Jahre später versinkt. Ein weiteres CDU-Vorstandsmitglied fragt sich, ob es Merkel noch ein Herzensanliegen ist, dass die Union das Kanzleramt behält.
Es gab zwar eine Zeit, da wurde Annegret Kramp-Karrenbauer als Merkels Wunschnachfolgerin gehandelt. Die Ära der Saarländerin als CDU-Chefin im Schatten der übermächtigen Kanzlerin war dann kurz und glücklos. Heute gilt das Verhältnis der beiden Frauen als zerrüttet. Auch deshalb, weil Merkel ihrer Kronprinzessin den finalen Todesstoß versetzte, als sie sich in die Regierungskrise in Thüringen einschaltete. Falls es noch Zweifel gab, waren sie ausgeräumt: AKK hatte jede Autorität verloren.
„Das war ein Tritt in die Kniekehle“, sagt ein CDU-Funktionär. Er hat eine These, warum Merkel keinen Nachfolger aufgebaut hat: „Man braucht andere Fähigkeiten, um Macht zu erlangen, als um Macht weiterzugeben.“Das gilt nicht nur für die Kanzlerin. Es zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Menschheit – und die der Union.