Die Untergrundpresse von Burma
Widerstand. Die Militärs ließen Journalisten verhaften und das Internet abdrehen. Ein Burmese erzählt, wie er nun im Geheimen seine eigene Zeitung produziert.
Naypyidaw/Wien. Jeden Nachmittag zur selben Stunde klappt Ko Naing seinen Laptop auf. Dann liest er, was an diesem Tag in seiner Heimat passiert ist: Wo wieder Menschen demonstrieren. Wo die Soldaten auf sie schießen. Wie viele gestorben sind. Wenn er fertig ist, kopiert er, was er für besonders wichtig hält. Kürzt die Texte zusammen, sucht Fotos, passt alles in ein einfaches Layout ein. Es ist Nacht, wenn er die Zeitung hochlädt. Am Ende löscht er alle Spuren auf seinem Computer. Niemand darf ihn finden.
Was Ko Naing jeden Tag macht, kann ihm Prügel verschaffen. Es kann ihn ins Gefängnis bringen. Es kann ihn töten. Er produziert eine Untergrundzeitung in einem Land, in dem eine Militärjunta versucht, unliebsame Informationen zu unterdrücken.
Der Name Ko Naing ist ein Pseudonym, das er verwendet, um seine Identität zu schützen. Nur eine Handvoll Menschen in Burma (Myanmar) weiß, was er treibt.
Der Weg, der Ko Naing in sein heutiges Doppelleben führte, begann vor zweieinhalb Monaten: Da beschloss das Militär des 54-Millionen-Einwohner-Landes, einen Schritt zurück zu machen. Nach einem Jahrzehnt der demokratischen Öffnung ließen die Generäle im Februar überraschend die gerade erst gewählte Regierung absetzen. Seitdem sind sie wieder an der Macht, wie in den Tagen der Militärdiktatur, die Burma nach dem Zweiten Weltkrieg über ein halbes Jahrhundert beherrscht hatte. Im Land brachen daraufhin Proteste aus.
Mehr als 700 Menschen sind gestorben, Tausende wurden verhaftet. Die Büros der kritischen Zeitungen wurden gestürmt, diese mussten ihre Mitarbeiter evakuieren oder verstecken und publizieren nun online. Die Militärs drehen immer wieder mobile Internetverbindungen und das Breitband-WLAN ab. Da die meisten Burmesen über ihr Handy surfen, sind große Bevölkerungsschichten ohne Zugang zu Nachrichten.
Eine Zeitung zum Selbst-Ausdrucken
Ko Naing ist über Kabel verbunden. Das macht ihn anders. Wo andere nur noch die Fernseh- und Radiosender der Militärs empfangen, hat er Internet. „Ich habe alle Werkzeuge, die ich brauche“, sagt er in einem Gespräch, das „Die Presse“mit ihm über eine verschlüsselte App führt.
Als Anfang April das mobile Internet für Tage ausfällt, beschließt er, eine Zeitung zu machen: Billig soll sie sein und kompakt, und täglich erscheinen. Doch mit einem Drucker könnte er gerade einmal 300 Stück am Tag schaffen und sie nur in seiner Nachbarschaft verteilen. Die Spitzel des Militärs hätten ihn wohl schnell erwischt. Also druckt er seine Zeitung nicht selbst aus – er lädt sie hoch, damit andere das für ihn machen.
Am 6. April um halb drei in der Nacht verschickte Ko Naing den Tweet, mit dem alles begann: „Es braucht nur ein A4-Blatt, beidseitig bedruckt, um eine tägliche Zeitung zu machen, die alle Kurznachrichten enthält. Die ,Voice of Spring‘ wird täglich für Leute produziert, die keinen Internetzugang haben.“Dazu heftet er die Dateien der ersten Ausgabe. Der Tweet wurde 241 Mal geteilt. Die nächste Nummer am Tag darauf bereits mehr als 2800 Mal.
„Es ist hochriskant für alle, die mitmachen“, sagt Naing. „Die meisten gehen früh auf einen Markt, tun so, als würden sie etwas kaufen, und lassen dann einen Stapel irgendwo liegen.“Deswegen wollte er, dass die Zeitung auf ein Blatt Papier passt: So lässt sie sich falten und notfalls gut verstecken.
„Im Internet kannst du keinem trauen“
Wie viele Menschen die „Voice of Spring“lesen, weiß Naing nicht. Er habe Rückmeldungen aus neun Städten im Land bekommen. Immer wieder würden ihn auch einfache Burmesen kontaktieren, um etwas in seiner Zeitung zu publizieren. „Aber ich kann die meisten Dinge nicht verifizieren“, sagt der Untergrundverleger. „Im Internet kannst du niemandem trauen.“Er füllt das Blatt mit Informationen aus der burmesischen Ausgabe der britischen BBC oder Medien wie „Myanmar Now“, die noch online publizieren. Kommentare, Meinungen, Manifeste – das alles komme nicht infrage, nur Nachrichten.
Der Informationskrieg in und um Burma ist voll im Gange. Vergangene Woche verwickelte sich der US-Sender CNN in eine tragische Episode: Eine Journalistin war aus London eingeflogen – mit dem Sanktus der Generäle. Ihre Recherche wurde von Soldaten und einem Tross an Aufpassern begleitet. Auf einem Markt filmte sie Burmesen, die all ihren Mut aufbrachten, um der Westlerin zu sagen, was diese schon wusste: dass die Militärs ihr etwas vormachten. Elf der Interviewten wurden danach festgenommen.
Es sind Vorfälle wie diese, die verdeutlichen, was Ko Naing und seine Mitstreiter jede Nacht riskieren. Er selbst sieht sich in der Tradition der burmesischen Freiheitskämpfer, von denen das Land nach Jahrzehnten der Diktatur und niedergeschlagenen Aufstände einige aufweist. Die Inspiration für die Zeitung habe er bei U Win Tin gefunden – einem bereits verstorbenen Journalisten und Politiker, der 19 Jahre in den Gefängnissen der Junta verbrachte. Über ihn erzählen seine Mithäftlinge, er habe ein Taschenradio in seine Zelle geschmuggelt und in der Nacht mit Kopfhörern die Sender BBC und Voice of Asia gehört. Was er erfuhr, schrieb er auf Notizblättern auf – eine illegale Gefängniszeitung für die anderen Insassen.
„Es ist meine Pflicht geworden“
Ob die „Voice of Spring“etwas bewirkt und was, lässt sich aus der Ferne schwer beurteilen. Ko Naing sagt, die Zeitung sei auch entstanden, damit ältere Menschen wissen, wie es um die Proteste und Streiks steht. Damit sie nicht das Gefühl bekommen, es ist vorbei. „Ich habe die Angst in ihren Augen gesehen“, sagt er.
So soll seine Zeitung auch ihren Teil dazu beitragen, sich selbst zu vergewissern, dass der burmesische Widerstand nicht geschlagen ist. Am Freitag bildeten Oppositionelle eine „Nationale Einheitsregierung“– einen Gegenpart zu den von der Junta nach dem Putsch eingesetzten Apparatschiks. Sie verkündeten diesen Beschluss auf Facebook und Twitter. Ko Naing wird in seiner Zeitung berichten. „Es ist meine Pflicht geworden“, sagt er, wenn man ihn fragt, warum er sich das alles antut. Vor ein paar Tagen habe er auf einem Militärsender gehört: Wer eine illegale Publikation vertreibt, muss mit drei bis vier Jahren im Gefängnis rechnen. Das fand er irgendwie gut. Es fühlte sich an, als habe er die da oben ein bisschen geärgert.
Ob das Militärregime so ein Gesetz auch wirklich erlassen hat, weiß Ko Naing nicht. „Es macht keinen Unterschied. Was aus ihrem Mund kommt, ist Gesetz“, sagt er.