Alte und Kranke zuletzt
Bulgarien. Das Land hat am meisten von der EU-Impfstoffumverteilung profitiert. Doch was macht es damit? Es immunisiert Politiker und junge IT-Angestellte. Risikogruppen gehen vorerst leer aus.
Sofia. In der Not bettelt der gewiefte Würdenträger mit hehren Worten: Es sei eine „Frage der Solidarität“, dass alle EU-Mitglieder den „gleichberechtigten Zugang zu den Impfstoffen“erhalten, mahnte Bulgariens inzwischen nur noch geschäftsführender Premier, Bojko Borissow, Mitte März einen größeren Anteil von Pfizer-Impfstoff für den gebeutelten Balkanstaat an: „Wir wissen, dass wir stärker sind, wenn wir vereint sind. Kein Land wird von Covid-19 geschützt, wenn wir nicht alle in Sicherheit sind.“
Sein flammender Appell und ein gemeinsamer Auftritt mit Österreichs Bundeskanzler, Sebastian Kurz, in Wien fanden Gehör. Als größter Nutznießer der EU-Impfstoffumverteilung wird Bulgarien fast die Hälfte der 2,68 Millionen Pfizer-Dosen erhalten, auf die 19 besser versorgte Mitgliedstaaten zugunsten von fünf unterversorgten Partnern verzichtet haben.
Außer Bulgarien (1,15 Mio. zusätzliche Dosen) werden auch Kroatien (683.000), die Slowakei (602.000), Lettland (376.000) und Estland (41.390 Dosen) im zweiten Quartal mehr Pfizer-Vakzin beziehen, als ihnen zusteht. Umgekehrt treten Deutschland über eine halbe Million sowie Frankreich und Italien jeweils über 400.000 Dosen ab.
Ob Sofia die Chance zu Kurskorrekturen bei der verfehlten Einkaufspolitik und den chaotisch organisierten Massenimpfungen nutzt, wird sich weisen. Erst 6,99 Prozent der Bulgaren (Stand: 14. 4.) ist bisher zumindest eine Impfdosis verabreicht worden. Das ärmste EU-Mitglied hinkt damit nicht nur den EU-Impfvorreitern Malta (40%) und Ungarn (32%), sondern auch dem EU-Mittel von 16,64 Prozent weit hinterher. Das von dem Impfnachzügler beklagte Ungleichgewicht ist indes keineswegs mit Ungerechtigkeiten bei der EU-Verteilung zu erklären, sondern zum Großteil hausgemacht.
Einerseits hat Bulgarien bei den Vorbestellungen vor allem auf den billigeren AstraZeneca-Impfstoff sowie das noch immer nicht verfügbare Sanofi-Serum gesetzt und auf ihm zustehende PfizerKontingente bewusst verzichtet. Andererseits waren Bulgariens Massenimpfungen von Anfang an sehr schlecht, intransparent und ungerecht organisiert: Das Land, das erfolgreich die EU-Solidarität eingefordert hatte, zeigte sich bisher mit dem schwächsten und gefährdetsten Teil seiner Bevölkerung selbst kaum solidarisch.
Roma sind später dran
Der im Dezember von der Regierung verabschiedete Impfplan definierte fünf Prioritätsgruppen. Als Erste werden Ärzte und Krankenpfleger geimpft, in einer zweiten Phase Sozialarbeiter und Lehrer und in einer dritten Phase Berufsgruppen, die „für das Funktionieren des öffentlichen Lebens essenziell“sind. Erst in der vierten Gruppe taucht mit den über 65-Jährigen und chronisch Kranken der gefährdetste Teil der Bevölkerung auf.
Als fünfte und letzte Prioritätsgruppe werden Bevölkerungsgruppen definiert, die durch ihren Lebensstil „einem höheren epidemiologischen Risiko“ausgesetzt seien. Die Roma hätten faktisch „keinerlei Priorität“, ärgert sich Emil Metodiew von der Selbsthilfe-Organisation Ständige RomaKonferenz gegenüber der „Presse“: „Dabei weiß jeder, dass die gesundheitlichen Bedingungen der Roma in Bulgarien sehr schlecht sind, sie eine zehn Jahre geringere Lebenserwartung haben und oft über keine Krankenversicherungen verfügen: Sie sind in der Epidemie besonders gefährdet.“
Schon der Plan für Bulgariens Massenimpfungen wirkte wenig durchdacht. Seine bisherige Umsetzung ist noch umstrittener. Wie anderen Ländern machten Bulgarien erst die Lieferprobleme von AstraZeneca und nun das zunehmende Misstrauen gegenüber dem Impfstoff zu schaffen. Während ungenutzte AstraZeneca-Dosen in den Kühlhäusern lagern, sorgen die Impfungen mit den nun vermehrt eintreffenden Pfizer-Dosen für Unmut. Denn in der Prioritätsgruppe drei kommen vermehrt kerngesunde Bankangestellte, junge IT-Mitarbeiter sowie Angehörige von Unternehmern und Politikern zum Zug. Gleichzeitig harren Alte und chronisch Kranke noch immer auf einen Impftermin.