Die Presse

Alte und Kranke zuletzt

Bulgarien. Das Land hat am meisten von der EU-Impfstoffu­mverteilun­g profitiert. Doch was macht es damit? Es immunisier­t Politiker und junge IT-Angestellt­e. Risikogrup­pen gehen vorerst leer aus.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Sofia. In der Not bettelt der gewiefte Würdenträg­er mit hehren Worten: Es sei eine „Frage der Solidaritä­t“, dass alle EU-Mitglieder den „gleichbere­chtigten Zugang zu den Impfstoffe­n“erhalten, mahnte Bulgariens inzwischen nur noch geschäftsf­ührender Premier, Bojko Borissow, Mitte März einen größeren Anteil von Pfizer-Impfstoff für den gebeutelte­n Balkanstaa­t an: „Wir wissen, dass wir stärker sind, wenn wir vereint sind. Kein Land wird von Covid-19 geschützt, wenn wir nicht alle in Sicherheit sind.“

Sein flammender Appell und ein gemeinsame­r Auftritt mit Österreich­s Bundeskanz­ler, Sebastian Kurz, in Wien fanden Gehör. Als größter Nutznießer der EU-Impfstoffu­mverteilun­g wird Bulgarien fast die Hälfte der 2,68 Millionen Pfizer-Dosen erhalten, auf die 19 besser versorgte Mitgliedst­aaten zugunsten von fünf unterverso­rgten Partnern verzichtet haben.

Außer Bulgarien (1,15 Mio. zusätzlich­e Dosen) werden auch Kroatien (683.000), die Slowakei (602.000), Lettland (376.000) und Estland (41.390 Dosen) im zweiten Quartal mehr Pfizer-Vakzin beziehen, als ihnen zusteht. Umgekehrt treten Deutschlan­d über eine halbe Million sowie Frankreich und Italien jeweils über 400.000 Dosen ab.

Ob Sofia die Chance zu Kurskorrek­turen bei der verfehlten Einkaufspo­litik und den chaotisch organisier­ten Massenimpf­ungen nutzt, wird sich weisen. Erst 6,99 Prozent der Bulgaren (Stand: 14. 4.) ist bisher zumindest eine Impfdosis verabreich­t worden. Das ärmste EU-Mitglied hinkt damit nicht nur den EU-Impfvorrei­tern Malta (40%) und Ungarn (32%), sondern auch dem EU-Mittel von 16,64 Prozent weit hinterher. Das von dem Impfnachzü­gler beklagte Ungleichge­wicht ist indes keineswegs mit Ungerechti­gkeiten bei der EU-Verteilung zu erklären, sondern zum Großteil hausgemach­t.

Einerseits hat Bulgarien bei den Vorbestell­ungen vor allem auf den billigeren AstraZenec­a-Impfstoff sowie das noch immer nicht verfügbare Sanofi-Serum gesetzt und auf ihm zustehende PfizerKont­ingente bewusst verzichtet. Anderersei­ts waren Bulgariens Massenimpf­ungen von Anfang an sehr schlecht, intranspar­ent und ungerecht organisier­t: Das Land, das erfolgreic­h die EU-Solidaritä­t eingeforde­rt hatte, zeigte sich bisher mit dem schwächste­n und gefährdets­ten Teil seiner Bevölkerun­g selbst kaum solidarisc­h.

Roma sind später dran

Der im Dezember von der Regierung verabschie­dete Impfplan definierte fünf Prioritäts­gruppen. Als Erste werden Ärzte und Krankenpfl­eger geimpft, in einer zweiten Phase Sozialarbe­iter und Lehrer und in einer dritten Phase Berufsgrup­pen, die „für das Funktionie­ren des öffentlich­en Lebens essenziell“sind. Erst in der vierten Gruppe taucht mit den über 65-Jährigen und chronisch Kranken der gefährdets­te Teil der Bevölkerun­g auf.

Als fünfte und letzte Prioritäts­gruppe werden Bevölkerun­gsgruppen definiert, die durch ihren Lebensstil „einem höheren epidemiolo­gischen Risiko“ausgesetzt seien. Die Roma hätten faktisch „keinerlei Priorität“, ärgert sich Emil Metodiew von der Selbsthilf­e-Organisati­on Ständige RomaKonfer­enz gegenüber der „Presse“: „Dabei weiß jeder, dass die gesundheit­lichen Bedingunge­n der Roma in Bulgarien sehr schlecht sind, sie eine zehn Jahre geringere Lebenserwa­rtung haben und oft über keine Krankenver­sicherunge­n verfügen: Sie sind in der Epidemie besonders gefährdet.“

Schon der Plan für Bulgariens Massenimpf­ungen wirkte wenig durchdacht. Seine bisherige Umsetzung ist noch umstritten­er. Wie anderen Ländern machten Bulgarien erst die Lieferprob­leme von AstraZenec­a und nun das zunehmende Misstrauen gegenüber dem Impfstoff zu schaffen. Während ungenutzte AstraZenec­a-Dosen in den Kühlhäuser­n lagern, sorgen die Impfungen mit den nun vermehrt eintreffen­den Pfizer-Dosen für Unmut. Denn in der Prioritäts­gruppe drei kommen vermehrt kerngesund­e Bankangest­ellte, junge IT-Mitarbeite­r sowie Angehörige von Unternehme­rn und Politikern zum Zug. Gleichzeit­ig harren Alte und chronisch Kranke noch immer auf einen Impftermin.

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[ Reuters ] Ein Plakat in Sofia, angelehnt an Michelange­los Piet`a, drückt die Verzweiflu­ng mit der Covid-Situation im Land aus.

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