Wie sich die EU-Spitze auf der Weltbühne blamiert
Analyse. Das glatte internationale Parkett wird für die EU-Spitzenvertreter mitunter zur Rutschpartie. Anstatt nach außen Zusammenhalt und Stärke zu demonstrieren, lassen sich die Chefs der Institutionen vorführen.
Wien/Brüssel. Der jüngste diplomatische Eklat liegt keine drei Tage zurück. Am vergangenen Donnerstag traf im Kiewer Präsidentensitz ein Antwortschreiben der EUKommission an Staatschef Wolodymyr Selenskij ein. Der Präsident hatte Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu einer Feier anlässlich des 30. Jahrestags der Unabhängigkeit der Ukraine am 24. August eingeladen. Die unerwartete Absage aus Brüssel aber hatte von der Leyen nicht einmal selbst unterzeichnet – sondern ihr Kabinettschef Björn Seibert. Die Empörung in Kiew ist groß, zumal der Grund der Absage – ein angeblich übervoller Terminkalender – Fragen aufwirft: Im August sind die EU-Institutionen nämlich urlaubsbedingt geschlossen. Schnell bemühte man sich in der Kommission um Schadensbegrenzung – vergeblich. „Ein schwerer Fauxpas“urteilten internationale Diplomaten. Nun wird Ratspräsident Charles Michel anstelle von der Leyens nach Kiew reisen.
Der Belgier hat bei der Kommissionspräsidentin ohnehin noch etwas gutzumachen. Vor gut einer Woche waren beide EU-Spitzen gemeinsam nach Ankara geflogen, um den schwer strapazierten Beziehungen mit der Türkei neues Leben einzuhauchen. Inhaltlich bleibt von dem wichtigen Besuch leider wenig im Gedächtnis. Ein hochnotpeinlicher Affront – in sozialen Medien auf der ganzen Welt unter dem Hashtag „Sofagate“bekannt – überschattete das Treffen. In einem Video, aufgenommen im türkischen Präsidentenpalast, ist zu sehen, wie sich Michel ohne Zögern auf den Stuhl neben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan˘ setzt und so Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor laufenden Kameras brüskiert: Für die Deutsche steht keine Sitzgelegenheit neben den beiden Herren bereit. Stattdessen muss sie – sichtlich entsetzt – auf einer Couch in einigen Metern
Entfernung Platz nehmen, ihr gegenüber der türkische Außenminister Mevlüt C¸avus¸og˘lu. Schlimm genug, dass sich die beiden EUChefs von Erdogan˘ vorführen lassen wie miteinander konkurrierende Schulkinder, von denen das eine – wohl aufgrund seines Geschlechts – bevorzugt behandelt wird. Der Auftritt von Michel und von der Leyen demonstrierte auch, wie abhängig sich die Union von dem dominanten türkischen Machthaber mit dem im Jahr 2016 geschlossenen Flüchtlingsdeal gemacht hat.
„Kann nachts nicht schlafen“
Dass Michel seinen Fehler Tage später kleinlaut einräumte und in einem Interview gestand, wegen des Vorfalls nachts nicht schlafen zu können, ändert an den Bildern von Ankara nichts mehr. Dennoch wollte der Belgier die Welt wissen lassen: „Wenn es möglich wäre, würde ich zurückreisen und die Sache reparieren.“Es ist nichts Neues, dass EU-Vertreter in Gegenwart strategisch wichtiger, wenngleich oft schwieriger Partner in der unmittelbaren Nachbarschaft ein eher unsicheres und wenig bestimmtes Bild abgeben. Auch die Reise des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell nach Moskau im Februar bleibt dafür als Musterbeispiel im Gedächtnis. Eigentlich wollte der Top-Diplomat mit seinem Gegenüber – Außenminister Sergej Lawrow – über die Freilassung von Regierungskritiker Alexej Nawalny verhandeln. Lawrow nahm den Besuch zum Anlass, drei EU-Diplomaten auszuweisen und bei einer anschließenden Pressekonferenz mit Borrell die Konfrontation zu suchen. Der Außenbeauftragte hatte dem Frontalangriff wenig entgegenzusetzen.
Die Öffentlichkeit sei nicht der richtige Ort für Diskussionen, heißt es unter EU-Diplomaten. Es ist aber auch eine diplomatische Grundregel: Wer ernst genommen werden will, muss Entschlossenheit zeigen – und darf sich nicht spalten lassen.