En passant mit Queue auf Titeljagd
Snooker. Von einer WM lässt sich Ronnie O’Sullivan nicht mehr aus der Ruhe bringen. Skepsis, ob ihm der siebente Triumph gelingen kann, kostet er aus. „Ich liebe es, abgeschrieben zu werden.“
Sheffield/Wien. Welches Ziel verfolgt man als sechsmaliger Snooker-Weltmeister? Ronnie O’Sullivan verriet kürzlich: einen Marathon unter drei Stunden zu laufen. „Dafür ist eine Menge Hingabe notwendig und es ist sehr unwahrscheinlich, aber es ist möglich. Ich muss nur die Zeit finden, zu trainieren und mich zu erholen“, sagte er im Eurosport-Podcast. Rund 80 km läuft der Engländer pro Woche, auch weil sich das positiv auf seine Depression auswirkt. Das Programm mit dem Queue hat es jedenfalls nicht leichter gemacht, denn kurioserweise hat er während der vergangenen Monate mehr Turniere bestritten als sonst. „Die Pandemie hat mir erlaubt zu spielen, ohne zu viel zu reisen.“
Nur acht Monate nach seinem jüngsten WM-Triumph eröffnet O’Sullivan heute (11 Uhr, live Eurosport) im legendären „Crucible Theatre“in Sheffield die Jagd nach dem siebenten. Dass er seither zwar fünf Endspiele erreicht, aber keines davon gewonnen hat, beunruhigt ihn keineswegs. Diese Gelassenheit erachtet der SnookerStar vielmehr als seinen größten Trumpf. „Der Unterschied ist, dass die meisten zum Veranstaltungsort gehen und einfach nur spielen wollen. Ich aber gehe zum Turnier und schaue, dass ich meine Laufschuhe dabei habe und weiß, wo die guten Restaurants in der Umgebung sind. Zwischendurch spiele ich Snooker“, erläuterte der 45-Jährige seine Herangehensweise. „Ich werde versuchen, so weit wie möglich im Turnier zu kommen, aber wenn ich nicht gut spiele, dann weiß ich auch, dass das nicht so schlimm ist.“
Besser als die Gourmet-Torte?
O’Sullivan ist bekannt wie gefürchtet dafür, sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen und auch gern einmal die Rolle des Rüpels im Gentleman-Sport zu verkörpern. So kassierte „The Rocket“kürzlich bei der Pro Series in Milton Keynes eine Strafe, weil er zu spät zu einem Match erschienen war, in einem anderen kriegte er sich nach einem Furz vor Lachen nicht mehr ein. Die Eklats haben ebenso viel wie sein unvergleichliches, schnelles Spiel zu seinem Bekanntheitsgrad beigetragen. Nicht zuletzt taugte auch seine harte Lebensschule (Vater wegen Totschlag im Gefängnis; er selbst kämpfte mit Drogenproblemen) zur Heldengeschichte.
Der 37-fache Rekordturniersieger betont, dennoch ein vergleichsweise ruhiges, zufriedenes Leben zu führen. „Es ist nicht wie bei Michael Jackson oder David Beckham, wo man nirgendwo hingehen kann. Die Snooker-Fans kennen mich, aber ich habe keine Anhängerschaft, die vielleicht ein Fußballer hat. Daher ist es nicht so schlimm.“Zuletzt habe er sich drei freie Wochen gegönnt, sei nun gespannt auf die Standortbestimmung. Die Skepsis der anderen kostet der Routinier aus. „Ich liebe es, abgeschrieben zu werden.“
Zu seinem WM-Favoriten ernannte O’Sullivan den Australier Neil Robertson, dem er jüngst bei der Tour Championship im Finale unterlag. „Bäckt man aus all seinen Qualitäten eine Torte, kommt eine von Michel Roux (Anm. DreiSterne-Koch) heraus, die einfach fantastisch schmeckt“, schwärmte der Engländer über seinen Rivalen.
Fan-Testlauf im „Crucible“
Der neue Weltmeister soll jedenfalls wieder von Fans im „Crucible Theatre“gefeiert werden. Wie im August nutzt die britische Regierung die Snooker-WM als Versuchsballon für die Rückkehr der Zuschauer. Damals hatte O’Sullivan sich empört, er fühle sich als „Laborratte“. Nun sollen zum Auftakt die Ränge zu 33 Prozent gefüllt sein, und mittels kontinuierlicher Steigerung zum Finale am 3. Mai die Vollauslastung der 980 Plätze erreicht werden. „Es wird schön sein, ein paar Zuschauer wieder dabei zu haben. Hoffentlich sind sie alle geimpft“, appellierte der Titelverteidiger. Er selbst habe die Erkrankung seiner Mutter als „ziemlich beängstigend“erlebt.
Die Impfung ist für den Einlass nicht nötig, wohl aber ein negativer Covid-Test sowie ein verpflichtender fünf Tage danach. Es herrscht Maskenpflicht, jedoch kein Mindestabstand. Wer kein Ticket ergattert hat, um O’Sullivan live am Snooker-Tisch zu sehen, muss auf schönes Wetter hoffen – OutdoorGastronomie ist in England seit wenigen Tagen wieder erlaubt. Wen der Weltmeister selbst gern einmal beim Dinner um sich hätte, hat er kundgetan: Stephen Fry, Mike Tyson, Eminem und Usain Bolt.