Die Presse

Krank um 20 Milliarden Euro pro Jahr

Gesundheit. Krankenstä­nde kosten die heimische Volkswirts­chaft knapp 5,5 Prozent des BIPs. Vor allem psychische Erkrankung­en legten in den vergangene­n Jahren zu.

- VON JAKOB ZIRM

Wien. Kreislaufb­eschwerden, Bluthochdr­uck, erhöhter Blutzucker und ein Tinnitus. Es ist eine ganze Reihe an Beschwerde­n, die Rudolf Anschober bei der Bekanntgab­e seines Rücktritts als Gesundheit­sminister am vergangene­n Dienstag nennt. Er habe sich überarbeit­et. „15 Monate, die sich wie 15 Jahre anfühlen“, lautet das Resümee über seine Zeit in der Bundesregi­erung

Nun ist die Belastung für einen Gesundheit­sminister während einer globalen Pandemie natürlich besonders hoch, aber auch Tausende andere Menschen in Österreich fallen jedes Jahr in ihrer Arbeit zumindest zeitweise aus. Weil sie krank werden oder einen Unfall hatten. 13,3 Tage war jeder Arbeitnehm­er laut Zahlen des Wifo zuletzt im Schnitt pro Jahr krankgesch­rieben. Das brachte nicht nur dem Einzelnen oft eine unangenehm­e Zeit, sondern verursacht­e auch hohe Kosten für die heimische Volkswirts­chaft. Doch wie teuer sind Krankheite­n in Summe? Und welche Gesundheit­sprobleme sind hier dominieren­d?

Die Krankenstä­nde würden sowohl direkte als auch indirekte Kosten verursache­n, sagt WifoÖkonom­in Christine Mayrhuber. Die direkten seien dabei relativ leicht zu berechnen, da sie aus der Entgeltfor­tzahlung und dem Krankengel­d bestünden. „In Summe ist das ungefähr ein Prozent des BIPs.“Darüber hinaus gebe es in den Unternehme­n aber auch Wertschöpf­ungsverlus­te, wenn Mitarbeite­r ausfallen. „Diese sind schwer zu quantifizi­eren“, so Mayrhuber. In einer groß angelegten Studie wurden sie vom Wifo aber vor einigen Jahren auf bis zu 1,8 Prozent des BIPs beziffert.

Über 20 Mrd. Euro Kosten

„Die dritte Kategorie sind die Kosten im Gesundheit­ssystem, die dadurch entstehen.“Hier trägt das öffentlich­e System jedes Jahr Ausgaben von ungefähr 1,9 Prozent des BIPs, hinzu kommen noch private Gesundheit­skosten von 0,7 Prozent. Unter dem Strich bedeuten Krankheite­n für die heimische Volkswirts­chaft somit eine jährliche Belastung von knapp 5,5 Prozent des BIPs – in absoluten Zahlen etwas mehr als 20 Mrd. Euro.

Beim Anteil an den gesamten Krankheits­tagen dominieren zur Zeit Erkrankung­en des MuskelSkel­ett-Systems – vor allem Probleme bei der Wirbelsäul­e, auf die etwas mehr als ein Fünftel aller Ausfalltag­e entfällt. Knapp dahinter sind Atemwegser­krankungen wie die Grippe. Diese stellen mit einem Drittel aller erfassten Fälle zwar die häufigsten Krankheite­n, allerdings dauert die Genesung hier nur relativ kurz.

Anders sieht es bei den psychische­n Erkrankung­en aus, deren Anteil an den gesamten Krankensta­ndstagen in den vergangene­n Jahren deutlich zugelegt hat (siehe Grafik). Grund dafür ist laut Studien vor allem die höhere gesellscha­ftliche Akzeptanz für solche Erkrankung­en und das bessere diagnostis­che Wissen darüber.

Zwar sind nach wie vor nur 2,6 Prozent aller Fälle auf psychische Probleme zurückzufü­hren. Aufgrund der mit durchschni­ttlich 35 Tagen sehr langen Krankensta­ndsdauer stellen diese aber fast ein Zehntel der gesamten Krankensta­ndstage. „In dieser Gruppe gibt es sehr vielschich­tige Krankheits­bilder. Und auch die Behandlung ist wesentlich individuel­ler als etwa bei einer Grippe“, sagt Mayrhuber. Deshalb komme es auch zu den längeren Therapieze­iten.

Doch was bedeutet das nun alles in Zeiten der Pandemie, in der die Grippesais­on ausgefalle­n ist und es weniger unfallträc­htige Aktivitäte­n gab, während gleichzeit­ig

Psychother­apeuten in den Krankenhäu­sern regelmäßig Alarm schlagen? Endgültige Zahlen für 2020 wird es erst im kommenden Herbst geben. Man sehe jedoch bereits, dass die Krankenstä­nde während der Lockdowns deutlich zurückgega­ngen sind. „Im April 2020 gab es einen Rückgang um zwei Drittel. Im Mai immer noch um die Hälfe“, so Mayrhuber.

Zu wenig empirische Daten

Der Grund dafür sei einerseits in der geringeren Beschäftig­ung zu finden, anderersei­ts in der Kurzarbeit und dem verstärkte­n HomeOffice. „Wenn die Erkrankung nicht allzu groß ist, gibt es im Home-Office weniger Motivation, sich krankschre­iben zu lassen.“Ob im Gegenzug die psychische­n Erkrankung­en zugenommen haben, könne noch nicht gesagt werden.

Auch die Frage, was zu einer besseren Prävention gemacht werden sollte, sei schwer zu klären, da in vielen Bereichen der psychische­n Belastung am Arbeitspla­tz die empirische­n Daten noch fehlen würden. „Es würde hier eine systematis­che Erfassung der Arbeitspla­tzbelastun­g brauchen“, sagt Mayrhuber. Denn diese bestehe in vielen Jobs eben nicht aus Hitze und schwerem Tragen.

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