Und jedem Erstling wohnt ein Zauber inne
Streamingtipps. Das Filmdebüt der Oscar-Anwärterin Chloe´ Zhao wurde online veröffentlicht. Wie bei vielen arrivierten Kollegen spürt man schon dort Talent und Ambition: Wir empfehlen sieben sehenswerte Einstandswerke.
Nicht alle haben klein angefangen: Die Filmgeschichte birgt etliche Beispiele für Regiekünstler, die gleichsam in voller ästhetischer Montur auf die Welt kamen und vor Stilbewusstsein strotzend schon mit ihrem Erstlingswerk die Kinnladen zum Herunterkippen brachten. Chloe´ Zhao, deren dritter Film „Nomadland“reihenweise Preise einheimst (und gute Oscar-Chancen hat), konnte mit ihrem Debüt „Songs My Brothers Taught Me“(derzeit als exklusive Wiederveröffentlichung auf Mubi) zwar keinen Senkrechtstart hinlegen, ihr
Talent war aber schon damals klar ersichtlich. Das Porträt eines Ureinwohnerreservats in South Dakota beeindruckt mit souveräner Balance zwischen Dokumentarcharakter, Stimmungsmalerei und klassischem Erzählwillen. Im Fokus steht eine Familie, die der Sohn mit Alkoholverkauf über Wasser hält. Kurz nach dem Unfalltod des Vaters treiben wir mit ihm und seiner jüngeren Schwester durch den Alltag der randständigen Gemeinde, wobei die Tristesse der Verhältnisse von menschlicher Wärme und der erhabenen Landschaft gepolstert wird. Bei der Recherche zum Film lernte Zhao den Rodeoreiter Brady Jandreau kennen: Laienhauptdarsteller ihres Zweitlings „The Rider“, der sie 2017 wirklich bekannt machte. Mubi
Vom Videotheksangestellten zum Starregisseur! Eine regelrechte Aschenputtel-Story steht am Anfang des Werdegangs von Quentin Tarantino, dessen quasi über dem Ladentisch entworfenes Erstlingswerk von Harvey Keitel protegiert wurde. Es war jedoch auch clever konzipiert – und als minimalistisches Gangsterkammerspiel voller knackiger Rollen für wagemutige Charakterdarsteller auf Kleinbudget getrimmt. Mit seiner enzyklopädischen Genrekenntnis machte der ehrgeizige Anfänger das beste aus diesen Zutaten. Der Rest ist Filmgeschichte. Netflix
Sie dachten, das Regiedebüt von Orson Welles sei „Citizen Kane“? Stimmt eh. Aber schon 1938 stellte das jüngst im Oscar-Favoriten „Mank“sanft vom Genie-Sockel geschobene Wunderkind sein filmisches Talent unter Beweis, mit der Leinwandergänzung einer Aufführung seiner Mercury-TheatreTruppe. Wo „Mank“die Ästhetik der 1940er imitiert, ahmt „Too Much Johnson“augenzwinkernd Stummfilmkomik aus den 1910ern nach. Eine irrwitzige Retroreise über die (realen) Dächer von New York. Vorbildlich restauriert, wurde das rezente Fundstück diesen März vom George Eastman Museum kostenfrei online gestellt, versehen mit Klavierbegleitung und einem informativen Kommentar. George Eastman Museum
Wenn wir schon bei „Mank“sind: Auch dessen Schöpfer, David Fincher, musste sich seine HollywoodSporen trotz Nimbus als Musikvideomeister hart verdienen. Sein Debüt war eine Fortsetzung der „Alien“–Reihe, deren finstere SciFi-Vision zu Knatsch mit den Produzenten führte. Der mittlerweile Arrivierte blickt ungern auf seinen Einstand zurück, doch manche zählen das Düsterstück zu seinen besten Arbeiten. Netflix, Amazon
„Fast & Furious“mit Radl: Im jugendlich beschwingten Debüt Stefan Ruzowitzkys flitzt Xaver Hutter tagträumend durch Wien und findet die Liebe. Ein aufgedrehter Kino-Rave lang vor hehren OscarWeihen. Kino VOD Club (4,90 €)
Nicht nur von sich machte Celine´ Sciamma mit ihrem ersten Langfilm „Water Lilies“reden. Auch die längst zum Kunstfilmstar avancierte Ad`ele Haenel sorgte darin mit ihrer Darstellung einer frühreifen Synchronschwimmerin für Aufsehen. Im Keim zeichnet die amourös angehauchte Freundschaft ihrer Figur mit einem einsamen Mauerblümchen bereits die Liebesgeschichte in Sciammas späterem Durchbruch „Porträt einer jungen Frau in Flammen“vor. Wobei sich die Regie schon hier stilsicher zeigt. Mubi
Falls das Cannes-Filmfestival heuer stattfindet, hat Spike Lee den Juryvorsitz inne. 1986 erhielt er in Frankreich einen Jugendpreis für sein Langfilmdebüt, in dem er selbst mitspielte: als flegelhafter Freier eines selbstbewussten Models, das sich nicht zwischen drei Liebhabern entscheiden kann. Lees politischer Furor züngelt hier noch auf Sparflamme, doch seine Lust am Plakativen (und an Jazz) bricht sich schon Bahn. 2017 drehte er eine Serienfortsetzung. Netflix