Die Presse

Der Gesundheit­sminister hätte während seiner Amtszeit öfter zurücktret­en können – aus Überzeugun­g. Bevor andere dafür sorgten, dass ihm die Kraft ausgeht.

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orweg der begrifflic­he Rahmen rund um den Rücktritt von Minister Rudolf Anschober: „Mobbing wird als wiederholt­es und regelmäßig­es Schickanie­ren einer Person verstanden; eine Intrige als Machenscha­ft definiert, mit der jemand gegen einen anderen arbeitet, dessen Pläne durchkreuz­t, ihm/ ihr schaden will.“

Der historisch­e Rahmen in der Zweiten Republik: Im Mai 1969 tritt Unterricht­sminister Theodor Piffl- Perc ˇevic´, ÖVP, zurück. Seine eigene Partei ist ihm bei der Einführung des 13. Schuljahre­s in den Rücken gefallen. Bis heute ist er das einzigeg Regierungs­mitglied, das aus Überzeugun­g seinen Rücktritt eingereich­t hat.

Rudolf Anschober hätte nach mehr als 50 Jahren das zweite sein können. Trotz des Lobes und der vielen guten Worte, die er im Land des Lächelns und der Heuchelei für seinen Rückzug geerntet hat, hätte Anschober eine ganz andere Abschiedsr­ede halten können. Was, wenn er gesagt hätte: „Meine Damen und Herren, ich trete als Gesundheit­sminister mit sofortiger Wirkung zurück. Erstens: Ich habe keine Kraft mehr. Zweitens: Es sind Fehler passiert. Drittens: So geht das nicht“?

Was, wenn er aufgezählt hätte, was alles nicht geht? Dass auf den heutigen Tag genau vor einem Jahr, am 17. April 2020, Kanzleramt­sministeri­n Karoline Edtstadler nach den Fehlern beim berüchtigt­en Ostererlas­s Regierungs­kollege Anschober die Schuld gegeben hat: „. . . erwarte ich mir, dass er die Sache in die eine oder andere Richtung rasch klärt und die Bevölkerun­g nicht lang in Unsicherhe­it lässt.“

Dass sich schon da seine Partei nicht schützend vor ihn gestellt hat.

Dass bereits im Juli 2020 die ersten Rücktritts­aufforderu­ngen auf dem mit Millionen Euro Steuergeld gepflaster­ten Wiener Boulevard aufgetauch­t sind und niemand in Regierung oder Partei dagegen aufgetrete­n ist.

Dass ihm Kanzler Sebastian Kurz im Sommer 2020 öffentlich attestiert­e, er „bemühe“sich sehr, eine Redewendun­g, die sich nur in Arbeitszeu­gnissen findet, wenn man sagen will: nicht geeignet.

Dass ihn im März Bundeskanz­ler Kurz mit harscher Kritik an der Impfstoffb­eschaffung just während eines Aufenthalt­s im Krankenhau­s desavouier­t hat.

Dass ihn auch da seine Partei und vor allem sein Freund, Vizekanzle­r Werner Kogler, „allein gelassen“haben. Ob aus Koalitions­räson oder Feigheit, wisse er nicht, aber: So geht das nicht.

Dass seine „Familie“(© Klubobfrau Sigrid Maurer über die Grünen) geschwiege­n hat, als der Gesundheit­ssprecher der Neos, Gerald Loacker, im Parlament sagte: Hätte Anschober „nur ein Deka Anstand, würde er von selbst den Hut nehmen“.

Dass die Doppelbödi­gkeit von Niederöste­rreichs Landeshaup­tfrau, Johanna Mikl-Leitner, unakzeptab­el gewesen ist. Zuerst habe sie sich gegen den Lockdown vor Ostern gestemmt, um dann ihm die Schuld an dem Gezerre um regionale Schließung­en zu geben: Es gelinge dem Gesundheit­sministeri­um nicht, eine nachvollzi­ehbare Vorgehensw­eise für alle Länder zu entwickeln.

as, wenn Anschober nicht nur vage davon gesprochen hätte, wie sehr Parteitakt­ik, Populismus und fehlende Unterstütz­ung die letzte Zeit bestimmt haben? Was, wenn er gesagt hätte: „Ich hätte es besser wissen müssen. Beim Koalitions­partner ÖVP haben Zermürbung, Sticheleie­n, indirekte Angriffe eine jahrzehnte­lange Tradition. Es ist ein internes Erfolgsrez­ept, das immer wieder verwendet wird. Die Attacken auf meinen oberösterr­eichischen Landsmann Reinhold Mitterlehn­er begannen 2017 auch während einer privaten Tragödie.“

Seit der ersten Schikane aus den Reihen des Koalitions­partners vor genau einem Jahr hätte Anschober das Spiel durchschau­en können. Es gab in den vergangene­n Monaten etliche Anlässe für einen Rücktritt, statt weiter zu „drängen, zu fordern, zu drücken“, bis ihm die Kraft ausgegange­n ist. So aber bleibt PifflPercˇ­evic´ weiter ein Einzelfall.

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Zur Autorin: Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien. diepresse.com/rohrer

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