Zum Herrscher aufblicken wie zu einem Gott
Europas Fürsten nutzten Deckenfresken gern als Medien der Selbstdarstellung und Machtinszenierung. Eine umfassende Publikation bietet erstmals einen Überblick über die profane Deckenmalerei.
Das hatte man in Wien noch nie gesehen. Der Venezianer Sebastiano Ricci zauberte ab 1701 ein monumentales Fresko an die Decke des einstigen Audienzsaals von Schloss Schönbrunn. Es wirkt wie eine imposante Einladung an den Betrachter, den Tugendweg des jungen Helden über eine Wolkenbahn zu begleiten: vom sündigen, der Venus zugeneigten Leben an der Südseite (womöglich eine Anspielung auf die offenherzige sexuelle Lebensweise Josephs I.) bis zum Empfang durch Aeternitas mit Lorbeerkranz und Schlangenring, einem Symbol für die Ewigkeit. Dahinter, an der Nordseite des Plafonds, stürzen die Bösen vom Himmel herab.
„Eine großartige Inszenierung“, sagt Herbert Karner vom Institut für die Erforschung der Habsburger-Monarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der Kunsthistoriker hat gemeinsam mit Stephan Hoppe und Heiko Laß von der Universität München den kürzlich erschienen Prachtband „Deckenmalerei um 1700 in Europa. Höfe und Residenzen“(Hirmer Verlag, 316 Seiten, 59,60 €) herausgegeben. Zudem zeige Riccis Fresko – als isoliertes Werk nördlich der Alpen – keine Spur von Stuck, wie es damals im Barock noch weitgehend üblich war.
Dimensionen verschmelzen
Deckenfresken faszinieren Karner schon seit seiner Dissertation über das scheinarchitektonische Werk Andrea Pozzos. Der italienische Jesuit stattete – ebenfalls knapp nach 1700 – die Wiener Universitätskirche neu aus: Wie dieser mit Illusion und dem Schaffen fiktiver Räume gespielt habe und so die göttliche Dimension mit der des Gläubigen verschmelzen ließ, sei neben der Freskenkunst Riccis der zweite Knalleffekt der Zeit gewesen, sagt Karner. „Das waren Vorläufer des Digitalen. Raumillusionen sind heute in Videospielen selbstverständlich.“
Doch Ricci wählte einen ganz anderen Ansatz. Er verzichtete in seiner Malerei auf jegliche Scheinarchitektur, die man sonst gern nutzte, um einen Raum größer wirken zu lassen. „Er setzte seinen Illusionsraum direkt auf den Gebäudesims“, schildert Karner. „Das war ungewöhnlich.“
Dimensionen des Göttlichen finden sich damals nicht nur in Kirchen, sondern auch in den Residenzen der Herrschenden: „Die Habsburger bis Karl VI. ließen sich nicht persönlich porträthaft darstellen, sondern suchten Allegorien in der Götterwelt“, erklärt Karner. Während Jupiter oder Zeus dabei meist dem Kaiser vorbehalten blieben, wurden andere Fürsten oft in Gestalt des antiken Kriegsherren Herkules oder Apollo, dem Gott des Lichts, des Frühlings und der Künste abgebildet, ihre Gattinnen als Jagdgöttin Diana oder als Venus, die für Liebe und Schönheit steht.
Dabei hatte man sich im 17. Jahrhundert im Sinne der christlichen Tugend der Humilitas (Demut, lat.) noch eher bescheiden präsentiert: „Die Habsburger nutzten das als Markenzeichen, um sich klar von den französischen Rivalen abzugrenzen“, sagt Karner. So sei auch die Ausstattung der Hofburg mit jener von Versailles nicht vergleichbar gewesen. Mit der Vergnügungen zugeneigten Lebensweise Josephs I. änderte sich das jedoch mit einem Schlag und unter seinem Nachfolger Karl VI. beginnt sich die herrscherliche Repräsentation mittels Medien der Kunst zu internationalisieren.
Die Deckengemälde, auf denen sich Fürsten einst inszenierten, können die Kunsthistoriker allerdings nur selten aus der Nähe betrachten. „Für uns stellt niemand extra ein Gerüst auf“, sagt Karner. Jedoch nutze man ein solches gern, wenn es für eine Sanierung ohnehin aufgebaut wird. „Wir arbeiten viel mit Fotografien und theoretischer Literatur. Aber von oben ergibt sich ein völlig anderer Eindruck von der absichtsvollen
Verzerrung“, sagt Karner. Wie diese einst zustande kam, ist bis heute rätselhaft. Zwar habe etwa Pozzo in einem zweibändigen, mit vielen Kupferstichen ausgestatteten Traktat erklärt, wie die Winkel der perspektivischen Verkürzung zu berechnen seien; doch die Maler konnten nicht einfach nach unten steigen und die Wirkung kontrollieren. Das Gerüst, auf dem sie bei ihrer Arbeit lagen, hätte den Blick hinauf verdeckt. „Es bedurfte also eines unglaublichen Erfahrungsschatzes“, sagt Karner.
Italien, das große Vorbild
Um andere Eindrücke von der Deckenmalerei der Zeit zu gewinnen, haben sich die verschiedenen europäischen Forschungsgruppen 2005 vernetzt. Dadurch offenbarte sich so manche Parallele: Die Konfession schien in der Malerei bedeutungslos zu sein. „Es spielte keine Rolle, ob ein Fürst protestantisch oder katholisch war“, so Karner. Die Annahme, dass sich die protestantische Kunst eher auf das Wort bezog, habe für den Hochadel nicht gestimmt. Und: „Egal, ob man Protestant oder Katholik war, ob Franzose oder Schwede: Man ging immer mit demselben Potenzial um – und das war im
Kern italienisch“, sagt Karner. Wie sehr das Medium der Deckenmalerei auch Ausdruck der Macht war, zeigten die Franzosen. „Sie wollten beweisen, dass sie es besser können – und damit auch ihre Auftraggeber besser seien als die italienischen“, schildert Karner. Während man hierzulande im sakralen wie im profanen Bereich der Deckenmalerei bis zum Ende der Herrschaft Maria Theresias treu blieb, verschwand sie in Frankreich auch deutlich früher. „Man löste sich radikal von der italienischen Art, ab 1720 werden die Decken weiß“, erzählt Karner.
Doch auch in Österreich wurde so manches einstige Prunkstück nicht in seiner ursprünglichen Form bewahrt. Um Platz für ihre Familie zu schaffen, ließ Maria Theresia Schloss Schönbrunn einst ausbauen. Der Fußboden unter dem Deckenfresko Sebastiano Riccis wurde durchgebrochen, in den Hohlraum ein Stiegenhaus eingesetzt, heute als „Blaue Stiege“bekannt. Riccis Malerei blieb zwar erhalten, „jedoch in einem völlig veränderten räumlichen und zeremoniellen Kontext“, so Karner. Wie passend dieser für die aufwendig inszenierte Götterwelt war, sei dahingestellt.