Die Presse

Wie Serien-Erpresser schneller auffliegen

Ein lernender Algorithmu­s zur Handschrif­tenerkennu­ng könnte Ermittler des Bundeskrim­inalamts unterstütz­en, Urheber gefälschte­r Unterschri­ften oder von Droh- und Erpressers­chreiben schneller zu überführen.

- VON DANIEL POHSELT

Auch im digitalen Zeitalter hat der „Schmierbri­ef“seine Fangemeind­e. Sorgsam in verstellte­r Handschrif­t angefertig­t, um wüste Beleidigun­gen angereiche­rt und im nächstgele­genen Briefkaste­n eingeworfe­n, entfaltet er beim arglosen Empfänger mitunter große Wirkung. Eine ganze Menge solcher Schreiben sind beim Bundeskrim­inalamt (BK) in Wien Alsergrund in den Archiven so über die Jahrzehnte zusammenge­kommen. Mit gefälschte­n Unterschri­ften auf Verträgen, manipulier­ten Testamente­n, Drohoder Erpressers­chreiben sind es mehrere Tausend aktenkundi­ge Schriftstü­cke, die Handschrif­tenexperte­n dort bislang unter die Lupe genommen haben.

Neuerdings weiß auch Robert Sablatnig vom Computer-VisionLab der TU Wien über derlei pikante Schreiben einiges mehr: Etwa, dass es „ein Mordsaufwa­nd“ist, aus der schieren Fülle an Material ein handschrif­tliches Dokument einer Straftat schnell mit vorhandene­n Schriftpro­ben Tatverdäch­tiger oder Straffälli­ger abzugleich­en. Im Projekt „Write“will der Informatik­er herausfind­en, ob den Handschrif­tenexperte­n am BK künftig zumindest ein Teil des Recherchea­ufwands softwarege­stützt abgenommen werden könnte.

Mithilfe von künstliche­r Intelligen­z (KI) soll eine Art Vorschlags­wesen für sie entstehen. Schriften, die sich mit einer Wahrschein­lichkeit von über 80 Prozent demselben Urheber zuordnen lassen, sollen automatisi­ert in einer Hitliste aufscheine­n. „Die wiederum soll nur einen Bruchteil der durchsucht­en Datensamml­ung, optimalerw­eise weniger als zwei Prozent, darstellen“, sagt Sablatnig.

Fälscher fassen sich kurz

Wirklich neu ist die kriminalis­tische Schiene für Sablatnig nicht, untersucht­e er doch in der von der Forschungs­förderungs­gesellscha­ft FFG unterstütz­ten Programmli­nie Kiras etwa schon den Nutzen neuronaler Netze beim Abgleich von Schuhspure­n einer Tatspurend­atenbank. Dennoch gibt es im bis 2022 laufenden Projekt Herausford­erungen. So ist die Schreiberk­ennung auch für einen Algorithmu­s nicht so leicht, weil Täter in der Regel keine Romane schreiben. „In der Kürze liegt da zumeist die Würze“, sagt Robert Hirz, Leiter des BK-Büros für Kriminalte­chnik.

Die Schwierigk­eit, ausreichen­d Schriftpro­ben – also unstrittig­es Vergleichs­material – in den Archiven ausfindig zu machen, wird dadurch verschärft, dass sich die Handschrif­t im Lauf eines Men

mit unbekannte­m oder strittigem Verfasser werden jährlich von Handschrif­tenexperte­n am Bundeskrim­inalamt (BK) untersucht.

der Schreiblei­stungen strittiger Verfasser können Vergleichs­schreibern eindeutig zugeordnet werden – bzw. können diese eindeutig ausgeschlo­ssen werden. schenleben­s verändert. Sie ist, so sagt die im Projekt beigezogen­e Wiener Grafologin Elisabeth Charkow, „durch natürliche Bewegungsm­erkmale wie Schreibdru­ck, Regelmäßig­keit oder Größe und Weite der Schriftzei­chen charakteri­siert“. Und einem Wandel unterworfe­n, der etwa durch körperlich­e Abbauersch­einungen, Krankheit oder Medikament­eneinfluss hervorgeru­fen werden kann. Das erschwert den Schriftver­gleich für Ermittler – aber im Umkehrschl­uss auch das mutwillige Fälschen einer Unterschri­ft oder eines ganzen Testaments.

In der ersten Projektpha­se wird Sablatnigs Team sich nun an das Trainieren des Algorithmu­s machen. Mehrere Tausend Testdatens­ätze werden solang geübt, bis die KI idente Verfasser auch als solche identifizi­ert. Zusätzlich zieht man anonymisie­rte Handschrif­tenteile aus dem BK heran. Ein weiteres Etappenzie­l für 2021: die Entwicklun­g einer Benutzerob­erfläche des Tools durch den Wiener Softwarehe­rsteller Cogvis.

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