Wie Serien-Erpresser schneller auffliegen
Ein lernender Algorithmus zur Handschriftenerkennung könnte Ermittler des Bundeskriminalamts unterstützen, Urheber gefälschter Unterschriften oder von Droh- und Erpresserschreiben schneller zu überführen.
Auch im digitalen Zeitalter hat der „Schmierbrief“seine Fangemeinde. Sorgsam in verstellter Handschrift angefertigt, um wüste Beleidigungen angereichert und im nächstgelegenen Briefkasten eingeworfen, entfaltet er beim arglosen Empfänger mitunter große Wirkung. Eine ganze Menge solcher Schreiben sind beim Bundeskriminalamt (BK) in Wien Alsergrund in den Archiven so über die Jahrzehnte zusammengekommen. Mit gefälschten Unterschriften auf Verträgen, manipulierten Testamenten, Drohoder Erpresserschreiben sind es mehrere Tausend aktenkundige Schriftstücke, die Handschriftenexperten dort bislang unter die Lupe genommen haben.
Neuerdings weiß auch Robert Sablatnig vom Computer-VisionLab der TU Wien über derlei pikante Schreiben einiges mehr: Etwa, dass es „ein Mordsaufwand“ist, aus der schieren Fülle an Material ein handschriftliches Dokument einer Straftat schnell mit vorhandenen Schriftproben Tatverdächtiger oder Straffälliger abzugleichen. Im Projekt „Write“will der Informatiker herausfinden, ob den Handschriftenexperten am BK künftig zumindest ein Teil des Rechercheaufwands softwaregestützt abgenommen werden könnte.
Mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) soll eine Art Vorschlagswesen für sie entstehen. Schriften, die sich mit einer Wahrscheinlichkeit von über 80 Prozent demselben Urheber zuordnen lassen, sollen automatisiert in einer Hitliste aufscheinen. „Die wiederum soll nur einen Bruchteil der durchsuchten Datensammlung, optimalerweise weniger als zwei Prozent, darstellen“, sagt Sablatnig.
Fälscher fassen sich kurz
Wirklich neu ist die kriminalistische Schiene für Sablatnig nicht, untersuchte er doch in der von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG unterstützten Programmlinie Kiras etwa schon den Nutzen neuronaler Netze beim Abgleich von Schuhspuren einer Tatspurendatenbank. Dennoch gibt es im bis 2022 laufenden Projekt Herausforderungen. So ist die Schreiberkennung auch für einen Algorithmus nicht so leicht, weil Täter in der Regel keine Romane schreiben. „In der Kürze liegt da zumeist die Würze“, sagt Robert Hirz, Leiter des BK-Büros für Kriminaltechnik.
Die Schwierigkeit, ausreichend Schriftproben – also unstrittiges Vergleichsmaterial – in den Archiven ausfindig zu machen, wird dadurch verschärft, dass sich die Handschrift im Lauf eines Men
mit unbekanntem oder strittigem Verfasser werden jährlich von Handschriftenexperten am Bundeskriminalamt (BK) untersucht.
der Schreibleistungen strittiger Verfasser können Vergleichsschreibern eindeutig zugeordnet werden – bzw. können diese eindeutig ausgeschlossen werden. schenlebens verändert. Sie ist, so sagt die im Projekt beigezogene Wiener Grafologin Elisabeth Charkow, „durch natürliche Bewegungsmerkmale wie Schreibdruck, Regelmäßigkeit oder Größe und Weite der Schriftzeichen charakterisiert“. Und einem Wandel unterworfen, der etwa durch körperliche Abbauerscheinungen, Krankheit oder Medikamenteneinfluss hervorgerufen werden kann. Das erschwert den Schriftvergleich für Ermittler – aber im Umkehrschluss auch das mutwillige Fälschen einer Unterschrift oder eines ganzen Testaments.
In der ersten Projektphase wird Sablatnigs Team sich nun an das Trainieren des Algorithmus machen. Mehrere Tausend Testdatensätze werden solang geübt, bis die KI idente Verfasser auch als solche identifiziert. Zusätzlich zieht man anonymisierte Handschriftenteile aus dem BK heran. Ein weiteres Etappenziel für 2021: die Entwicklung einer Benutzeroberfläche des Tools durch den Wiener Softwarehersteller Cogvis.