Staatsversagen an den Grenzen
Die Pandemie hat fast alle Regierungen kompromittiert. Die linken, die liberalen, die rechten.
Laut einer Umfrage des Market-Instituts hat sich das Vertrauen der Österreicher in ihre demokratische Institutionen halbiert. Das sind schockierende Zahlen, die ich aber für glaubhaft halte, da auch mein Vertrauen verloren ist. Ich bin nämlich so circa der Letzte, der noch durch dieses Europa reist – und sehe das Versagen. Die Pandemie hat – mit Ausnahme allenfalls von Teilen der skandinavischen Linken – alle in Europa regierenden Ideologien kompromittiert: Da sind Linke in Spanien, die Millionen Menschen in Wohnungen einsperrten, aus denen man in den Müllschacht hinein, nicht aber ins Freie hinaussieht. Da ist in Frankreich ein Liberaler, der die Bürger wiederholt nur mit Passierschein auf die Straße ließ. Da ist ein Nationalist in Ungarn, der trotz der höchsten Impfquote der EU die Anomalie von 250 bis 300 Toten täglich zuwege bringt.
Obwohl sie meine Reisen behindern, maule ich keineswegs gegen alle Maßnahmen. Immer wenn ich in Rumänien Rast machen wollte, ob im östlichen Valea Lupului oder im westlichen Nadlac, waren das spontan gesperrte Gemeinden. Das war Pech, vielleicht hilft die mittelalterliche Methode des Abschottens verseuchter Orte aber doch? Gewiss, viele Fehler der ersten Welle müssen wir den Regierenden verzeihen. Gilt das aber auch für die sture Wiederholung der immer gleichen Idiotien? Im 14. Monat der Pandemie durchreise ich Staaten, die Mundschutz im Freien vorschreiben, in Innenräumen aber nicht, und in den Monaten 9 bis 14 – während unwirtlicher Winternächte – waren über weite Teile Europas Ausgangssperren verhängt.
Dabei ist gerade die Ausgangssperre ein höchst fragwürdiges Instrument: Entweder wird sie durch Ausnahmen unwirksam (die
Slowakei brachte es einmal auf 15 Ausnahmen, „Gang zum Kauf eines Weihnachtskarpfens“inklusive). Oder sie kann tragische Folgen haben (zermürbt von der Pflicht, Ausgang im Umkreis von maximal zwei Kilometern an den Zivilschutz zu melden, begannen sich Griechen in Wohnungen zu treffen, und die Infektionen explodierten trotz Lockdown). Griechenland hat daraus gelernt, andere Regierungen (arme Prager!) treiben den Irrsinn weiter. Die Slowakei experimentierte mit einer nächtlichen Ausgangserlaubnis, mit Bürgerfreiheit zwischen 01:00 und 05:00 Uhr. Ich überlegte tatsächlich, die Kinder zwecks Besuch der slowakischen Oma aus dem Bett zu reißen.
Beunruhigend ist zu sehen, dass den Staaten durchwegs die Fähigkeit zur Kontrolle ihrer Grenzen abgeht. Nach Dutzenden Transitfahrten beschlich mich der Verdacht, dass auch einige Nicht-Schengen
QLänder gar keine Evidenz führen. Einmal musste ich durch Bulgarien. An der Grenze war nur ich. Nach bulgarischem Recht musste jeder Einreisende medizinisch untersucht werden. Man schickte mich zu einem Container, zur „Doktorka“. Da mich Mazedonier am Vorabend abgefüllt hatten, hatte ich rote Augen. Ich sah krank aus. Die Doktorka ließ mich lächelnd, ohne ihren Container zu verlassen, passieren.
Kaum ein Staat verfügt über Beamte, welche die vorgeschriebenen Corona-Tests identifizieren können. Einmal umringten mich vier rumänische Offizielle, einer wiederum ein „Doctor“, alle vier wollten mir mit meinem deutschsprachigen Antigentest den Aufenthalt in Rumänien erlauben. Rumänien akzeptierte aber nur englische PCRTests. Derartige Inkompetenz bemerkte ich in mehreren Ländern.
Der Westen ist nicht fähiger, westeuropäische Länder kontrollieren ihre Reiseverbote am liebsten gleich gar nicht. Ich mag die Präsenzdiener, die an den Ostgrenzen Österreichs stehen, sie sind gutmütig gestimmt. Als ich dort den besten PCR-Test meines Lebens vorwies (Original mit Stempel und Unterschrift, Abstrich in Rachen und Nase, internationale Laborkette), fragte mich ein Rekrut: „Was ist das, Corona-Test, oder was?“Auch die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt vermag ihre Grenzen bei allem Södergebrüll nicht zu bewachen. Beim Schichtwechsel der Polizei sind Grenzübergänge schon einmal vier Stunden verwaist.
Das Vertrauen in die staatlichen Institutionen ist eingebrochen, weil die Leute das Versagen sehen. Ich hatte im vergangenen Halbjahr genau drei private Treffen mit jeweils nur einer Person, absolviere alle paar Tage einen Test und verhalte mich vernünftig. Innen drin ist aber etwas angeknackst.