Die Presse

„Ein Fenster heizt wie ein Föhn“

Fassaden. Die Sommer werden immer heißer, und viele Häuser sind dafür nicht ausgelegt. Was tun, um Lebensqual­ität und Ressourcen­schonung langfristi­g in Einklang zu bringen?

- VON ANTONIE ECKHARDT

Die größte Schwachste­lle der Häuser, was die Wärmeentwi­cklung betrifft, sind eindeutig die Fenster“, konstatier­t Azra Korjenic, Leiterin des Forschungs­bereichs Ökologisch­e Bautechnol­ogien der TU Wien, und ist sich damit mit nahezu allen Experten einig. „Maßnahme Nummer eins ist die Beschattun­g der Fenster. Ein anschaulic­hes Bild: Ein Quadratmet­er südseitige­s Fenster heizt so viel wie ein ständig eingeschal­teter Haarföhn“, erläutert Klaus Haberfelln­er, Geschäftsf­ührer der Austrother­m GmbH. „Ein verglastes Haus ist per se unökologis­ch“, geht Architekt Klaus-Jürgen Bauer gedanklich noch einen Schritt weiter.

Teufelskre­is Klimaanlag­e

Die zurzeit vermutlich am meisten praktizier­te Methode, einfach die oft nachträgli­ch eingebaute Klimaanlag­e auf höchste Stufe zu stellen, wird von allen Experten als dauerhafte Lösung einstimmig abgelehnt. „Das braucht wieder Energie – die nicht nur Geld kostet, sondern die Klimakrise durch den CO2-Ausstoß zusätzlich verstärkt. Interessan­terweise verbraucht Kühlung nämlich sogar mehr Energie als Heizung“, bringt Haberfelln­er die Problemati­k auf den Punkt, ganz zu schweigen von den möglichen gesundheit­sschädlich­en Auswirkung­en. Und die heiße Luft, die aus den Wohnungen nach draußen geblasen wird, heizt in Summe auch die Umgebung zusätzlich weiter auf – ein Teufelskre­is.

Was also tun, um unsere Häuser nachhaltig und sinnvoll kühler zu machen? Unsere berühmten Gründerzei­thäuser sind gegen die Hitze allein aufgrund der dicken Ziegelmaue­rn nicht so anfällig wie Neubauten – und vor allem Neubauten mit viel Glas, die zwar architekto­nisch sehr ansprechen­d sind, aber zum Sorgenkind werden, wenn es um heiße Sommer geht. „Ein effiziente­r Hitzeschut­z muss an der Außenseite angebracht werden“, erklärt Bauer. „Nur ein außen liegender Schutz ist wirklich wirksam“, ergänzt Korjenic, denn nur so kann die Strahlung abgeblockt werden. „Eine gute Außendämmu­ng fängt einen großen Teil der Hitze ab“, erklärt auch der Geschäftsf­ührer der Austrother­m. Eine Fassade außen zu dämmen ist angesichts der vielen Materialie­n, die auf dem Markt sind, also nicht das große Problem. Wobei natürliche Materialie­n vorzuziehe­n sind, wie Holzfasern, Hanf, Stroh oder Zellulose, da sie ökologisch verträglic­her, unbegrenzt verfügbar und wiederverw­ertbar sind.

Grüne Herausford­erung

Natürlich sind auch Begrünunge­n der Fassade ein guter Hitzeschut­z. Aber das ist offensicht­lich nur ein kleiner Teil des Problems. „Begrünunge­n der Fassade können vor Hitze schützen, wenn sie richtig geplant und angebracht sind“, erklärt Korjenic. Doch diese erfassen meist nicht die Fenster. „Wir arbeiten zurzeit an zwei Projekten mit, eines beschäftig­t sich mit verschiebb­aren Elementen, die vor die Fenster gezogen werden können, eines mit unterschie­dlichen Pflanzen, die zwar im Sommer üppig grün sind, im Winter dagegen nicht und damit genug Licht und Wärme in den Raum lassen“, führt Korjenic weiter aus.

Rollos gut, Läden perfekt

Man muss also in erster Linie das Problem mit den Verglasung­en in den Griff bekommen. Natürlich ist auch Isoliergla­s eine Option. Es gibt unterschie­dliche Beschichtu­ngen, die das Sonnenlich­t reflektier­en, es gibt Modelle mit

ist wie Heizen ein Maßnahmenp­aket, das langfristi­g angelegt sein sollte, um nicht nur Geld, sondern auch Ressourcen zu sparen. Dazu kann eine gut eingestell­te Klimaanlag­e durchaus ihre Mitberecht­igung in absoluten Spitzenzei­ten haben. Als Einzelmaßn­ahme ist sie aber abzulehnen. Effektiver sind vor allem Läden, Außenrollo­s, Isolierung und helle Farben an der Fassade sowie Begrünung – auch der gesamten Umgebung.

Edelgas zwischen den Scheiben, die das Gleiche bewirken sollen. Die Bautechnol­ogin und Bauphysike­rin Korjenic zeigt sich davon nicht unbedingt begeistert: „Ich halte eine Beschattun­g mit außen liegenden Rollos oder Klapp- oder Schiebeläd­en – am besten aus Holz mit verschiebb­aren Lamellen, wie es fast überall im Süden schon sehr lang üblich ist – für die beste Option, da sie sowohl in Winternäch­ten als auch an Sommertage­n wärmetechn­isch sehr effektiv sind.“Auch Architekt Bauer zeigt sich Isoliergla­s gegenüber skeptisch: „Das mag zwar kurzfristi­g helfen, aber diese Scheiben halten nicht allzu lang. Wenn die Dichtung porös wird und das Edelgas austritt, ist die Wirkung der Isolierung verschwund­en und ich muss die gesamte Glasscheib­e entsorgen. Eine unglaublic­he Verschwend­ung an Ressourcen. Wir zerstören sozusagen den Planeten, damit wir unsere Fenster dicht bekommen.“

Das Umfeld bedenken

Die Frage ist, wie man diesen Spagat zwischen architekto­nischem Anspruch, dem Bauen mit viel Glas, und der zunehmende­n Erwärmung der Sommer schaffen kann. Viel Glas ist schön, zu viel Glas scheint zu einem Problem zu werden. Das Vernünftig­ste scheint zu sein, dem Ganzen in unterschie­dlichen Schritten zu Leibe zu rücken: einerseits einen außen liegenden Hitzeschut­z für die Fassade zu schaffen, anderersei­ts für eine effektive Verschattu­ng der Glaselemen­te zu sorgen.

Sowohl Korjenic als auch Bauer plädieren aber auch dafür, diese Problemati­k ganzheitli­ch zu betrachten. „Manchmal ist etwas, was für das Haus gut ist, zum Beispiel für die Straße oder die Umgebung schlecht“, meint Korjenic. Und Bauer ergänzt: „Eine Beschattun­g der ganzen Straße durch Bäume kann oft sinnvoller sein als ein einseitige­r Hitzeschut­z für ein einzelnes Gebäude.“

„Wir sollten wohl auch wieder anfangen, ganzheitli­cher und nachhaltig­er zu denken – in längeren Zyklen – und auch bautechnis­ch ein wenig an die Vergangenh­eit und die lange Erfahrung, die mit dem Bauen verbunden ist, anknüpfen“, appelliert Bauer nicht zuletzt an die Vernunft aller, die mit Bauen zu tun haben.

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[ Getty Images ] Läden halten die Hitze draußen und lassen – je nach Bauart – Licht hinein.

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