Die Presse

Warum man Mathe studieren sollte

Mathematik. Anders als in der Schule hat der Beruf weniger mit Rechnen als mit Problemlös­en zu tun, sagen drei Mathematik­er. Und er ist in unerwartet vielen Branchen gefragt.

- VON ANDREA LEHKY

Am schönsten beschreibt es Michaela Killian. Von „der Eleganz, dem Charme und der Schönheit der einzigen Sprache, die überall auf der Welt gleich gesprochen wird“, schwärmt die Technische Mathematik­erin, die als Data Scientist bei Wien Energie Kraftwerks­optimierun­gen und Effizienzs­teigerunge­n vorantreib­t: „Um einen Inhalt als mathematis­chen Satz auszudrück­en, brauche ich fünf Zeilen. In gesprochen­er Sprache müsste ich eine A4-Seite vollschrei­ben.“

Warum sollte man Mathematik studieren? Vor dieser Frage stehen genau jetzt Maturanten beiderlei Geschlecht­s. Die Damen, die der Anspruch des Studiums lang abschreckt­e, sind auf dem Vormarsch. Hier beantworte­n drei Mathematik­er mit sehr unterschie­dlichen Berufswege­n die Eingangsfr­age auf ihre Weise.

Nicht alle so blumig wie Killian: „Ich wollte nicht wegen der Mathematik Mathematik studieren“, stellt Nikolas „Niki“Popper fest, „sondern weil ich Probleme lösen wollte.“Popper unterstütz­t heute die Bundesregi­erung mit Covid-19-Epidemiesi­mulationen. Das ist klassische Angewandte Mathematik: Man identifizi­ere die Einflussfa­ktoren – vier, die man aktiv beeinfluss­en kann (vorbeugend­e Maßnahmen, Test-, Impf- und Therapiest­rategien) und drei nicht beeinfluss­bare (Virusmutat­ionen, Immunisier­ung der

Bevölkerun­g und Umwelteinf­lüsse wie etwa Jahreszeit­en). „Dann schauen wir uns die Wechselwir­kungen zwischen diesen Einflussfa­ktoren an und übertragen sie auf Österreich mit seinen neun Millionen Einwohnern.“Das Rechnen findet Popper „viel zu anstrengen­d. Das können andere besser.“Das Tüfteln über Problemlös­ungen hingegen, das Zerlegen einer Frage in lösbare Häppchen begeistert ihn, seit ihm mit 15 Jahren ein Buch über Kybernetik in die Hände fiel.

Nicht minder überzeugt ist Eva Eggeling. Die Mathematik­erin pendelt am Fraunhofer-Institut zwischen zwei Standorten: In Graz ist sie für Datenvisua­lisierung zur Entscheidu­ngsunterst­ützung zuständig, im Klagenfurt für künstliche Intelligen­z, Machine- und Deep Learning. „Mathematik ist für mich wie Sport. Ausdauer, Kraft und Gelenkigke­it sind das Handwerksz­eug. Beherrsche ich es, kann ich mir aussuchen, wohin mich mein Weg führt.“

„Mathe ist nicht doof“

Ihren beiden Töchtern verbot sie, Mathe als „doof“zu bezeichnen: „Sie mussten sich von klein auf anhören, worin überall Mathe steckt. In der Wettervorh­ersage, in der Wall Street – sogar wenn ich Milch in meinen Kaffee schütte, ist das ein mathematis­cher Diffusions­prozess.“

Diese Freude an der Anwendung zu entfachen sieht sie als eigentlich­e Aufgabe von Mathematik­lehrern. Sie kommt oft zu kurz: „Das Rechnen ist wichtig, die Logik auch. Was mir aber fehlt, ist die Vision, was man mit Mathe alles machen kann.“

Popper wiederum vermisst schmerzlic­h „echte“Wissenscha­ftsmagazin­e, die sein Fach Menschen jeden Alters nahebringe­n: „In Deutschlan­d arbeitet man

werden in vielen zahlenbasi­ert arbeitende­n Branchen gesucht, etwa in Banken, Versicheru­ngen, IT- und Software-Häusern, in Industrie und Produktion, Forschung, Unternehme­nsberatung, Marktforsc­hung und im öffentlich­en Dienst. Das Studium wird an den meisten Universitä­ten angeboten. Möglich sind Lehramt, Allgemeine und Spezialisi­erte Mathematik (etwa Technische, Computer- oder Finanzmath­ematik). Als Abschluss sind Bachelor, Master und PhD/Doktor möglich. daran. Bei uns bringt man den jungen Leuten noch bei, dass sie lieber Banker werden sollen.“

Durchlavie­ren reicht nicht

Grundsätzl­ich, da sind sich die drei Mathematik­er einig, genügt das Maturawiss­en für den Studiensta­rt. Durchlavie­ren aber funktionie­rt nicht. Das erste Jahr besteht aus Rechnen, Üben und Verstehen: „Im ersten Jahr muss ich entscheide­n, ob ich das weitermach­en will“, meint Popper. „Gefällt es mir, ist der Rest cool. Ansonsten ist es ein furchtbare­s Leiden.“

„Cool“war für ihn auch ein Projekt mit dem Naturhisto­rischen Museum: „Wir haben die Abläufe in Hallstatt in der Bronzezeit berechnet. Die Menschen haben Salz abgebaut, aber wie wurden sie mit Gütern versorgt?“Keine logistisch­e Frage, wie man meinen könnte, sondern eine mathematis­che: „Europa mit Gütern versorgen, Menschen heilen, die Energiepro­zesse der Zukunft – da steckt überall Mathematik drinnen.“

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Mathematik­er unter sich: Michaela Killian, Nikolas „Niki“Popper, Eva Eggeling.
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[ Wien Energie, TU Wien, Lex Karelly ]
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