Warum man Mathe studieren sollte
Mathematik. Anders als in der Schule hat der Beruf weniger mit Rechnen als mit Problemlösen zu tun, sagen drei Mathematiker. Und er ist in unerwartet vielen Branchen gefragt.
Am schönsten beschreibt es Michaela Killian. Von „der Eleganz, dem Charme und der Schönheit der einzigen Sprache, die überall auf der Welt gleich gesprochen wird“, schwärmt die Technische Mathematikerin, die als Data Scientist bei Wien Energie Kraftwerksoptimierungen und Effizienzsteigerungen vorantreibt: „Um einen Inhalt als mathematischen Satz auszudrücken, brauche ich fünf Zeilen. In gesprochener Sprache müsste ich eine A4-Seite vollschreiben.“
Warum sollte man Mathematik studieren? Vor dieser Frage stehen genau jetzt Maturanten beiderlei Geschlechts. Die Damen, die der Anspruch des Studiums lang abschreckte, sind auf dem Vormarsch. Hier beantworten drei Mathematiker mit sehr unterschiedlichen Berufswegen die Eingangsfrage auf ihre Weise.
Nicht alle so blumig wie Killian: „Ich wollte nicht wegen der Mathematik Mathematik studieren“, stellt Nikolas „Niki“Popper fest, „sondern weil ich Probleme lösen wollte.“Popper unterstützt heute die Bundesregierung mit Covid-19-Epidemiesimulationen. Das ist klassische Angewandte Mathematik: Man identifiziere die Einflussfaktoren – vier, die man aktiv beeinflussen kann (vorbeugende Maßnahmen, Test-, Impf- und Therapiestrategien) und drei nicht beeinflussbare (Virusmutationen, Immunisierung der
Bevölkerung und Umwelteinflüsse wie etwa Jahreszeiten). „Dann schauen wir uns die Wechselwirkungen zwischen diesen Einflussfaktoren an und übertragen sie auf Österreich mit seinen neun Millionen Einwohnern.“Das Rechnen findet Popper „viel zu anstrengend. Das können andere besser.“Das Tüfteln über Problemlösungen hingegen, das Zerlegen einer Frage in lösbare Häppchen begeistert ihn, seit ihm mit 15 Jahren ein Buch über Kybernetik in die Hände fiel.
Nicht minder überzeugt ist Eva Eggeling. Die Mathematikerin pendelt am Fraunhofer-Institut zwischen zwei Standorten: In Graz ist sie für Datenvisualisierung zur Entscheidungsunterstützung zuständig, im Klagenfurt für künstliche Intelligenz, Machine- und Deep Learning. „Mathematik ist für mich wie Sport. Ausdauer, Kraft und Gelenkigkeit sind das Handwerkszeug. Beherrsche ich es, kann ich mir aussuchen, wohin mich mein Weg führt.“
„Mathe ist nicht doof“
Ihren beiden Töchtern verbot sie, Mathe als „doof“zu bezeichnen: „Sie mussten sich von klein auf anhören, worin überall Mathe steckt. In der Wettervorhersage, in der Wall Street – sogar wenn ich Milch in meinen Kaffee schütte, ist das ein mathematischer Diffusionsprozess.“
Diese Freude an der Anwendung zu entfachen sieht sie als eigentliche Aufgabe von Mathematiklehrern. Sie kommt oft zu kurz: „Das Rechnen ist wichtig, die Logik auch. Was mir aber fehlt, ist die Vision, was man mit Mathe alles machen kann.“
Popper wiederum vermisst schmerzlich „echte“Wissenschaftsmagazine, die sein Fach Menschen jeden Alters nahebringen: „In Deutschland arbeitet man
werden in vielen zahlenbasiert arbeitenden Branchen gesucht, etwa in Banken, Versicherungen, IT- und Software-Häusern, in Industrie und Produktion, Forschung, Unternehmensberatung, Marktforschung und im öffentlichen Dienst. Das Studium wird an den meisten Universitäten angeboten. Möglich sind Lehramt, Allgemeine und Spezialisierte Mathematik (etwa Technische, Computer- oder Finanzmathematik). Als Abschluss sind Bachelor, Master und PhD/Doktor möglich. daran. Bei uns bringt man den jungen Leuten noch bei, dass sie lieber Banker werden sollen.“
Durchlavieren reicht nicht
Grundsätzlich, da sind sich die drei Mathematiker einig, genügt das Maturawissen für den Studienstart. Durchlavieren aber funktioniert nicht. Das erste Jahr besteht aus Rechnen, Üben und Verstehen: „Im ersten Jahr muss ich entscheiden, ob ich das weitermachen will“, meint Popper. „Gefällt es mir, ist der Rest cool. Ansonsten ist es ein furchtbares Leiden.“
„Cool“war für ihn auch ein Projekt mit dem Naturhistorischen Museum: „Wir haben die Abläufe in Hallstatt in der Bronzezeit berechnet. Die Menschen haben Salz abgebaut, aber wie wurden sie mit Gütern versorgt?“Keine logistische Frage, wie man meinen könnte, sondern eine mathematische: „Europa mit Gütern versorgen, Menschen heilen, die Energieprozesse der Zukunft – da steckt überall Mathematik drinnen.“