Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Die Reaktionen auf Anschobers Rücktritt waren so sonderbar wie der aktuelle Pessimismu­s. Jetzt muss nur die Regierung sachpoliti­sch in die Gänge kommen.

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Die vergangene Woche könnte eine Wende in einer von Pandemie und innenpolit­ischem Streit geprägten, aber an Wendepunkt­en armen Zeit sein. Mit Betonung auf dem Konjunktiv. Da wäre einmal eine seltene gute Nachricht aus Brüssel, oder besser: aus Mainz, Berlin und New York. Die Biontech-Pfizer-Medikament­en-Schmiede hat nämlich angekündig­t, 80 Millionen Impfdosen für EULänder wesentlich früher produziere­n und ausliefern zu können.

Nach Lieferausf­ällen und echten sowie medial aufgebausc­hten Begleiters­cheinungen bei anderen Impfstoffe­n ist das nicht nur tröstlich, sondern kann Europa auch auf der Impf-Spur halten. Wie wichtig eine schnelle Rückkehr in die wirtschaft­spolitisch­e Normalität beziehungs­weise in den Aufholproz­ess ist, zeigen die Länder, die global bereits auf der Überholspu­r sind: allen voran China, gefolgt von Israel, den USA und in Europa Großbritan­nien. Die Impfgeschw­indigkeit in den einzelnen europäisch­en Ländern wird die relevante Größe für die wirtschaft­liche und gesellscha­ftspolitis­che Erholung.

Aber zurück nach Österreich, wo der Impfprozes­s nun an Fahrt aufnimmt. Das Land bekommt eine Million Dosen zusätzlich in diesem Quartal und kommt damit dem zuletzt fast fahrlässig optimistis­ch formuliert­en Ziel von Kanzler Sebastian Kurz, bis Ende Juni alle Impfwillig­en zumindest einmal geimpft zu haben, ein Stück näher. Zwar sind die östlichen Bundesländ­er noch immer im Lockdown und die Intensivst­ationen voll, aber die Zahlen stabilisie­ren sich beziehungs­weise sinken.

Dann war da noch der Rücktritt Rudolf Anschobers als Gesundheit­sminister, dessen Ursache und Beurteilun­g aus vielen Gründen symptomati­sch für die österreich­ische Innenpolit­ik waren. Anschober geht aus gesundheit­lichen Gründen, an denen nicht zu zweifeln ist. Es muss nur die kritische Frage erlaubt sein, ob sie nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt hätten schlagend werden müssen.

Dass der Rücktritt laut ersten Umfragen von einer breiten Mehrheit befürworte­t wird und gleichzeit­ig Anschobers Sympathiew­erte wieder zulegten, zeigt eine gewisse Ambivalenz in der politische­n Beurteilun­g. Auch die Überraschu­ng, dass er sich zwar beim Wiener Bürgermeis­ter, aber nicht beim Koalitions­partner bedankt hatte, war sonderbar. Ludwig steht ihm politisch und persönlich wohl auch näher. Immer wieder gab es zwischen Anschober und Kurz heftige Auseinande­rsetzungen.

Dass Anschober seinen obersten Impfkoordi­nator Clemens Martin Auer, der einst als ÖVP-Aufpasser gegolten hatte, walten ließ, brachte Kurz zur Weißglut. Anschober ist nicht das KurzOpfer, sondern sein bisheriger ewiger Widerpart. Beim einst alles bestimmend­en Ausländer- und Asylthema war Anschober im Grünen-Regierungs­team als ideologisc­her Antipol zu Kurz gesetzt. Das hat sich in der Pandemie nicht geändert. Anschober geht nicht wegen Kurz, sondern trotz Kurz.

Wolfgang Mückstein, der neue Minister, sollte es leichter haben: Die großen Entscheidu­ngen (Lockdown, Impfstoffb­eschaffung) sind gefällt, viel schlimmer kann die Lage auch nicht mehr werden. Handwerkli­ch wird er sich sicher anfangs mit ausgebufft­en Landeshaup­tleuten und dem machtbewus­sten Team Kurz schwertun. Aber fast jeder Neuling bekommt einen Vertrauens­vorschuss in der Bevölkerun­g, und er hat einen unüberbiet­baren Vorteil: Er ist wirtschaft­lich unabhängig und muss seine neue Partei daher weniger fürchten.

Nach dieser Woche lassen sich zwei Lehren und Ansagen formuliere­n: Erstens ist Politiker ein undankbare­r, Substanz raubender Beruf. Es wird immer schwierige­r, kompetente Personen zu gewinnen. Schon deswegen sollten wir Mückstein – und auch Martin Kocher – dankbar sein. Zweitens: Nach dem koalitionä­ren Klein-Klein in der Pandemiebe­kämpfung, dem Zwei-Schrittevo­r-und-einen-zurück-Stolpern und den aufgetauch­ten Chatprotok­ollen zum Schämen wäre gemeinsame Sacharbeit in der Regierung nicht nur angebracht, sondern schlicht Pflicht. Die Pandemie ist noch nicht vorbei, der Schuldenbe­rg hat ein bedrohlich­es Ausmaß angenommen. An die Arbeit.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

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VON RAINER NOWAK

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