Die Presse

Parsifal trägt das Gefängnis in sich

Staatsoper. Jordan, Kaufmann, Garanˇca: Alles neu bei Wagners Bühnenweih­festspiel. Regisseur Kirill Serebrenni­kov verbannt den Mythos in die Köpfe und erzählt von der bösen Macht der Medien, wo er die Politik meinen müsste.

- VON WALTER WEIDRINGER

Jordan, Kaufmann, Garancˇa: Alles neu bei Wagners Bühnenweih­festspiel unter Kirill Serebrenni­kov.

Ein paar berührende Momente gibt es dann doch in Kirill Serebrenni­kovs Inszenieru­ng. Momente, in denen eine Theaterpra­nke spürbar wird, ein szenischer Wille, der sich von selbst aufgestell­ten konzeptuel­len Schranken befreit. Da scheinen sich die Zeitebenen zu vermischen und zu begegnen, wenn der reife, sängerisch glaubwürdi­g müde beginnende Parsifal Jonas Kaufmann sein jugendlich­es Selbst umarmen will, das Nikolay Sidorenko den ganzen Abend über ausdruckss­tark mimt – aber dann verweigert der Bursche. Liebe und Verständni­s für das einstige Ich, abgelehnt: Generation­enkonflikt innerhalb einer einzigen Figur. Oder am Ende, wenn der Schwan wieder lebendig wird und lächelt – jener Schwan, den Parsifal einst getötet hat.

Hier, in diesem Kerker irgendwo zwischen Grauem Haus und Gulag, das die Gralsburg vorstellt, ist er nämlich kein Tier, sondern ein junger Mithäftlin­g. Und Parsifal bleibt allein sinnend zurück – nachdem er die Gemeinscha­ft im aufgelasse­nen Gefängnis auflöst und in eine ungewisse Zukunft entlässt, aber doch eine in Freiheit und Zuversicht. Der auferweckt­e Schwan scheint zu verspreche­n, dass sich etwas zum Besseren wenden könnte, dass alte Fehler wiedergutz­umachen wären. Wenn Bogdan Rosˇciˇc´ den „Fehler“der vorangegan­genen „Parsifal“-Inszenieru­ng an der Staatsoper ausmerzen wollte, in der Alvis Hermanis 2017 kurzerhand Richard mit Otto Wagner, Steinhof und Psychiatri­e vermengt hat, dann ist ihm das nur nach Punkten gelungen. Und selbst wer Serebrenni­kov das Scheitern auf höherem Niveau konzediert, fühlt doch allzu viel an Unaufgelös­tem, besonders im Mittelakt.

Musikalisc­h weiß man sich auf der sicheren, wenn auch nicht durchwegs überwältig­enden Seite. Philippe Jordan behält kühlen Kopf angesichts der magischen Klangwelte­n, durchleuch­tet den von der Bayreuther Akustik beeinfluss­ten Mischklang, lässt manches etwas kantiger, schärfer tönen, wo andere das diffus Verschmelz­ende im Sinn haben. Das Staatsoper­norchester reagiert neugierig und wachsam, kann sich aber nicht ganz freispiele­n. Dennoch stehen Klang und Tempi in gutem Verhältnis, nichts wirkt verschlepp­t oder gehetzt.

Etwa die Erzählunge­n des Gurnemanz: Georg Zeppenfeld gelingt es wie einem klugen Liedsänger, das Balsamisch­e mit dem Prägnanten zu verbinden, die Kantilene eins werden zu lassen mit dem pointierte­n Sinn.

Eine nicht unerschöpf­liche, aber gesunde und nobel eingesetzt­e Bassstimme. Sie strahlt auch dann Würde aus, wenn die Figur in Kapuzenpul­li und Jacke seinen Mithäftlin­gen als Tätowierme­ister dient, ihnen die heiligen Gegenständ­e wie Gral und Speer in die Leiber sticht und über diese Symbole eine Wertegemei­nschaft erschafft.

Garanˇcas Kundry: Zu kühl, kontrollie­rt

Es soll einem wohl auch wehtun, diese der Welt abhandenge­kommene Männergese­llschaft im Häfen zu sehen, mit Rittern und Knappen als Wachperson­al – auch wenn der Staatsoper­nchor mit voller, aber differenzi­erter Kraftentfa­ltung fast an der Rampe singen darf. Absurd ist es nicht, weil Wagner die Gralswelt bei allem hehren Streben nach Idealen sehr wohl als reformbedü­rftig, innerlich morsch und mit einem gefallenen Helden an der Spitze darstellt.

Für seine Wunde sorgt Amfortas hier selbst. Als prominente­ster Häftling fügt er sie sich suizidal immer wieder zu. Die Rolle einem belkantesk geschulten Bariton wie Ludovic Tezier´ anzuvertra­uen, ist verständli­ch, und er löst die Erwartunge­n ein. Einige vehemente Akzente im Vortrag all der hochanstän­dig bewältigte­n Schmerzens­kantilenen täuschen aber nicht darüber hinweg, dass die höheren Leidens- und Ausdrucksd­imensionen noch fehlen. Sie wünschte man sich an einem Feiertag, wie eine Wagner-Premiere an der Wiener Staatsoper auch vokal einer sein müsste. Diese Einschränk­ung trifft auch auf die erste Kundry von El¯ına Garancaˇ zu – hier eine Journalist­in, die von den Häftlingen und ihren Tattoos Fotoreport­agen macht. Freilich klingt die Partie aus ihrer Kehle besonders sonor und auch schön. Sie singt sie mit imponieren­der Kontrolle innerhalb ihrer Mittel, die sie ins Dramatisch­e ausweitet. Doch gerade um die entscheide­nden Nuancen überwiegt dann dieser Eindruck kühler Kontrolle. Urteufelin, Höllenrose, auch Verführeri­n: Für all das fehlt etwas. Auch die Inszenieru­ng verlangt es der Figur nicht ab, weil sie in ganz unmythisch­er Diesseitig­keit gezeigt wird.

Gerade das Verführung­sbrimboriu­m ist gegen Klischee und Erwartung zurückgesc­hraubt. Die durchwegs sauber singenden Blumenmädc­hen sind die Raumpflege­rinnen, Redakteuri­nnen und Stylistinn­en jenes Hochglanzm­agazins, für das Kundry arbeitet und das unter der Leitung des Medienzare­n

Klingsor steht. Der junge Parsifal, aus dem Gefängnis entlassen, stolpert hier zum Fototermin hinein, um sich in sexy Posen ablichten zu lassen. Amfortas, ein früherer Konkurrent Klingsors, war vielleicht mutig gegen die Mächtigen aktiv, aber anfällig für Kundrys erotische Waffen und damit leichte Beute. Das klärt sich im dritten Akt auf, wenn die rätselhaft­e Frau offenbar selbst der Speer ist, der die Wunde allein schließen kann – in Form der Versöhnung mit der Ex.

Wolfgang Koch als Klingsor ist in der Diktion das dunkle Gegenstück zu Amfortas. Er kommt aus jener anderen Wagner-Tradition, die bei den Bösewichte­n das prägnant artikulier­te Wort über die genauen Tonhöhen stellt. Aber dass er mit lässig über die Schulter gehängtem Sakko in das Büro schlendert, wo Kundry Parsifal mit einer Pistole bedroht, aber dann doch den Chef abknallt? Die Politik, nicht die Medien wären hier der logischere Gegner gewesen.

Erstaunlic­h, dass zuletzt Kaufmann als starker und zugleich gebrochene­r Parsifal tiefen Eindruck hinterläss­t – nachdem er sich auch vokal imposant gesteigert hat. Die von ihm erkämpfte Freiheit: Genießen werden sie allenfalls die anderen.

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[ Wiener Staatsoper ] Wagners „Parsifal“im Magazin-Milieu: El¯ına Garancaˇ als Journalist­in Kundry und Wolfgang Koch als Medienzar Klingsor.

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