Impft die Schwazer, aber vergesst nicht auf den Rest der Welt
Die reichsten Länder müssen ihre Vakzine teilen und globale Impfkampagnen besser finanzieren. Nicht nur aus moralischen Gründen.
Wer
noch einen Beleg gebraucht hat, dass es in einer Pandemie ungerecht zugeht, hat ihn dieses Wochenende in Schwaz bekommen: Dort ließ sich ein hochrangiger Landesbediensteter samt Angehöriger ein Vakzin verabreichen – obwohl beide weder in dem Tiroler Bezirk arbeiten noch wohnen, was Grundbedingung für einen Platz auf der Impfliste sein sollte, wie die „Krone“berichtet hat. Das Land hat den Vorfall bestätigt und will in diesem und noch zwei weiteren Fällen ermitteln.
Dass die Schwazer überhaupt vorrangig geimpft werden, liegt daran, dass sich dort die hoch ansteckende südafrikanische Mutante des Virus ausgebreitet hat. Vermutlich wurde sie von Menschen ins Land gebracht, die es sich nicht nehmen ließen, locker-flockig mitten im Lockdown nach Südafrika zu fliegen. Wer das genau war, werden wir wohl nie erfahren.
Die Ungerechtigkeiten beschränken sich nicht auf Tirol: Da drängten sich Bürgermeister vor Hochrisikopatienten, es wurden pumperlgesunde Uni-Assistenten in ihren Zwanzigern immunisiert. In jedem Bundesland wird nach einem anderen Plan geimpft. Wer in Niederösterreich aus einem Grund ein Vakzin bekommt, muss in Wien warten – und umgekehrt.
Dass Einfluss, Geld, Zufall und Geografie in Österreich darüber entscheiden können, wer zuerst geimpft wird, ist ungerecht. Aber andererseits: Wie muss sich eine 90-Jährige in Burkina Faso fühlen? Oder ein Krebspatient in Bangladesch? Wie unfair ist die Welt gegenüber einer jemenitischen Krankenschwester?
Laut des Global Health Center der USamerikanischen Duke University haben die reichsten Länder der Welt bisher mehr als doppelt so viele Impfdosen – konkret satte zweieinhalb Milliarden mehr – sichergestellt als alle Länder mit mittleren und niedrigen Einkommen zusammengenommen. Dazu kommen Debatten über Exportverbote und Urheberrechte für Vakzine. Die Forscher der Duke University gehen davon aus, dass die afrikanischen Länder frühestens im Jahr 2023 ausreichend durchimpft sein dürften.
„Die Welt steht vor einer moralischen Katastrophe“, sagte Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation, bereits im Jänner angesichts der ungleichen Verteilung der Vakzine. Die hatte er eigentlich verhindern wollen: Covax heißt das Programm, mit dem sich reiche und arme Länder zusammentun wollten, um Impfstoffe anzuschaffen. Gemeinsam kaufen, gemeinsam impfen, gemeinsam raus aus der Pandemie – so lautete die Idee. Wenig überraschend kauften dann die reichen Länder nahezu den gesamten Markt an Vakzinen für sich selbst auf.
Das mag logisch erscheinen – und auch irgendwie unvermeidbar. Viele Impfstoffe wurden in Europa und den USA entwickelt und produziert. Die haben für die Forschung bezahlt. Doch genauso, wie es richtig ist, die Schwazer schnell zu impfen, wäre es gut, sich um die Impfrate der Armen zu kümmern. Mutationen
können auch in Tansania, Indien oder dem Jemen entstehen. Dass sie in einer vernetzten Welt schwer zu stoppen sind, zeigt die britische Variante, die in Österreich beinahe für alle Neuinfektionen verantwortlich ist. Auch die überaus gefährliche brasilianische Mutante hat es aus der Amazonas-Metropole Manaus nach Europa geschafft. Es liegt also auch im Interesse der Europäer, dass die Pandemie in allen Teilen der Welt unter Kontrolle gerät.
Die Regierung von Neuseeland hat am Donnerstag bekannt gegeben, dass sie 800.000 ihrer Impfdosen schon jetzt an das Covax-Programm für ärmere Staaten abgeben wird. Dabei sind bei Weitem noch nicht alle Neuseeländer geimpft. Klar, Moral muss man sich leisten können. Der Inselstaat hat die Infektionen mit einem harschen Einreiseregime, Contact Tracing und scharfen Lockdowns bei nahe null gehalten.
Und Österreich? Die Regierung widmete der weltweiten Impfkampagne einen Beitrag von 2,4 Millionen Euro. Das sind 27 Cent pro Kopf. Zum Vergleich: Nachbar Deutschland bringt 900 Millionen auf, rund 10,8 Euro pro Kopf. Zumindest der Beitrag an Covax ließe sich erhöhen, ohne dass ein Landesbeamter in Österreich einen Tag länger auf seine Impfung warten müsste.