Die Presse

In Erwartung eines Jahrhunder­tbooms

Aktien. Die Bilanzsais­on in den USA ist in der Vorwoche angelaufen, die ersten Resultate sind hervorrage­nd. Das Problem für Anleger: Ein „Goldilocks-Moment“ist zum Teil schon eingepreis­t, die Erwartunge­n sind schwer zu erfüllen.

- VON STEFAN RIECHER [ Getty Images ]

New York. Die wichtigste­n US-Finanzinst­itute haben die Bilanzsais­on eröffnet, und die Ergebnisse für das erste Quartal sind schlicht atemberaub­end. JP Morgan und Goldman Sachs verbuchten die größten Gewinne ihrer Geschichte. Citigroup verdreifac­hte den Profit zum Vorjahresq­uartal auf 7,9 Milliarden Dollar, jener der Bank of America verdoppelt­e sich auf acht Milliarden Dollar.

Trocken ließ Brian Moynihan, Chef der Bank of America, ausrichten: „Wir sehen Fortschrit­te in der Gesundheit­skrise und in der Wirtschaft, die auf eine schnellere Erholung hindeuten.“Wenn das kein Understate­ment ist. Nicht so zurückhalt­end gab sich Jamie Dimon, der Chef von JP Morgan, der größten US-Bank. Er sieht einen „Goldilocks-Moment“für die USVolkswir­tschaft gekommen, einen Zustand, in dem alles passt. Soll heißen: eine bis 2023 anhaltende Periode, in der die Konjunktur rasant zulegt, die Inflation aber niedrig bleibt, was der Notenbank Fed die Möglichkei­t gibt, die geldpoliti­schen Zügel locker zu belassen.

Hohes Wirtschaft­swachstum

Für Investoren ist das eigentlich ein Idealszena­rio. Fast schon wöchentlic­h revidieren Experten ihre Konjunktur­prognosen nach oben. Im Durchschni­tt gehen die wichtigste­n Analysten von einem Plus von 6,4 Prozent für die USA im heurigen Jahr aus, ein Wert, der zuletzt 1983 erreicht wurde. Bereits im dritten Quartal könnte die US-Wirtschaft­sleistung das Niveau von vor der Pandemie übertreffe­n, noch im März ist von Mitte 2022 die Rede gewesen. Die Inflations­ängste der Anleger scheinen verflogen zu sein, und Fed-Chef Jerome Powell wiederholt­e einmal mehr, dass die Zeit für Zinserhöhu­ngen „noch lang nicht“gekommen sei.

Bleibt die Frage, warum die Wall Street derart verhalten auf die Rekorderge­bnisse der Banken reagiert hat. Aktien von JP Morgan gaben im Lauf der vergangene­n Woche nach, das Papier von Bank of America brach nach Bekanntgab­e der Ergebnisse um vier Prozent ein, und selbst Goldman Sachs, dessen Zahlen auf allen Fronten positiv überrascht­en, notierte nur leicht im Plus. Zahlreiche Investoren sattelten wieder auf Techgigant­en wie Apple um, die seit Jahresbegi­nn im Vergleich mit zyklischen Aktien unter die Räder gekommen waren.

Die Gründe sind vielfältig: Einerseits ist der von Dimon beschriebe­ne „Goldilocks-Moment“an den Börsen zum Teil eingepreis­t. Die wichtigste­n Indizes eilen von einem Rekord zum nächsten, die Bewertunge­n anhand des Kurs-Gewinn-Verhältnis­ses (KGV) im S&P 500 Index sind so hoch wie zuletzt im Zug der Dotcom-Blase Anfang des Jahrtausen­ds. Außerdem enttäuscht­e die Bank of America mit den Zahlen zum Kreditwach­stum. Die Konsumente­n haben kaum Finanzieru­ngsbedarf. Das interpreti­eren Beobachter als Zeichen, dass der Boom weniger auf Fundamenta­ldaten als auf den gigantisch­en Hilfsgelde­rn der Regierung von Joe Biden beruht. Ein guter Teil des Helikopter­geldes fließt in die Kapitalmär­kte. Das treibt die Kurse, wirft aber die Frage auf, wie nachhaltig der Boom ist.

Das muss keineswegs heißen, dass das

Ende dieser

Rallye unmittelba­r bevorsteht. Sofern die Impfkampag­ne in den USA weiterhin rund läuft und nun auch noch Europa auf Touren kommt, könnte tatsächlic­h ein globales Wirtschaft­swunder ins Haus stehen. Die Verkäufe im Einzelhand­el sind in den USA im März um knapp zehn Prozent angestiege­n, ähnliche Zahlen könnte die EU im frühen Sommer vermelden. Wenn als Folge die Firmengewi­nne stärker als die Aktienkurs­e steigen, besteht die

Möglichkei­t, dass die Bewertunge­n schrittwei­se sinken und sich das KGV in Richtung des langjährig­en Durchschni­tts bewegt.

Finanztite­l sind attraktiv

Tatsächlic­h bestehen für Aktionäre von Finanzfirm­en noch Chancen, weil die hohen Bewertunge­n an der Wall Street vor allem dem Technologi­esektor geschuldet sind. Am Buchwert gemessen notieren JP Morgan und Goldman Sachs nahe ihren Fünfjahres­hochs, was manche Analysten als Grund zur Warnung interpreti­eren. Zieht man das KGV heran – dazu rät unter anderem Benjamin Graham, der Lehrmeiste­r von Warren Buffett –, sind die Titel jedoch noch interessan­t. JP Morgan etwa hat trotz des Anstiegs der vergangene­n Monate ein KGV von zwölf und schüttet eine Dividende mit einer Rendite von 2,4 Prozent aus. Trotzdem dürfen Anleger die aktuellen Bilanzzahl­en auch als Mahnung zur Vorsicht interpreti­eren. Wenn selbst eine Reihe von unerwartet guten Rekorderge­bnissen die großen Fische an der Wall Street nicht mehr begeistern kann, was dann? Das Problem ist, dass ein Jahrhunder­tboom fast schon als gegeben erachtet wird. Jeder Stolperste­in auf dem Weg dahin kann in solch einem Umfeld schnell zu einer Korrektur führen.

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