Die Presse

Zweifel an Zufallsfun­den als Ziel

Interview. Gabriele Aicher ist die neue Rechtsschu­tzbeauftra­gte der Justiz. Im „Presse“-Gespräch zeigt sie sich skeptisch zur Praxis der Staatsanwa­ltschaft bei der Sicherstel­lung von Handys.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Wien. Ein feierliche­r Amtsantrit­t sieht anders aus. Von der Öffentlich­keit völlig unbeachtet, hat Gabriele Aicher am 1. April die Position der Rechtsschu­tzbeauftra­gten der Justiz übernommen. Sie übt damit eine wichtige Funktion im Interesse der Rechtsstaa­tlichkeit von Strafproze­ssen aus; bei manchen Entwicklun­gen der jüngsten Zeit – Stichwort Sicherstel­lung von Handys und Zufallsfun­de der Staatsanwa­ltschaft – kommen Aicher da im Gespräch mit der „Presse“erhebliche Zweifel.

Zwei Aufgaben stehen im Mittelpunk­t der Rechtsschu­tzbeauftra­gten. Zum einen nimmt sie stellvertr­etend die Rechte von Verdächtig­en wahr, gegen die geheime Ermittlung­en laufen. Weil die Betroffene­n von einer Observatio­n, einem Lauschangr­iff oder – im Bereich der Suchtgiftk­riminalitä­t – von Scheinkäuf­en durch verdeckte Ermittler zunächst keine Ahnung haben, prüft die Rechtsschu­tzbeauftra­gte, ob die rechtliche­n Vorgaben eingehalte­n werden. So werden Rechte der Beschuldig­ten gewahrt, wohingegen der zweite große Aufgabenbe­reich umgekehrt verhindern soll, dass Verdächtig­e zu leicht davonkomme­n.

Gegen vorschnell­e Einstellun­g

Die Rechtsschu­tzbeauftra­gte hat nämlich auch zu prüfen, ob bestimmte Strafverfa­hren vorschnell eingestell­t wurden. Das betrifft Fälle, für die ein Schöffenge­richt zuständig ist und in denen es kein Individuum als Opfer gibt oder in denen ein solches nicht bekannt ist. „Der überwiegen­de Teil der Arbeit betrifft die Überprüfun­g von Einstellun­gen“, sagt Aicher. Im ersten Quartal gab es 500 solche Fälle, nur 20 Mal wurden besondere Ermittlung­en geprüft.

Bei den Einstellun­gen geht es meist um Verstöße gegen das Verbotsges­etz (weil z. B. jemand Bilder mit NS-Inhalten im Internet teilt) und um Amtsmissbr­auch. Aicher würde es begrüßen, wenn sie auch die Einstellun­g von Verfahren wegen Verhetzung hinterfrag­en und bei Bedarf einen Fortführun­gsantrag stellen könnte; das ist derzeit aber nicht möglich, weil Verhetzung nicht in die Zuständigk­eit von Schöffenge­richten fällt.

Davon abgesehen kann die Rechtsschu­tzbeauftra­gte aktiv werden, wenn die Kriminalpo­lizei oder die Staatsanwa­ltschaft Zwangsmaßn­ahmen gesetzwidr­ig vornimmt: Dann kann Aicher bei der Generalpro­kuratur anregen, beim Obersten Gerichtsho­f eine Nichtigkei­tsbeschwer­de zur Wahrung des Gesetzes einzulegen. Ist die neuerdings verbreitet­e Sicherstel­lung von Handys, die dann möglicherw­eise mit Rückgriff auf Speicher in der „Cloud“ausgiebig und auch auf der Suche nach Zufallsfun­den ausgewerte­t werden, ein Kandidat für diese Befugnis? Aicher: „Diese Fragen werden sicher im Beschwerde­weg an die Oberlandes­gerichte herangetra­gen werden, sodass sie a` la longue wohl auch vom Obersten Gerichtsho­f beantworte­t werden können. Sie haben aber recht, eine möglichst baldige Klarstellu­ng eben durch den OGH wäre wünschensw­ert, sodass man sich fragen kann, inwieweit sich die Rechtsschu­tzbeauftra­gte einbringen kann.“

Experten vergleiche­n die am Handy gespeicher­ten Daten mit der Vorratsdat­enspeicher­ung, die vom Verfassung­sgerichtsh­of als Verstoß gegen das Recht auf Privatlebe­n aufgehoben wurde. Unter diesem Aspekt zeigt Aicher gewisses Verständni­s für das viel kritisiert­e Vorhaben, dass Unterlagen und Datenträge­r von Behörden künftig nur noch im Wege der Amtshilfe an die Strafverfo­lgungsbehö­rden kommen sollen (außer die Ermittlung­en richten sich gegen den Behördenle­iter). Aicher plädiert dafür, besonders schwere Grundrecht­seingriffe auch im Verhältnis zum möglichen Ermittlung­serfolg zu sehen. „Wenn man immer nur auf Zufallsfun­de – also solche, die mit dem Tatverdach­t, auf welchem die Durchsuchu­ng fußt, nichts zu tun haben – abstellt, wird das Ergebnis sicher schwächer sein“, sagt Aicher. „Aber dürfen wir überhaupt von vornherein nur auf Zufallsfun­de abzielen?“

BVT-Verdacht nicht erhärtet

Im Gefolge der umstritten­en BVTHausdur­chsuchung etwa seien letztlich nur Zufallsfun­de schlagend geworden, während die primäre Verdachtsl­age sich auf Basis einer längst bekannten anonymen Anzeige nicht habe stützen lassen.

Aichers Expertise im Straf- und Strafproze­ssrecht wird in der Fachwelt geschätzt. Sie war Erste Generalanw­ältin in der Generalpro­kuratur, ehe sie heuer 63-jährig vorzeitig in den Ruhestand getreten ist. Ihre Laufbahn bis zur Staatsanwa­ltschaft nahm bemerkensw­erte Wendungen: Sie hatte als Assistenti­n an der Uni Wien im Römischen Recht begonnen, absolviert­e dann eine Anwaltsaus­bildung und arbeitete anschließe­nd in der Finanzprok­uratur. Erst mit 37 Jahren wechselte sie zur Justiz und wurde Richteramt­sanwärteri­n. Nach der Richteramt­sprüfung wurde Aicher Staatsanwä­ltin. „Nach drei Tagen habe ich gesehen: Die Staatsanwa­ltschaft ist mein Leben!“

Aicher wurde auf Vorschlag von VfGH-Präsident Christoph Grabenwart­er von Justizmini­sterin Alma Zadic´ für drei Jahre bestellt. Ihr Vorgänger, Gottfried Strasser, hat nach insgesamt 60 Jahren im Dienste der Justiz seine sechste Amtsperiod­e als Rechtsschu­tzbeauftra­gter um ein halbes Jahr verfrüht beendet.

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[ Clemens Fabry ] Gabriele Aicher überprüft neuerdings geheime Ermittlung­smaßnahmen.

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