Jetzt muss sich noch die Praxis ändern
Reaktion. Dass der Menschenrechtsgerichtshof die Privatsphäre von Geschiedenen im Grundbuch einmahnt, ist erfreulich. Doch die Umsetzung steht auf einem anderen Blatt.
Linz. Im letzten Rechtspanorama wurde ein praxisrelevantes Thema bei einvernehmlichen Scheidungen releviert. Zu Recht fordern nämlich Geschiedene, dass grundbücherliche Übertragungen, die in einem gerichtlichen Scheidungsvergleich geregelt sind, nicht ins öffentliche Grundbuch Eingang finden, damit das persönliche Umfeld nicht in Erfahrung bringen kann, wie großzügig etwa der verlassene Ehepartner abgefunden wird.
Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Österreich verurteilt, weil die Gerichte im Fall Liebscher das Recht auf Privatleben nicht gewürdigt hatten. Die Grundbuchsgerichte verlangen für die Eintragung eines Rechts im Grundbuch eine Originalurkunde und akzeptieren eine teilweise geschwärzte Urkunde nicht, weil es sich dabei nicht um die vom Gericht erstellte Ausfertigung handelt. Auch Teilausfertigungen eines Scheidungsvergleichs werden abgelehnt, weil formal keine Originalurkunde vorliegt. Wer mit Grundbuchsgerichten zu tun hat, weiß außerdem, dass „Verbesserer“mit dem Auftrag zur Vorlage des Originals ohne tiefergehende Prüfung oder Möglichkeit zur Äußerung Usus sind. Hinzu kommt, dass Antragsteller ungern Rechtsmittel erheben, weil dies die Eintragung hinauszögert.
Getrennte Vereinbarungen
Anwälte behelfen sich damit, zwei getrennte gerichtliche Vergleiche abzuschließen. Geeigneter und strukturierter erscheint es, eine gesonderte Übertragungsvereinbarung für das Grundbuch zur Herstellung der Grundbuchsordnung notariell oder gerichtlich beglaubigt unmittelbar nach dem Scheidungstermin unterfertigen zu lassen: nur mit der Vereinbarung zur Übergabe des Vertragsobjekts und den unbedingt notwendigen Regelungen (z. B. Grundverkehrserklärung). Zugleich wird auf die rechtskräftige Scheidung mit Angabe der Geschäftszahl verwiesen und die Übertragung der Liegenschaftsanteile festgelegt. Der (Kurz-) Beschluss über die Scheidung mit Rechtskraft- und Vollstreckbarkeitsbestätigung wird ohnehin dem
Grundbuchsgesuch angeschlossen.
Nicht selten meinen dennoch Diplomrechtspfleger des Grundbuchs, dass die Übertragungsurkunde nicht vollständig, gekürzt oder nicht das Original sei; dann folgt eine Abweisung des Gesuchs oder ein Verbesserungsauftrag.
Dass nunmehr der EGMR durch die Einreihung einer ungekürzten Fassung einen Verstoß gegen die Menschenrechte als möglich erachtet, ebnet zwar grundsätzlich den Weg für die Einhaltung der Privatsphäre der Geschiedenen; da Grundbuchsgerichte für die strenge Auslegung des Gesetzes bekannt sind und die „letzte kontrollierende Instanz“darstellen, wird von den Grundbuchsführern keine Detailprüfung zu erwarten sein. Dadurch würden sich noch mehr unterschiedliche Praktiken entwickeln. Daher besteht trotz der begrüßenswerten Entscheidung des EGMR die Sorge, dass sich die Praxis der Grundbuchsgerichte nicht ändern wird.
RA Dr. Birgit Leb, MBA, ist Managing-Partnerin der Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwälte GmbH in Linz.