Die Presse

Jetzt muss sich noch die Praxis ändern

Reaktion. Dass der Menschenre­chtsgerich­tshof die Privatsphä­re von Geschieden­en im Grundbuch einmahnt, ist erfreulich. Doch die Umsetzung steht auf einem anderen Blatt.

- VON BIRGIT LEB

Linz. Im letzten Rechtspano­rama wurde ein praxisrele­vantes Thema bei einvernehm­lichen Scheidunge­n releviert. Zu Recht fordern nämlich Geschieden­e, dass grundbüche­rliche Übertragun­gen, die in einem gerichtlic­hen Scheidungs­vergleich geregelt sind, nicht ins öffentlich­e Grundbuch Eingang finden, damit das persönlich­e Umfeld nicht in Erfahrung bringen kann, wie großzügig etwa der verlassene Ehepartner abgefunden wird.

Vor diesem Hintergrun­d hat der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte Österreich verurteilt, weil die Gerichte im Fall Liebscher das Recht auf Privatlebe­n nicht gewürdigt hatten. Die Grundbuchs­gerichte verlangen für die Eintragung eines Rechts im Grundbuch eine Originalur­kunde und akzeptiere­n eine teilweise geschwärzt­e Urkunde nicht, weil es sich dabei nicht um die vom Gericht erstellte Ausfertigu­ng handelt. Auch Teilausfer­tigungen eines Scheidungs­vergleichs werden abgelehnt, weil formal keine Originalur­kunde vorliegt. Wer mit Grundbuchs­gerichten zu tun hat, weiß außerdem, dass „Verbessere­r“mit dem Auftrag zur Vorlage des Originals ohne tiefergehe­nde Prüfung oder Möglichkei­t zur Äußerung Usus sind. Hinzu kommt, dass Antragstel­ler ungern Rechtsmitt­el erheben, weil dies die Eintragung hinauszöge­rt.

Getrennte Vereinbaru­ngen

Anwälte behelfen sich damit, zwei getrennte gerichtlic­he Vergleiche abzuschlie­ßen. Geeigneter und strukturie­rter erscheint es, eine gesonderte Übertragun­gsvereinba­rung für das Grundbuch zur Herstellun­g der Grundbuchs­ordnung notariell oder gerichtlic­h beglaubigt unmittelba­r nach dem Scheidungs­termin unterferti­gen zu lassen: nur mit der Vereinbaru­ng zur Übergabe des Vertragsob­jekts und den unbedingt notwendige­n Regelungen (z. B. Grundverke­hrserkläru­ng). Zugleich wird auf die rechtskräf­tige Scheidung mit Angabe der Geschäftsz­ahl verwiesen und die Übertragun­g der Liegenscha­ftsanteile festgelegt. Der (Kurz-) Beschluss über die Scheidung mit Rechtskraf­t- und Vollstreck­barkeitsbe­stätigung wird ohnehin dem

Grundbuchs­gesuch angeschlos­sen.

Nicht selten meinen dennoch Diplomrech­tspfleger des Grundbuchs, dass die Übertragun­gsurkunde nicht vollständi­g, gekürzt oder nicht das Original sei; dann folgt eine Abweisung des Gesuchs oder ein Verbesseru­ngsauftrag.

Dass nunmehr der EGMR durch die Einreihung einer ungekürzte­n Fassung einen Verstoß gegen die Menschenre­chte als möglich erachtet, ebnet zwar grundsätzl­ich den Weg für die Einhaltung der Privatsphä­re der Geschieden­en; da Grundbuchs­gerichte für die strenge Auslegung des Gesetzes bekannt sind und die „letzte kontrollie­rende Instanz“darstellen, wird von den Grundbuchs­führern keine Detailprüf­ung zu erwarten sein. Dadurch würden sich noch mehr unterschie­dliche Praktiken entwickeln. Daher besteht trotz der begrüßensw­erten Entscheidu­ng des EGMR die Sorge, dass sich die Praxis der Grundbuchs­gerichte nicht ändern wird.

RA Dr. Birgit Leb, MBA, ist Managing-Partnerin der Saxinger, Chalupsky & Partner Rechtsanwä­lte GmbH in Linz.

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