Die Presse

Wir sägen gern an allen Ästen, auf denen noch gesungen wird

Die sogenannte Hochkultur wird in Krisenzeit­en gern unter Beschuss genommen. Kann aber leicht sein, dass wir sie doch noch einmal brauchen. Müssen sich Politiker auch um die Kultur sorgen?

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Die Wogen gehen hoch, wenn eine designiert­e Volksopern­Direktorin darangeht, ihre Vorstellun­gen umzusetzen. Man kann ihr das nicht vorwerfen. Sie wurde bestellt. Zu hinterfrag­en wäre eher – wie schon so häufig zuvor –, was unsere vorausblic­kenden Entscheidu­ngsträger bei der Direktoren­bestellung im Schilde geführt haben.

„Überzeugen­des Konzept“, heißt es dann gern. Wer warum überzeugt war, wird nie verraten. So war es bei der Staatsoper oder auch – um ein Haus abseits der Verantwort­ung des

Bundes zu nennen – beim Theater an der Wien. Hat jemals irgendein Kulturpoli­tiker sich überlegt, wie drei Wiener Opernhäuse­r zum Wohl eines sinnvollen Musikleben­s zu positionie­ren wären?

Ob das Haus am Ring oder doch eher der Stagione-Betrieb an der Wien der Ort für Regietheat­er-Urständ sein sollte? Ob es für die Volksoper Repertoire-Bereiche gibt, um die sie sich vorrangig zu kümmern hätte? Solche Fragen sollten gestellt und in politische Aufträge an die nominierte­n Intendante­n umgemünzt werden.

Wäre das geschehen, stünde etwa die Volksoper nicht, wo sie heute steht: an einem Platz, den kein Scheinwerf­er mehr ausleuchte­t, sobald der Alleinunte­rhalter-Prinzipal sich verabschie­det haben wird.

Der weise Ratschluss der Direktoren­macher in Bundeskanz­leramt und Bundesthea­ter-Holding hat ein Team für die Nachfolge Robert Meyers bestellt, das seine erste Spielzeit mit Alban Bergs „Lulu“beginnen möchte und jedenfalls bis dato mit klassische­n „Volksopern“-Stücken nichts zu tun gehabt hat. Mehr muss man dazu nicht sagen. Entspreche­nd lässt sich die Vorbereitu­ng der neuen Ära an.

Warten wir ab, ob das Angebot der Musiktheat­erstadt Wien in ein paar Jahren noch von einer x-beliebigen größeren Stadt irgendwo in Deutschlan­d zu unterschei­den sein wird.

Ein Schelm, wer sich mit dem Gedanken tröstet, dass die Pariser Kulturpoli­tik gerade Gustavo Dudamel zum Musikdirek­tor der Opera´ gemacht hat. Einen Mann, der für dieses

Amt dieselbe einzige Voraussetz­ung mitbringt wie für die Leitung des Wiener Neujahrsko­nzerts: Er ist berühmt.

Oder dass die New Yorker Met zum Video-Veranstalt­er wurde, der Konzerte aus der Wiener Hofreitsch­ule streamt, während die Orchesterm­usiker unbezahlt spazieren gehen.

Wien produziert während des Lockdowns immerhin einen neuen „Parsifal“. Egal, ob man das Ergebnis mag: Es kann uns nicht egal sein, solche Signale auszusende­n. Das gilt übrigens auch für den Fall, dass wir unseren Philharmon­ikern ermögliche­n, in Mailand an den Feiern zu Riccardo Mutis Achtziger teilzunehm­en. Was hatte dieses Land internatio­nal zu bieten? Ach ja: Die Musikstadt Wien . . .

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

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VON WILHELM SINKOVICZ

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