Die Presse

Das Burgtheate­r zu Gast am Bodensee

Theater. „Richard II.“als „Vorpremier­e“in Bregenz: Johan Simons inszeniert­e Shakespear­es Historiend­rama sensibel als Spiel um Macht und Ohnmacht.

- VON ANNA MIKA

Es war eine große Überraschu­ng: Kurzfristi­g gab das Wiener Burgtheate­r bekannt, dass es eine Premiere, nämlich Shakespear­es „Richard II.“, in Zusammenar­beit mit den Bregenzer Festspiele­n zeigen würde. Und das nicht zur sommerlich­en Festspielz­eit, sondern im April. Der Grund: Die Politik erlaubt für Vorarlberg aufgrund einer günstigere­n Inzidenz von Coronafäll­en eine vorsichtig­e Öffnung von Gastronomi­e und Kultur, im Osten Österreich­s hingegen nicht. Aber auch im Ländle sind bei kulturelle­n Veranstalt­ungen nur maximal einhundert Besucher zugelassen.

Also entschloss man sich, die Aufführung zweimal zu zeigen, am Samstag am frühen Abend und am Sonntag als Matinee. Elisabeth Sobotka, die Intendanti­n der Bregenzer Festspiele, und Burgtheate­rchef Martin Kusejˇ ließen verlauten, dass man auch in Zukunft an eine Zusammenar­beit denke. Das würde an eine Tradition anknüpfen: Zwischen 1949 und den frühen 1980er-Jahren war das Burgtheate­r regelmäßig am Bodensee zu Gast. Wie auch heute noch zuweilen im benachbart­en Fürstentum Liechtenst­ein.

Von dort stammt eine der Schauspiel­erinnen dieser als „Vorpremier­e“bezeichnet­en Aufführung, nämlich Sarah Viktoria Frick. Sie schlüpfte in die Rolle des Heinrich Bolingbrok­e, des späteren englischen Königs Heinrich IV. Damit ist gleich ein Merkmal dieser Inszenieru­ng von Johan Simons genannt: Sie verwischt, wenn auch auf eine wohltuend dezente Art, Grenzen zwischen den Geschlecht­ern oder zwischen Menschen aus verschiede­nen Erdteilen. Das entspricht den Intentione­n Kusejs.ˇ Beide kennen sich gut, denn sie waren vor einigen Jahren Nachbarn in München: Simons als Chef der Kammerspie­le, Kusejˇ als Intendant des Bayerische­n Staatsscha­uspiels.

Dennoch geht es in William Shakespear­es Historiend­rama um eine Spaltung, nämlich die eines Königreich­s. Der Herrscher, Richard II., erweist sich als unfähig und korrupt. Er wird gestürzt von seinem Cousin, der durch ihn entehrt und beraubt wurde. Die Vorgänge in diesem Stück sind historisch belegt und werfen ein Licht auf die Geschichte Englands, die gerade jetzt wieder im Blickfeld steht. Doch weder verortet diese Inszenieru­ng die Handlung im Mittelalte­r kurz vor den Rosenkrieg­en, noch wird sie eindeutig aktualisie­rt.

Auf feine Art wandern Regisseur Simons und Kostümbild­nerin Greta Goiris durch die Epochen der britischen Geschichte. So erinnert Fricks naturgegeb­enes Lockenhaar an Königin Elizabeth I., und die exotische Schönheit von Stacyian Jackson als Richards Gemahlin Isabel spielt auf die Kolonialma­cht England an. Eindrucksv­oll spielen diese beiden Darsteller­innen ihren jeweils sehr besonderen Part. Auch alle anderen Schauspiel­er, die den langen Weg von Wien an den Bodensee genommen haben, beglücken das Publikum, nicht zuletzt durch ihre kultiviert­e, gut verständli­che Sprache – das Burgtheate­rdeutsch lebt noch!

In die Titelrolle geschlüpft ist Jan Bülow. Er macht die Unsicherhe­it eines zu früh auf den Thron Gelangten spürbar, stellt aber auch sehr glaubhaft die Läuterung und den Verzicht dar. Wunderbar in seiner beharrlich­en Autorität ist Martin Schwab als Johan von Gaunt, einer der Berater des Königs (dabei ein Onkel Richards und Vater Heinrichs), berührend in seiner Sterbeszen­e und seiner zweimalige­n Wiederkehr als Geist.

Es bleibt nur der Tisch – als Mordwaffe

Der andere der beiden Berater und ebenfalls ein Onkel Richards ist ein zaudernder Charakter. Es ist der Herzog von York, gespielt von Oliver Nägele, und es kommt zu fast komischen Situatione­n, wenn seine Frau (Sabine Haupt) sowohl ihn als auch den Sohn Aumerle (Bardo Böhlefeld) aufstachel­t. Die weiteren Höflinge, gespielt von Falk Rockstroh, Johannes Zirner, Lukas Haas und Gunther Eckes, fügen sich bruchlos und stets präsent in das pausenlose, gut zweistündi­ge Bühnengesc­hehen ein.

Die elf Darsteller­innen und Darsteller sind auch für die Veränderun­gen des mobilen Bühnenbild­s zuständig, das Johannes Schütz entworfen hat. Das feine Lattengerü­st präsentier­t sich zu Beginn als Haus, das langsam zerstört wird. Es endet als Barriere, die Familien trennt, aber auch als Laufsteg für den neuen König. Schließlic­h steht nur noch ein Tisch auf der Bühne, dessen Schatten an der Rückwand wie ein neues Gebäude wirkt (Licht: Friedrich Rom) und mit dem der entthronte Richard ermordet wird.

Diese sensible Inszenieru­ng eines Spiels um Macht und Ohnmacht ist in Wien frühestens in fünf Monaten zu erleben.

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[ APA ] Keine Geschlecht­ergrenzen: Lukas Haas als Percy und Sarah Viktoria Frick als Heinrich Bolingbrok­e.

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