Der Zauber der lauten Häuslichkeit
Musikverein. Die frisch geimpften Philharmoniker unter Franz Welser-Möst spielten Franz Schubert und Richard Strauss: musikalischer Charme mit Augenzwinkern.
Tusch! Als würde der Herr Kapellmeister endlich, nach unzähligen vehementen morgendlichen Ehrenrunden an Diskussionen, Liebesbezeugungen und allgemeinen Verabschiedungen mit der Gattin, nach Gekrächze des Nachwuchses und wohl auch markierter Geschäftigkeit des Personals die Haustür hinter sich ins Schloss werfen und ins Theater eilen.
Oder, anders imaginiert, zu guter Letzt allein sich in seinen Lieblingslehnstuhl fallen lassen: mit den drei ersten Tönen seines Themas, im Forte fortissimo, der letzte Akkord gekrönt von einer Fermate, einer „Corona“, wie es in Italien heißt: So endet die „Symphonia Domestica“von Richard Strauss, in der er 1903 sein junges Familienglück zu dritt mit allen Schikanen der Tonkunst schildert.
Mit eingeschlossen: komplexe Fugendurchführungen der Themen von Vater, Mutter und Kind, Volten durch alle Tonarten, Instrumentationsfinessen. Und nicht zuletzt eine nächtliche Liebesszene, die alle Klischees vom langweiligbürgerlichen Ehebett Lügen straft.
Die Wiener Philharmoniker und Franz Welser-Möst kosteten das aus, mit Überblick, wohltuendem Sinn für Ironie und generell einem sachdienlich schlankem Tonfall. So hielt man auch die kalorisch aufgeheizten Szenen halbwegs transparent und brachte sie zum Schillern. Heraus kam der Zauber einer gar nicht stillen Häuslichkeit.
Ein Sequel und Prequel
Es war sozusagen das Sequel zu einem Konzert vom Juni 2020, als das Orchester nach dem ersten Lockdown endlich wieder auftreten konnte und – im besonderen Fall unter Welser-Möst – gleichfalls Musik von Franz Schubert und Richard Strauss spielte.
Damals waren immerhin 50 Menschen im Publikum zugelassen. Jetzt hingegen offiziell gar keine mehr oder noch keine wieder. Und auch den privilegierten Journalisten waren diesmal nur Stühle im Stehparterre zugewiesen, auf dass die ORF-Kameras den komplett leeren Musikvereinssaal einfangen konnten: ein trauriger, aber ehrlicher Anblick. Doch zugleich handelte es sich auch um ein Prequel. Denn waren vergangenes Jahr Schuberts Dritte und die Zwischenspiele aus Strauss’ „Intermezzo“erklungen, das sich um ein vermeintliches späteres Gspusi des Komponisten dreht, ging man nun einen Schritt in der Historie zurück: zur „Domestica“und eingangs zu Schuberts Zweiter.
Der Zugang unterschied sich dabei nicht wesentlich: Melodischer Charme stand im Mittelpunkt. Mit der Klarinette als manchmal diskret, aber fröhlich ausschweifendem Widerpart und kleinen improvisierten Bläserauszierungen. Aber auch seidenem Streicherklang und einem gewissen Augenzwinkern dort, wo es galt, Moll-Stürme im Wasserglas prickelnd hochzuschaukeln.
Zu hören: Sieben Tage online auf Ö1, als Stream via Fidelio, auf ORF III am 16. Mai.