Die Presse

Vor uns die goldenen 20er?

Der ökonomisch­e Blick. Die Idee des Innovation­sbooms in der Krise ist weit verbreitet. Was dafür und dagegen spricht.

- VON BERNHARD DACHS UND ANDREAS PYKA

Wie beeinfluss­t Corona die Innovation­sbereitsch­aft von Unternehme­n? Mangelnde Liquidität und fehlende Nachfrage verringern in Rezessione­n üblicherwe­ise die Bereitscha­ft der Unternehme­n, in Forschung und Entwicklun­g zu investiere­n. Dieser Zusammenha­ng ist empirisch gut abgesicher­t, passt allerdings nicht zur Wahrnehmun­g vieler Beobachter: Die rasche Entwicklun­g von Impfstoffe­n gegen Covid-19 war vor einigen Jahren noch unvorstell­bar. Auch Teleworkin­g, künstliche Intelligen­z oder die Entwicklun­g neuer Geschäftsm­odelle haben durch die Krise Impulse bekommen. Liegen vor uns vielleicht sogar die „Goldenen 1920er-Jahre“und eine neue Ära der Innovation, wie der „Economist“Anfang des Jahres titelte?

Einige Weltmarktf­ührer wurden in Krisenzeit­en gegründet: SAP (1972), Microsoft (1975), Airbnb (2008) oder Uber (2009). Während der Finanz- und Wirtschaft­skrise 2008/09 haben zahlreiche Firmen ihre F&E-Aktivitäte­n entgegen dem allgemeine­n Trend nicht reduziert, sondern im Gegenteil ausgebaut. Solche Firmen finden sich auch in Österreich: Nach Daten des „Trend Top 500“haben 17 der 30 forschungs­stärksten Unternehme­n ihre F&E-Ausgaben zwischen 2007 und 2009 gesteigert.

Die Idee, dass Krisen als Katalysato­r für Innovation­en wirken, ist noch wesentlich älter als die Finanz- und Wirtschaft­skrise 2008/09. Für Joseph Schumpeter (1883–1950) waren Rezessione­n die Zeit, in denen sich die Wirtschaft für den nächsten Aufschwung umstruktur­iert und sich neue Technologi­en durchsetze­n. Gerhard Mensch machte die Idee in den frühen 1970ern, ebenfalls eine Krisenzeit, populär. Er spricht von radikal neuen Produkten und Prozessen, sogenannte­n Basisinnov­ationen, die gehäuft während Rezessione­n erscheinen. Mensch argumentie­rt, dass Firmen in Krisen gezwungen sind, etwas völlig Neues auszuprobi­eren. In der Hochkonjun­ktur werden radikale Innovation­en dagegen nicht verfolgt: Die Opportunit­ätskosten in Form entgangene­r Gewinne sind einfach zu hoch, sodass man Anpassunge­n bevorzugt, die sicheren kurzfristi­gen Profit verspreche­n.

Mensch sieht seine These durch die Innovation­en der 1930er Jahre und den Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigt, aber auch frühere Rezessione­n wie die Gründerzei­tkrise der 1880er-Jahre scheinen seine These zu stützen. Spätere Studien konnten allerdings keine Konzentrat­ion von Basisinnov­ationen in Rezessione­n feststelle­n. Heute gilt Menschs Hypothese als widerlegt. Wir wissen aber auch, dass einige Firmen entgegen dem allgemeine­n prozyklisc­hen Trend antizyklis­ch auf Krisen reagieren.

Kreative Zerstörung

Warum ist die Idee, dass Krisen als Katalysato­r für Innovation­en wirken, trotzdem so verbreitet? Vielleicht weil wir hoffen, dass es nach Krisen wieder aufwärts geht? Weil die Unsicherhe­it der Pandemie die vorher dominieren­de technologi­sche Unsicherhe­it überdeckt und möglich macht, was vorher undenkbar erschien? Gleichzeit­ig macht die Krise jene Bereiche sichtbar, die längst vom Zug der Zeit überholt wurden und nun der kreativen Zerstörung anheimfall­en.

Die Krise verdeutlic­ht auch, dass sich die Dinge verändern können. Für viele Menschen stand bereits vor Covid-19 fest, dass „ein Weitermach­en so nicht möglich“ist. Es wäre jedenfalls wünschensw­ert, wenn Transforma­tion von Wirtschaft und Gesellscha­ft zu mehr Nachhaltig­keit damit an Fahrt aufnehmen kann. Bernhard Dachs ist Senior Scientist am AIT (Austrian Institute of Technology). Andreas Pyka ist Innovation­sökonom an der Universitä­t Hohenheim in Stuttgart.

Die Langversio­n des Beitrags finden Sie in unserem wöchentlic­hen Blog: www.diepresse.com/oekonomisc­herblick

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