Vor uns die goldenen 20er?
Der ökonomische Blick. Die Idee des Innovationsbooms in der Krise ist weit verbreitet. Was dafür und dagegen spricht.
Wie beeinflusst Corona die Innovationsbereitschaft von Unternehmen? Mangelnde Liquidität und fehlende Nachfrage verringern in Rezessionen üblicherweise die Bereitschaft der Unternehmen, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Dieser Zusammenhang ist empirisch gut abgesichert, passt allerdings nicht zur Wahrnehmung vieler Beobachter: Die rasche Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 war vor einigen Jahren noch unvorstellbar. Auch Teleworking, künstliche Intelligenz oder die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle haben durch die Krise Impulse bekommen. Liegen vor uns vielleicht sogar die „Goldenen 1920er-Jahre“und eine neue Ära der Innovation, wie der „Economist“Anfang des Jahres titelte?
Einige Weltmarktführer wurden in Krisenzeiten gegründet: SAP (1972), Microsoft (1975), Airbnb (2008) oder Uber (2009). Während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 haben zahlreiche Firmen ihre F&E-Aktivitäten entgegen dem allgemeinen Trend nicht reduziert, sondern im Gegenteil ausgebaut. Solche Firmen finden sich auch in Österreich: Nach Daten des „Trend Top 500“haben 17 der 30 forschungsstärksten Unternehmen ihre F&E-Ausgaben zwischen 2007 und 2009 gesteigert.
Die Idee, dass Krisen als Katalysator für Innovationen wirken, ist noch wesentlich älter als die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09. Für Joseph Schumpeter (1883–1950) waren Rezessionen die Zeit, in denen sich die Wirtschaft für den nächsten Aufschwung umstrukturiert und sich neue Technologien durchsetzen. Gerhard Mensch machte die Idee in den frühen 1970ern, ebenfalls eine Krisenzeit, populär. Er spricht von radikal neuen Produkten und Prozessen, sogenannten Basisinnovationen, die gehäuft während Rezessionen erscheinen. Mensch argumentiert, dass Firmen in Krisen gezwungen sind, etwas völlig Neues auszuprobieren. In der Hochkonjunktur werden radikale Innovationen dagegen nicht verfolgt: Die Opportunitätskosten in Form entgangener Gewinne sind einfach zu hoch, sodass man Anpassungen bevorzugt, die sicheren kurzfristigen Profit versprechen.
Mensch sieht seine These durch die Innovationen der 1930er Jahre und den Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg bestätigt, aber auch frühere Rezessionen wie die Gründerzeitkrise der 1880er-Jahre scheinen seine These zu stützen. Spätere Studien konnten allerdings keine Konzentration von Basisinnovationen in Rezessionen feststellen. Heute gilt Menschs Hypothese als widerlegt. Wir wissen aber auch, dass einige Firmen entgegen dem allgemeinen prozyklischen Trend antizyklisch auf Krisen reagieren.
Kreative Zerstörung
Warum ist die Idee, dass Krisen als Katalysator für Innovationen wirken, trotzdem so verbreitet? Vielleicht weil wir hoffen, dass es nach Krisen wieder aufwärts geht? Weil die Unsicherheit der Pandemie die vorher dominierende technologische Unsicherheit überdeckt und möglich macht, was vorher undenkbar erschien? Gleichzeitig macht die Krise jene Bereiche sichtbar, die längst vom Zug der Zeit überholt wurden und nun der kreativen Zerstörung anheimfallen.
Die Krise verdeutlicht auch, dass sich die Dinge verändern können. Für viele Menschen stand bereits vor Covid-19 fest, dass „ein Weitermachen so nicht möglich“ist. Es wäre jedenfalls wünschenswert, wenn Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu mehr Nachhaltigkeit damit an Fahrt aufnehmen kann. Bernhard Dachs ist Senior Scientist am AIT (Austrian Institute of Technology). Andreas Pyka ist Innovationsökonom an der Universität Hohenheim in Stuttgart.
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