Beihilfe zum Suizid ist weniger „Autonomie“als „Ökonomie“
Der internationale Trend ist klar: Sterbegründe werden immer weiter ausgedehnt, Staaten wollen durch Sterbehilfe auch Kosten sparen.
Kürzlich ging es durch alle Medien: 80 Prozent der Österreicher seien für die Sterbehilfe, lautete die Schlagzeile. Auftraggeber war die seit 2019 bestehende „Österreichische Gesellschaft für ein humanes Lebensende“. Bereits im Vorjahr hatte diese angekündigt, als erster Sterbehilfe-Verein seine Dienste auch in Österreich anzubieten. Möglich wird dies durch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), das derselbe Verein durch eine Klage erwirkt hat. In Zukunft soll die Beihilfe zum Suizid straffrei sein, auch die gewerbliche Sterbehilfe wäre möglich.
Die Politik hat laut Auftrag des VfGH nur bis Jahresende 2021 Zeit, dies in Gesetzesform zu gießen. Eine schwierige, fast unmögliche Aufgabe, denn das Gesetz soll die Selbsttötung unter Mitwirkung Dritter erlauben, zugleich aber klare Grenzen definieren und Missbrauch verhindern. Derzeit finden Beratungen mit Fachleuten, Kirchen und Institutionen statt, um eine gesetzliche Lösung vorzubereiten.
In dieser heiklen Phase versuchen Sterbehilfe-Vereine, öffentlichen Druck aufzubauen. Eines der Mittel ist jene zitierte Umfrage, nach der angeblich 80 Prozent für Beihilfe zum Suizid sind. Doch sieht man sich das Design der Umfrage an, ist die Sache nicht so eindeutig: Die Befragten waren zwischen 16 und 69 Jahre alt, also Menschen, deren statistischer Todeszeitpunkt noch in der Ferne liegt. Am höchsten war die Zustimmung zum Entscheid des VfGH bei den unter 30-Jährigen. Doch je älter die Befragten, desto niedriger war die Zustimmung. Es wurden keine 70- bis 85-Jährigen befragt, die eher betroffen sind vom nahen Lebensende, von Morbidität und vom „Autonomieverlust“.
Manche Fragestellung war manipulativ: So wurde gefragt, ob man zustimmen würde, „die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (zu) akzeptieren und kein neues Gesetz (zu) verabschieden. Die derzeit geltenden Regelungen sind ausreichend“. Das suggeriert, dass die derzeitige Gesetzeslage einfach weiter gilt. Dem ist aber nicht so, denn beschließt das Parlament kein neues Gesetz, gelten ab 1. 1. 2022 gar keine Regeln für Beihilfe zum Suizid. Für Sterbehilfe-Vereine wäre das der Idealfall, denn dann hätten sie ein maximales Tätigkeitsfeld.
Der VfGH fordert jedoch eine klare Eingrenzung des Zugangs zur Sterbehilfe. Wie schwierig dies in der Praxis ist und wie groß die Gefahr, dass Grenzen immer weiter ausgedehnt werden, zeigen die Erfahrungen in anderen Ländern. So sind in Belgien die Fälle von Tötung auf Verlangen und assistierten Suiziden von 24 im Jahr 2002 rasant auf 2656 im Jahr 2019 gestiegen. Der Anwendungsbereich des Euthanasiegesetzes, wie es dort offiziell genannt wird, wurde immer weiter ausgedehnt. Inzwischen werden auch „Lebensmüdigkeit“oder altersbedingte Beschwerden akzeptiert. In Kanada wurde im März ein Gesetz beschlossen, mit dem die „Euthanasie“extrem ausgeweitet wird. Im Zuge dessen wurden die positiven ökonomischen Effekte der neuen Regelung hervorgehoben: Da die Kosten für das Gesundheitssystem in den letzten Lebensjahren eines Menschen besonders hoch seien, könne man sich künftig zehn bis 20 Prozent an den Gesamtkosten ersparen.
Es ist wahrscheinlich, dass diese Entwicklungen auch vor Österreich nicht haltmachen werden. Aufgrund der aktuellen Gesundheitsund Wirtschaftskrise, in der man besonders viele Leben „retten“will, sind die Staatsfinanzen noch für lange Zeit sehr angespannt. Es wird künftig nicht nur das Geld, sondern auch noch mehr als bisher an Pflegepersonal fehlen. Die Bevölkerung wird immer älter, weil die Babyboomer ins Seniorenalter kommen. Ein Generationenkonflikt zeichnet sich bereits jetzt ab. Das alles sind Parameter, die es sehr wahrscheinlich machen, dass im Hinblick auf die Sterbehilfe statt der „Autonomie“der gesellschaftliche Druck und die „Ökonomie“die Oberhand gewinnen werden.
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Zur Autorin:
Dr. Gudula Walterskirchen ist Journalistin und seit 2017 Herausgeberin der „Niederösterreichischen Nachrichten“und der „Burgenländischen Volkszeitung“.
Morgen in „Quergeschrieben“: Andrea Schurian