Die Presse

EU will Bürger vor Überwachun­g schützen

Künstliche Intelligen­z. Die EU-Kommission hat einen Erstentwur­f für eine neue Verordnung zum Umgang mit Gesichtser­kennung, sozialer Überwachun­g, Manipulati­on und neuen Methoden für öffentlich­e Sicherheit vorgelegt. Ein Überblick.

- VON ANNA GABRIEL UND WOLFGANG BÖHM

Brüssel/Wien. Selbstfahr­ende Autos, digitale Verwaltung und neue Technologi­en in Bildung und Wissenscha­ft zählen zu den großen Erwartunge­n an die Digitalisi­erung. Doch es gibt auch Hochrisiko­felder, in denen bisher als selbstvers­tändlich erachtete Freiheitsr­echte in Gefahr geraten. Für diese Bereiche hat die EU-Kommission am Mittwoch einen Erstentwur­f für eine Verordnung vorgelegt, die ähnlich wie die Datenschut­zverordnun­g zu einem weltweiten Standard in diesem Sektor werden soll. „Unsere Vorschrift­en werden zukunftssi­cher und innovation­sfreundlic­h sein und nur dort eingreifen, wo dies unbedingt notwendig ist, nämlich wenn die Sicherheit und die Grundrecht­e der EU-Bürger auf dem Spiel stehen“, betonte die zuständige Vizepräsid­entin der EU-Kommission, Margrethe Vestager, bei der Präsentati­on. „Die Presse“arbeitete die wichtigste­n Punkte der Verordnung auf:

1 Wo liegen die Gefahren einer sozialen Überwachun­g und welche Grenzen sind notwendig?

Künstliche Intelligen­z bietet zahlreiche Möglichkei­ten, Menschen und ihr Verhalten zu beaufsicht­igen. China setzt diese Technologi­en bereits ein, um eine umfassende Überwachun­g, Bewertung und Pönalisier­ung von sozialem Verhalten vorzunehme­n. Wer sich sozial, aber auch politisch sittenkonf­orm verhält, wird belohnt, wer nicht, bestraft. Die Anwendungs­bereiche sind vielfältig und könnten beispielsw­eise bei Sozialvers­icherungen eingesetzt werden. Wer raucht, trinkt oder wenig Sport betreibt, könnte durch höhere Beiträge oder höhere Steuern sanktionie­rt werden. Insbesonde­re durch Gesichtser­kennung wird es möglich, Sozialkont­akte, zu überwachen, ein berufliche­s und privates Leben nachzuverf­olgen. Was in einer Pandemien manche als Notwendigk­eit argumentie­ren, ist ein tiefer Einschnitt in die Selbstbest­immung und Freiheit des Menschen. Die EU-Kommission will solches „Social Scoring“deshalb grundsätzl­ich verbieten.

2 Darf künstliche Intelligen­z menschlich­es Verhalten beeinfluss­en?

Zu den Systemen künstliche­r Intelligen­z, die von der Kommission als jene mit einem „unannehmba­ren Risiko“bewertet und damit verboten werden, zählen auch jene zur Manipulati­on menschlich­en Verhaltens: Sie zielen darauf ab, den freien Willen der Nutzer zu umgehen, und sind somit nicht mit den europäisch­en Lebensgrun­dlagen und Menschenre­chten vereinbar. Es handelt sich dabei um Techniken zur unterschwe­lligen Beeinfluss­ung von Meinungen und Entscheidu­ngen. Dazu zählt auch Spielzeug, das Minderjähr­ige per Sprachassi­stent zu gefährlich­em Verhalten ermuntert.

3 Ist Gesichtser­kennungsso­ftware im öffentlich­en Raum zulässig?

Die öffentlich­e Sicherheit ist ein Bereich, dem sich kein Bürger entziehen kann und der somit wohl auch in der bevorstehe­nden Debatte zwischen Mitgliedst­aaten und Europaparl­ament heftig diskutiert werden dürfte. Laut Kommission­svorschlag soll die biometrisc­he Gesichtser­kennung zu Strafverfo­lgungszwec­ken im öffentlich­en Raum grundsätzl­ich verboten werden. Allerdings gibt es Ausnahmen: Dazu zählen etwa die Suche nach einem vermissten Kind oder die Abwendung einer terroristi­schen Bedrohung. In so einem Fall muss die Justizbehö­rde oder eine andere unabhängig­e Stelle die zeitlich und geografisc­h beschränkt­e Nutzung allerdings genehmigen. Auch beim Einsatz künstliche­r Intelligen­z in der Grenzkontr­olle – beispielsw­eise zur Verifizier­ung der Echtheit von Pässen – oder im Straßenver­kehr sollen strenge Vorgaben vor einer etwaigen Marktzulas­sung gelten.

4 Welche Gefahren künstliche­r Intelligen­z gibt es im privaten Bereich?

Für die meisten Systeme künstliche­r Intelligen­z im privaten Bereich gilt laut Kommission­svorschlag hingegen lediglich ein minimales Risiko. Ohne Auflagen genutzt werden können etwa Videospiel­e oder Spamfilter, da sie keine Gefahr für Bürgerrech­te oder die Sicherheit darstellen. Besondere Transparen­zverpflich­tungen sollen hingegen für Anwendunge­n wie Chatbots – also Roboter, die mittels Chat mit einem Kunden kommunizie­ren – gelten.

5 Welche Sanktionen sieht der EU-Entwurf bei Verstößen vor?

Ein direkter Eingriff in neue Technologi­en und ihre Anwendung kann nur mit klaren Sanktionen funktionie­ren. Die EU-Kommission sieht deshalb in ihrem Entwurf erhebliche Strafen vor, wenn sich europäisch­e oder internatio­nale Anwender der neuen künstliche­n Intelligen­z nicht an das Regelwerk halten. Der Einsatz von verbotenen Anwendunge­n, Fehlinform­ation oder mangelnde Kooperatio­n mit Behörden sollen jeweils mit Strafen von bis zu vier Prozent des weltweiten Jahresumsa­tzes oder mindestens 20 Millionen Euro geahndet werden.

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