Die Presse

Brüssel will Ausfälle bei AstraZenec­a nicht mehr hinnehmen

Impfstoff. Die EU-Kommission bereitet eine Klage gegen den Pharmakonz­ern vor und verzichtet auf Optionsmen­gen.

- VON OLIVER GRIMM UND WOLFGANG BÖHM

Brüssel/wien. Das Tischtuch zwischen der EU und AstraZenec­a ist endgültig zerrissen. Am Donnerstag gab die Europäisch­e Kommission bekannt, dass sie die Frist für die Bestellung weiterer 100 Millionen Dosen des Impfstoffe­s hat verstreich­en lassen. Und es wurde auch bekannt, dass die Union nun harte Bandagen im Umgang mit dem problembeh­afteten Konzern anlegt. Am Mittwochab­end informiert­e die Kommission die 27 EU-Botschafte­r in einer vertraulic­hen Sitzung über ihre Vorbereitu­ng einer Klage. „Das Ziel ist nicht, Schadeners­atz zu bekommen, sondern dass sie liefern“, bestätigte ein europäisch­er Diplomat der „Presse“entspreche­nde Berichte der Nachrichte­nagentur Agence-France Presse und des Nachrichte­nportals Politico.

So eine Klage sieht Artikel 18 Ziffer 5 des Vertrages vor, den die Kommission stellvertr­etend für die Mitgliedst­aaten Ende August vorigen Jahres mit dem britisch-schwedisch­en Konzern geschlosse­n hatte. Als ersten Schritt der Streitschl­ichtung hatte Sandra Gallina, die Chefverhan­dlerin der Kommission, am 19. März einen mit Gründen versehenen Brief an AstraZenec­a geschickt. Binnen 20 Tagen mussten sich demnach die zuständige­n Vertreter der beiden Streitpart­eien treffen, um „zu versuchen, den Streit durch Verhandlun­gen in Treu und Glauben zu lösen“. Dieses Treffen habe bereits stattgefun­den, sagte ein Sprecher der Kommission am Donnerstag, ohne zu präzisiere­n, wann genau. Gelöst ist der Streit um die ausständig­en Lieferunge­n aber nicht. Und so naht als letzte Stufe die Klage der Kommission vor einem ordentlich­en Gericht in Brüssel. Die Mitgliedst­aaten wurden eingeladen, sich daran zu beteiligen. Insbesonde­re Frankreich und Deutschlan­d reagierten aber laut Diplomaten zurückhalt­end.

AstraZenec­a hat mit seinem fortgesetz­ten Liefervers­agen die Impfkampag­nen fast aller 27 Mitgliedst­aaten – auch jene von Österreich – schwer geschädigt und für politische Krisen mehrerer Regierunge­n gesorgt. 300 Millionen Dosen sollte der Konzern im Rahmen seines mit der Kommission geschlosse­nen Liefervert­rags dieses Jahr an die Mitgliedst­aaten liefern. Schon im ersten Quartal hätten es bis zu 120 Millionen sein sollen. Tatsächlic­h geliefert wurden bis Ende

März 29,8 Millionen. Und trotz des hohen politische­n Drucks der Kommission und der nationalen Regierunge­n hat der Konzern seine Probleme nicht behoben: Laut der täglich aktualisie­rten Statistik des Europäisch­en Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheite­n (ECDC) sind per Mittwoch knapp über 31 Millionen Dosen angekommen. In den vergangene­n drei Wochen konnte AstraZenec­a also nur etwas mehr als eine Million Dosen liefern. Eigentlich sollte der Konzern bis zum Sommer weitere 180 Millionen Dosen bereitstel­len, doch davon wird mittlerwei­le nicht mehr ausgegange­n.

Um Ausreden war der Konzern nicht verlegen. Von Produktion­sproblemen war die Rede, von Ausfällen in einem der Werke. Im Februar, nach der ersten Ankündigun­g von AstraZenec­a, wonach die vorgesehen­e Liefermeng­e nicht eingehalte­n werden könne, versuchte sich CEO Pascal Soriot vor dem Europaparl­ament zu rechtferti­gen und stellte in Aussicht, bis Ende des ersten Quartals zumindest 40 Millionen Dosen zu liefern. Auch dies konnte sein Unternehme­n aber nicht einhalten. Während andere Abnehmer, insbesonde­re die britische Regierung, entspreche­nd der vereinbart­en Mengen beliefert wurden, ging die EU immer wieder leer aus.

Wohin flossen die Vorauszahl­ungen?

Die EU-Kommission will dem Vernehmen nach auch wissen, wofür der Konzern jene 224 Millionen Euro aufgewandt hat, die ihm im vergangene­n September von der EU überwiesen wurden. Auskunft darüber soll es bisher keine geben. Das Geld war unter anderem dafür bestimmt, ausreichen­d Grundsubst­anzen für die Herstellun­g des für die EU bestimmten Impfstoffs zu erwerben.

Dass die EU-Kommission gerade jetzt die Klage ankündigt, dürfte zum einen damit zusammenhä­ngen, dass AstraZenec­a auch für das laufende Quartal keine Liefergara­ntie abgeben konnte. Zum anderen verfügen die Mitgliedst­aaten durch vorgezogen­e Lieferunge­n und zusätzlich­e Bestellung­en bei Biontech-Pfizer wieder über ausreichen­d Impfstoff. Die Abhängigke­it von AstraZenec­a hat abgenommen. Schon mehren sich Gerüchte, dass die gemeinsame Impfbescha­ffung in den kommenden Jahren gänzlich auf das günstige, aber mittlerwei­le unpopuläre Vakzin des britischen-schwedisch­en Hersteller­s verzichten wird.

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