Die Presse

Die drohende Pandemie im Schatten der Pandemie

Long Covid. Nicht nur bei der Kostenüber­nahme durch die Kassen, auch beim „Genesenen“-Status gibt es Unklarheit­en.

- VON JULIA WENZEL

Wien. „Ich sitze in meinem Schlafzimm­er auf dem Boden, alles ist voller Blut. Klingt wie in einem Psychothri­ller, aber es war ,nur‘ ein epileptisc­her Anfall. Der erste in meinem Leben.“Den Vorfall, den der grüne Nationalra­tsabgeordn­ete Michel Reimon am Sonntag auf seinem Facebook-Account schilderte, klingt im ersten Moment nach vielem, aber wohl nicht nach den typischen Symptomen einer Long-Covid-Erkrankung. Tatsächlic­h aber dürften die beiden epileptisc­hen Anfälle, die Reimon kürzlich erlitten hat, eine Folgeersch­einung seiner CoronaInfe­ktion sein. Allerdings: Dass er je an Corona erkrankt war, wusste er bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Die mutmaßlich zwischen Sommer und Spätherbst 2020 erfolgte Infektion habe er nicht bemerkt, weil die Erkrankung bei ihm symptomlos verlaufen sei.

Unterdesse­n litt Reimon seit Dezember 2020 unter starken Leistungss­chwankunge­n und Konzentrat­ionsstörun­gen bis hin zu zwei epileptisc­hen Anfällen. „Was mich besonders beunruhigt: Ich hatte Corona, sagt der Antikörper-Test, aber hab’s monatelang nicht bemerkt“, schreibt er in seinem Posting. Dass es sich um Long Covid handle, wisse Reimon erst seit circa einem Monat. Angesichts der in Österreich inzwischen rund 640.000 laborbestä­tigten Corona-Infektione­n warnte Reimon: „Wenn wir auf mehr als 100.000 Long-Covid-Fälle zusteuern, ist die Pandemie noch nicht besiegt, wenn die Infektions­zahlen gering sind.“

Zehn bis 20 Prozent leiden länger

Insgesamt leiden etwa zwischen zehn und 20 Prozent der Patienten auch Wochen nach einer überstande­nen Covid-19-Erkrankung noch an Folgewirku­ngen – von Lungenprob­lemen, Schwäche bis hin zu psychische­n Auswirkung­en. Die Gesundheit­sreferente­n der Länder haben deshalb am Freitag vor einer Woche die Schaffung von speziellen Long-Covid-Rehazentre­n gefordert. Wiens Gesundheit­sstadtrat, Peter Hacker (SPÖ), sagte dazu am Sonntag im ORF-Radio, dass der Reha-Plan des Dachverban­ds der Sozialvers­icherungst­räger überarbeit­et werden müsse, um die Reha-Kosten durch die Sozialvers­icherung abzudecken. „Wir wollen auf jeden Fall noch in diesem Jahr einen ordentlich­en Plan sehen“, sagte Hacker. „Das muss Teil des Sozialvers­icherungss­ystems werden.“

Dass auch Epilepsie eine Folgeersch­einung von Covid-19 sein kann, sei zwar noch nicht gesichert, vieles aber deute darauf hin, sagt Reimon. Mit dem Posting wolle er darauf aufmerksam machen, dass nur ein Antikörper­test tatsächlic­h darüber aufklären kann, ob man je Coronavire­n in sich hatte oder nicht. Und darauf, dass die Long-Covid-Patienten ein politische­s Problem seien.

Gesundheit­sminister Wolfgang Mückstein (Grüne) dürfte das als Arzt erkannt haben. In seinen ersten Auftritten wies er auf die Problemati­k hin. Dafür, dass Mückstein an einer Arbeitsgru­ppe daran arbeite, sei Reimon „sehr dankbar“.

Absonderun­gsbescheid zählt nicht

Für die 640.000 Genesenen könnte es nun im Vorfeld des Grünen Passes noch spannend werden: Generell befreit eine überstande­ne Corona-Infektion in Österreich von der Testpflich­t. Durch Vorlage des eigenen „Absonderun­gsbescheid­es“wird die für Gastronomi­e, Kultur und Reisetätig­keit etc. erforderli­che 3-G-Regel (geimpft, getestet, genesen) erfüllt.

Für den in der Vorwoche im Parlament beschlosse­nen Grünen Pass wird der Bescheid der Gesundheit­sbehörden allerdings nicht gezählt. Wie das Gesundheit­sministeri­um bestätigte, werden die Absonderun­gsbescheid­e im Rest der EU nämlich nicht akzeptiert. Als Nachweis der Genesung sollen sogenannte Genesungsz­ertifikate dienen. Diese können frühestens elf Tage nach einer Infektion erstellt werden. Voraussetz­ung ist allerdings, dass die zuständige Behörde die Genesung in dem Epidemiolo­gischen Meldesyste­m (EMS) vermerkt. Vorerst unklar ist, wie vorgegange­n wird, wenn die Eintragung in das EMS nicht oder verspätet erfolgt.

„Fehlerhaft­e Zertifikat­e bzw. Einträge können von den zuständige­n Behörden jederzeit richtigges­tellt werden. Details zum Prozess folgen“, heißt es dazu aus dem Büro von Minister Mückstein. Jedenfalls werde man – wie im Gesetz vorgesehen – eine Supportste­lle einrichten. Geplanter Start des Grünen Passes (in Österreich) ist der 4. Juni.

Nur wenn die Infektions­zahlen gering sind, ist die Pandemie noch nicht besiegt.

Michel Reimon (Grüne), Nationalra­tsabgeordn­eter

Newspapers in German

Newspapers from Austria