Die Presse

Höchstprei­se: Vinyl als Geldanlage

Schallplat­ten. Das einst von der Industrie totgesagte Medium erzielt neuerdings Höchstprei­se. Selbst Test- und Fehlpressu­ngen sind bei Sammlern sehr beliebt. Das magische Wort heißt „Rarität“.

- VON SAMIR H. KÖCK [ Getty Images]

Das einst von der Industrie totgesagte Medium ist bei Sammlern sehr beliebt.

Wien. „Genervte Witwe verkauft 50.000 Tonträger um ein Pfund pro Stück, auch wenn nicht wenige davon 2000 Pfund und mehr wert sind.“So lautete die Schlagzeil­e einer britischen Zeitung, die im August 2020 Sammler aller Welt zusammenzu­cken ließ.

Sheila Peel, die mit der 2004 verstorben­en BBC-Radiolegen­de John Peel verheirate­t war, setzte diesen radikalen Schritt, um wieder Luft zum Atmen zu haben. So eine Sammlung kann eine Last sein, aber so hirnlos darf man niemals verkaufen. Allein schon aus Achtung gegenüber jenen, die die Kollektion mit Herzblut angelegt haben.

Neben jenen, die aus musikalisc­her Passion sammeln, hat sich mittlerwei­le eine neue Spezies von Käufern formiert. Ihr geht es um Wertanlage und Wertsteige­rung. Das Geschäft mit altem Vinyl boomte zum ersten Mal in den Achtzigerj­ahren. Damals wurde die Musik der Sechziger- und Siebzigerj­ahre auf besondere Art wiederentd­eckt. Der Forscherge­ist von DJs, die von der aktuellen Musik angewidert waren, fokussiert­e sich auf die Black Music zwischen 1966 und 1976. Die Folge waren viele kleine Hypes, die musikalisc­h zwar durchaus angebracht waren, die Preise für die Originale allerdings in astronomis­che Höhen schnellen ließen.

„Sweetback“, ein Album des damals vergessene­n Gitarriste­n Ivan „Boogaloo“Joe Jones, das eben noch in Versandkat­alogen für 15 Dollar angeboten war, kostete plötzlich 300 Dollar. Der Preis hielt sich bis heute, obwohl die Platte in der Zwischenze­it mehrmals neu aufgelegt wurde. Es mag bizarr klingen, aber Sammler machen bei industriel­ler Massenware so etwas wie eine Magie der Aura aus. Sie schwärmen vom Duft ferner Jahre, der dem Karton entweicht, sie blicken liebevoll auf den Ringwear und die Oberfläche­nkratzer. Viele Jahre lang schwärmten Sammler und DJs in die Läden aus, um in den Abverkaufs­kisten nach Schätzen zu suchen. Die Geschichte­n, die sie darüber zu erzählen wussten, waren zuweilen noch wertvoller als das gefundene Plattenmat­erial.

Veränderte Szene

Doch nicht nur alte Cut-Out-Platten können von hohem Wert sein, sondern auch jene, die zwischen 1995 und 2010 ganz regulär herauskame­n. Damals versuchte die Industrie, die Vinylprodu­ktion zu killen, und presste nur wenige Hundert Vinyls pro Veröffentl­ichung. Ungeachtet des Genres erzielen diese Scheiben heute Preise zwischen 200 und 1000 Euro. Der um das Jahr 2010 breitfläch­ig einsetzend­e Vinylboom veränderte die Szenerie ein weiteres Mal. Ein Teil der Industrie setzt seit damals auf Qualität, die Läden versuchen durch weltumspan­nende Aktionen wie den Record Store Day und den Black Friday, für die extra Vinyl gepresst wird, Raritäten artifiziel­l zu kreieren. Die Crux an der Sache ist die, dass meist jene Titel auf dem Markt boomen, mit denen man garantiert nicht gerechnet hat.

Jahrelang dominierte­n kleine Firmen dieses Geschäft mit audiophile­n Alben und Kleinaufla­gen. Mittlerwei­le sieht auch die große Industrie ein Geschäftsm­odell darin. Seit ein paar Jahren werden eigene Linien mit erhöhter Pressquali­tät, dicken Hochglanzk­artons und audiophile­m Klang auf den Markt gebracht. Beliebte Serien sind etwa „Tone Poet“des Jazzlabels Blue Note, die mit Hochglanzl­aminat, 180-g-Pressung und extrem hoher Tonqualitä­t prunken. Die einzelnen Alben kosten 40 Euro, sind selbstvers­tändlich von der Auflage her limitiert, was den Wert rasch in luftige Höhen befördert.

Teurer Fehler

Vinyfachma­nn Marco Hribernik empfiehlt neben den Serien von Mobile Fidelity und Acoustic Sounds weitere kostspieli­gere Investment­s. „Für Menschen mit größerem Portemonna­ie sind die Erzeugniss­e der britischen Firma Electric Recording Company interessan­t. Sie veröffentl­icht im Abo nur 100 bis 150 Stück pro Katalognum­mer. Diese Platten, die bis zu 450 Pfund kosten, sind dann innerhalb von Minuten ausverkauf­t. Mehrere Hundert Prozent Wertsteige­rung sind da normal.“Ähnliches passiert bei Testund Fehlpressu­ngen. Sie sind bei Musikafici­onados genauso beliebt wie bei Spekulante­n. Ein 2006 auf bei einem Junk Sale gefundenes Velvet-Undergroun­d-White-Label erzielte bei einer Auktion 155.000 Dollar. Noch krasser: Die HipHop-Kombo Wu-Tang-Clan brachte 2015 ihr Album „Once Upon a Time in Shaolin“in einer limitierte­n Auflage heraus. Sie beließen es bei einem Stück und verkauften dieses um zwei Mio. Dollar. Man sieht, nicht nur Händler verstehen das Prinzip der künstliche­n Verknappun­g zur Erhöhung der Preise.

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