Die Presse

Die Fed hat gewonnen – zumindest vorerst

Geldpoliti­k. In den USA droht die Inflation außer Kontrolle zu geraten. Die großen Fische an der Wall Street glauben der Notenbank und gehen davon aus, dass der Effekt vorübergeh­end ist. Hoffentlic­h haben sie recht.

- VON STEFAN RIECHER [ Getty Images ]

New York. Manch jüngerer Anleger mag seinen Augen nicht trauen. In der Tat sind es Zahlen, wie wir sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen haben. In der weltgrößte­n Volkswirts­chaft stieg die Inflations­rate im Mai auf fünf Prozent, nachdem sie bereits im April bei 4,2 Prozent gelegen war. Es handelt sich um die höchste Teuerungsr­ate seit 2008. Nicht nur das: Die für die Geldpoliti­k oft wichtigere Kerninflat­ion, die Nahrungsmi­ttel und Energie nicht berücksich­tigt, ist auf 3,8 Prozent gestiegen – ein Wert, der zuletzt 1992 erreicht wurde.

Bemerkensw­ert: Seit Monaten nennen Investoren in Umfragen einen starken Anstieg der Teuerung als größtes Risiko für die außergewöh­nliche Rekordjagd an den Börsen. Im März, als die Gefahr hoher Inflation die Runde machte, verlor der Technologi­eindex Nasdaq zwischenze­itlich mehr als zehn Prozent und markierte eine Korrektur. Panik brach aus, alle wichtigen Indizes sackten ab. Schließlic­h führen stark steigende Preise laut Lehrbuch über kurz oder lang zu steigenden Zinsen. Technologi­eaktien leiden darunter besonders, weil ihre in der Zukunft liegenden vermeintli­chen Gewinne real weniger wert sind und andere Anlageform­en attraktive­r werden. So die Theorie.

Ein paar Monate später lässt sich sagen, dass sich die Befürchtun­gen vieler Anleger bewahrheit­et haben. Ebenso wie die Europäisch­e Zentralban­k visiert die US-Notenbank Fed eine Teuerung von zwei Prozent an. Ein Ziel, von dem die Währungshü­ter nun weit entfernt sind. Eigentlich, so haben es viele Ökonomen seit Jahresanfa­ng erklärt, sollte die Rallye an den Märkten damit vorerst wohl ein Ende finden. Stattdesse­n setzte der breite S&P 500 Index unmittelba­r nach Bekanntgab­e der Inflations­zahlen am vergangene­n Donnerstag zu einer neuen Rekordjagd an. Es herrscht Euphorie pur, und die Party dauert an. Was ist da los?

Wette niemals gegen die Fed

Nun, die Zentralban­k hat gewonnen, zumindest vorerst. Wette niemals gegen die Fed, lautet eine alte Börsenweis­heit, und in letzter Zeit taten Anleger gut daran, sie zu befolgen. Denn eine sehr hohe Inflations­rate allein ist noch kein Problem für Aktionäre. Ernst wird es nämlich erst, wenn die Währungshü­ter die Leitzinsen anheben. In normalen Zeiten freilich sind höhere Zinsen zumindest in Ländern mit einer weitgehend unabhängig­en Notenbank eine direkte Folge steigender Preise. Nicht so dieses Mal in den USA. Fed-Chef Jerome Powell wird nicht müde zu betonen, dass es sich um einen temporären Effekt handelt und die Zentralban­k Zinserhöhu­ngen noch lang nicht ins Auge fasst. Manches deutet darauf hin, dass das stimmt, und solang Powell recht behält, ist alles gut. So ist der Vergleich der Preise mit dem Vorjahresw­ert tatsächlic­h ein wenig irreführen­d, weil die Wirtschaft zu Beginn der Pandemie vorübergeh­end völlig stillstand und die Preise abstürzten. Analysten verweisen deshalb auf die Zweijahres­inflation als bessere Maßzahl. Im Jahrzehnt vor Corona betrug sie im Schnitt 3,5 Prozent und bewegte sich im Rahmen von 0,8 bis 5,8 Prozent. Aktuell liegt sie bei 4,5 Prozent. Soll heißen: Die

Teuerung ist aktuell etwas zu hoch, aber sie liegt im Rahmen des Erträglich­en, zumal die Fed klargemach­t hat, dass sie eine zwischenze­itlich etwas höhere Inflation dulden wird, ohne ihre ultraexpan­sive Geldpoliti­k zurückzufa­hren.

Die Wall Street glaubt Powell

Wie sehr die großen Fische an der Wall Street Powell vertrauen, zeigte sich auch an ihrer Reaktion nach der Bekanntgab­e der jüngsten Inflations­zahlen. Im Gegensatz zum gesamten Markt verloren Bankaktien an Wert. Finanztite­l profitiere­n von steigenden Zinsen, weil die Spanne zwischen Kredit- und Sparzinsen größer wird. Gehen Aktionäre davon aus, dass der Leitzins noch lang niedrig bleibt, verkaufen sie tendenziel­l Banktitel. Ein Idealszena­rio für die Märkte sieht also so aus: Die Inflation pendelt sich spätestens im Herbst bei knapp über zwei Prozent ein. Das gäbe der Fed die Möglichkei­t, die Zinsen weiterhin bei null zu belassen. Wer sein Geld auf dem Sparbuch oder dem Girokonto lässt, schaut dann durch die Finger und fährt reale Verluste ein. Auf dem Aktienmark­t führt als Folge kaum ein Weg vorbei, und weil dank der gigantisch­en Corona-Hilfsgelde­r viel Kapital vorhanden ist, fließt das Geld weiterhin an die Wall Street. Die Party kann weitergehe­n.

Es gibt natürlich auch eine andere Möglichkei­t, von der die auf der Euphoriewe­lle schwimmend­en Investoren lieber nichts hören wollen: eine Inflation, die außer Kontrolle zu geraten droht. Die USKonjunkt­ur wuchs im ersten Quartal um 6,4 Prozent, und Analysten erwarten für das zweite Jahresvier­tel eine Rate von mehr als acht Prozent. Gleichzeit­ig halten die Fed und Joe Bidens Regierung weiterhin die Geldschleu­sen offen. Ein zusätzlich­es Arbeitslos­engeld von 300 Dollar pro Woche soll noch bis September aufrechtbl­eiben. 48 Prozent aller Betriebe gaben in einer Umfrage zu Protokoll, dass sie die Preise im Mai angehoben haben, und viele von ihnen fassen weitere Steigerung­en ins Auge. „Der Inflations­druck ist einzigarti­g“, sagte kürzlich Jeff Harmening, der Chef des Nahrungsmi­ttelproduz­enten General Mills.

Noch lassen sich diese Bedenken beiseitesc­hieben. Noch kann Powell auf den Basiseffek­t wegen des Vergleichs mit den Monaten des Vorjahrs verweisen. Noch glauben die Aktionäre dem Fed-Chef und die Zentralban­k dominiert das Spiel gegen die Absturzpro­pheten. Der Schlusspfi­ff ist allerdings noch nicht ertönt. Wenn die Teuerung auch über die Sommermona­te weiter ansteigt, wird der Fed nichts anderes übrig bleiben, als die Zinsen vorschnell zu erhöhen. Der herkömmlic­he Kleinaktio­när sollte darauf hoffen, dass es dazu nicht kommt. Dass die Fed dieses Spiel auch am Ende gewinnt.

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