Musikverein: „Mein Vaterland“als Epos der Befreiung
Philharmoniker unter Jakub Hru˚ˇsa deuten Smetana politisch explosiv.
Die beiden getrennt aufgestellten Harfen mit ihrem rhapsodischen Dialog, dann der dunkel schimmernde, verschmolzene Klang von Fagotten und Hörnern mit dem „Vysehrad“-ˇThema: Damit war sogleich jene besondere Verbindung aus Märchentonfall und edlem Pathos getroffen, die nötig ist für Bedrichˇ Smetanas „Ma´ vlast“, diese groß angelegte Feier von Geschichte, Landschaft, Sagenwelt und auch erhoffter Zukunft seines „Vaterlandes“. Und trotz aller hochgepeitschter Dramatik sollte es den ganzen Abend niemals aufgeblasen oder hohl klingen: Bei Jakub Hru˚sˇa und den Wiener Philharmonikern war jeder Ton echt.
Im November 2019 hatten die Philharmoniker Hru˚sˇa, damals 38, erstmals an das Pult gebeten, als Einspringer für den erkrankten Mariss Jansons – und noch während dieser Konzertserie ging die Nachricht von Jansons’ Tod um die Welt. Orchester und Dirigent kamen einander näher. Für sein erstes Abonnementkonzert im Musikverein (zweiter zusätzlicher Termin am heutigen Montag im Konzerthaus!) hat der gebürtige Brünner und Chef der Bamberger Symphoniker das Nationalheiligtum des tschechischen Kanons ausgesucht. Wer glaubte, dieses „Vaterland“erschöpfe sich in folkloristischer Gemütlichkeit, entzückender Landschaftsbeschreibung entlang der Moldau und ein bisschen sagenumwobenem Säbelrasseln, der wurde hier eines Besseren belehrt. Selten nämlich macht ein Dirigent so unerbittlich und mit nie nachlassenden, aber zugleich exakt differenzierten (Luftsprung-)Kräften Ernst damit, dass Smetana die modernsten, umstrittensten Mittel seiner Zeit anwendet – als Verfechter der „Neudeutschen“, der musikalischen Partei rund um Liszt und Wagner. Leitmotive, subtile Klangeffekte, der „Walküre“würdige Orchesterstürme: Das alles, machte Hru˚sˇa auf elektrisierende Weise klar, hat sein Ziel nicht in Tonmalerei, sondern in der Politik.
Wogen da Wälder und Weizenfelder im Wind, wird auf dem Dorfplatz ausgelassen getanzt? Nicht nur: Am Beginn von „Aus Böhmens Hain und Flur“ächzt auch ein Volk unter dem habsburgischen Joch – und probt in der wilden g-MollPolka den Aufstand. Famos! (wawe)