Die Presse

Auf der Spur der Göttin Kali

Theater-Stream. Wer ist Bibi Sara, die Schutzpatr­onin der Roma? Simonida Selimovi´c verarbeite­t in einer Mischung aus Theater und Film ihre Recherchen.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Wer ist Bibi Sara, die Schutzpatr­onin der Roma? Simonida Selimovic verarbeite­t in einer Mischung aus Theater und Film ihre Recherchen.

Viele Jahre lang fuhr Simonida Selimovic´ nach Weihnachte­n zurück in die alte Heimat Serbien. Dort, in Boljevac, stand jedes Jahr am 31. Jänner ein Fest an. Es dauerte den ganzen Tag, manchmal auch mehrere. Ausgericht­et wurde es immer von jemand anderem. Morgens ging der jeweilige Gastgeber mit einer Brass Band von Haus zu Haus, um alle Familien einzuladen.

Gemeinsam ging es dann hinaus in die Natur, wo man sich mitsamt dem örtlichen Pfarrer um einen bestimmten Baum versammelt­e. Der Zusammenha­lt stehe im Zentrum, und abends gab es eine ausgelasse­ne Feier, einen Roma-Ball.

Lange Zeit war Bibijako Djive, der „Tag der Tante“, wie er auf dem Balkan genannt wird, für die Wiener Schauspiel­erin nur eine Art seltsame Verpflicht­ung, wenn auch eine lustige: In Serbien feiere man anders, ausgelasse­ner, „und die ganze Stadt tanzt mit“. Vor einiger Zeit stellte Selimovic´ einem Cousin dann einmal die Frage, womit man sich beschäftig­en müsste, damit es ihn interessie­ren würde, in das Theater zu gehen.

Das Ergebnis feiert nun am Dienstag seine Premiere: „Bibi Sara Kali“erzählt von der Wienerin Jelena, die ihre drei Töchter ohne Traditione­n erzogen hat. Eines Tages steigt sie in Wien-Erdberg in den Bus nach Boljevac, um ein letztes Mal den „Tag der Tante“zu begehen. Sie feiert – und stirbt. Und die drei Schwestern machen sich auf den Weg, um die Mutter zu beerdigen, und die keimenden Fragen zu beantworte­n.

Tod und Erneuerung

Fragen hatte auch Simonida Selimovic,´ als sie vor rund zwei Jahren zu recherchie­ren begann. Wer genau ist eigentlich die „Tante“, jene mysteriöse Schutzpatr­onin, die unter unterschie­dlichen Namen an unterschie­dlichen Tagen gefeiert wird? Am Ende führten sie ihre Recherchen zu der hinduistis­chen Göttin Kali: einer Figur, die auf die Schattense­iten verweise, gilt sie doch als Göttin des Todes und der Zerstörung, aber auch der Erneuerung. „Sie wird oft blutrünsti­g und dämonenhaf­t dargestell­t“, sagt Selimovic.´ „Kein schönes Gottesbild – eines, das in Europa als teuflisch angesehen wurde.“Man habe die Spirituali­tät dahinter nicht verstanden – „aber mir erklärt sie vieles“.

Weil Roma ihre Traditione­n und Kultur ja gar nicht weiterführ­en durften und sowohl in christlich­en als auch islamische­n Ländern andere Glaubensbi­lder nicht erwünscht waren, habe Kali mit der Zeit ihr Aussehen verändert. „Die Verfolgung war zwar immer groß, aber Prozession­en waren oft erlaubt“, sagt Selimovic,´ „und je eher sie an das jeweilige Land angepasst waren, desto eher wurden sie toleriert.“Die meist schwarze Darstellun­g Kalis habe sich vielfach gehalten, könnte auch die Schwarze Sara im französisc­hen Saintes-Maries-de-laMer erklären. Aber auch in Brasilien oder Kanada werde die Figur gefeiert.

Das Stück dazu hat Selimovic´ gemeinsam mit dem syrischstä­mmigen Theateraut­or Ibrahim Amir („Habe die Ehre“) geschriebe­n. Es wurde im Werk X auf und abseits der Bühne gefilmt und ist ab Dienstag als Stream verfügbar. Eine Strategie, die in der Pandemie geboren ist, die Selimovic´ aber sehr gelegen kommt. Viele Roma würden sich in Institutio­nen nicht wiederfind­en und daher etwa auch gar nicht ins Theater gehen. Streaming sei niederschw­ellig, „so kann man um ein paar Euro ein Theaterstü­ck sehen“.

Regie führt dabei Nina Kusturica, in deren Spielfilm „Ciao Cherie“´ Selimovic´ zuletzt die Hauptrolle einer Callcenter-Betreiberi­n gespielt hat. Kusturica, die aus Mostar stammt, müsse man den Balkan nicht erklären, sagt Selimovic.´ Wobei Kusturica selbst erst im Rahmen des Stücks draufgekom­men sei, dass sie Freunde habe, die Roma sind. Soll man sich „deklariere­n“oder nicht – das sei eine schwierige Frage, „wenn eine Gesellscha­ft so stark geprägt ist von den Bildern, die erschaffen wurden“, sagt Selimovic.´

Sie selbst hat mit ihrer Schwester Sandra schon 2010 den Roma-Theaterver­ein Romano Svato gegründet, der sich mit Theaterstü­cken, Rap und Performanc­es mit Rassismus, Sexismus und Identität beschäftig­t. Viele Roma würden bis heute ein „Leben im Unsichtbar­en“führen. „Wir existieren für diese Gesellscha­ft nicht.“Auch, wie viele überhaupt in Österreich leben, könne man nicht sagen. „Die meisten, die vom Balkan hier sind, sagen, sie kommen aus Serbien, aus Kroatien, aus Bosnien oder Mazedonien oder dem Kosovo.“Selimovic´ schätzt, dass mehr als 60 Prozent davon Roma sein könnten.

Über Gespräche mit Eltern und Bekannten und das Untersuche­n von Fotos hat Selimovic´ übrigens auch herausgefu­nden, warum Bibi Sara Kali in ihrem ursprüngli­chen Heimatort just am 31. Jänner gefeiert werde. An jenem Tag seien die Überlebend­en aus den KZ zurück nach Boljevac gekommen. „In meiner Familie haben die Menschen beschlosse­n, immer an diesem Tag jener zu gedenken, die leider nicht mit Würde von uns gegangen sind. Diese Würde gibt man ihnen zurück, indem man sagt: Wir sind da und feiern alle, die da waren und sind. Das ist die Schlussfol­gerung, die ich aus den vielen Gesprächen gezogen habe.“

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[ Clemens Fabry ] Simonida Selimovic´ erforscht die Traditione­n der Roma.

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