Leitartikel von Christian Ultsch
US-Präsident Biden ist für Peking ein gefährlicherer Gegner als Donald Trump. Die Volksrepublik hat es nun sogar auf die Agenda der Nato geschafft.
Der Vergleich mit dem amateurhaften Vorgänger macht sicher: Im Weißen Haus ist ein außenpolitischer Vollprofi am Werk. In seinen ersten fünf Monaten als US-Präsident hat Joe Biden auf internationaler Bühne so ziemlich alles richtig gemacht. Der 78-Jährige zieht klare Linien – konzentriert, konsequent und beeindruckend schnell. Seine Außenpolitik folgt nicht dem Zufallsprinzip, sondern einem Plan. Biden bringt Ordnung in das Chaos, das er geerbt hat. In der zentralen geopolitischen Frage der Gegenwart knüpft der US-Präsident jedoch dort an, wo Donald Trump aufgehört hat: Er schlägt einen konfrontativen Kurs gegenüber der aufstrebenden Weltmacht China ein.
Anders als dem irrlichternden Selbstdarsteller vor ihm ist Biden allerdings bewusst, wie wichtig dabei Verbündete sind. Mit seiner Europa-Tournee, die ihn zuerst nach Cornwall und nun nach Brüssel geführt hat, verfolgt der US-Präsident drei Ziele: Er will das westliche Bündnis festigen, den amerikanischen Führungsanspruch wieder geltend machen und die Alliierten auf eine gemeinsame ChinaStrategie einschwören. Das ist sowohl bei dem Treffen der G7, der sieben größten westlichen Industriestaaten (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Japan und Kanada), als auch bei dem Nato-Gipfel deutlich geworden. Erstmals in der Geschichte der transatlantischen Verteidigungsallianz liegt ein bedeutender Fokus auf der Volksrepublik.
In ihrer Abschlusserklärung appellierten die 30 Staats- und Regierungschefs an China, sich an internationale Vereinbarungen zu halten und das rasch wachsende Atomwaffenarsenal offenzulegen. Am Wochenende davor hatten die G7 chinesische Menschenrechtsverletzungen in Hongkong und der Uiguren-Provinz Xinjiang an den Pranger gestellt und sich „gegen einseitige Versuche“gewandt, den Status quo im Ostchinesischen und Südchinesischen Meer zu ändern. Der Westen hat sich damit schützend vor Taiwan – und auch all die Inseln und umstrittenen Meeresgebiete gestellt, die Peking in der Region beansprucht. Die chinesische Regierung reagierte gereizt auf die „Einmischung in innere Angelegenheiten“. Die
G7 hätten in ihrer Gipfelerklärung Fakten verdreht und China verunglimpft, hieß es. Taiwan sei ein „untrennbarer Teil Chinas“– und China ein „friedliebendes Land“, das Kooperation suche.
Ihren Willen zur Zusammenarbeit strich auch die Nato hervor. Ihr Generalsekretär, Jens Stoltenberg, und der britische Premier, Boris Johnson, betonten zudem, dass niemand einen abermaligen kalten Krieg anstrebe. Doch es ist schon ziemlich frostig geworden zwischen Peking und Washington, den neuen Machtpolen des 21. Jahrhunderts. Die Positionen sind bezogen. Es ist ein Ringen zwischen dem autoritären Modell der kommunistischen Volksrepublik und den westlichen Demokratien um Einflusszonen, um wirtschaftliche und technologische Vorherrschaft.
Europa ringt auch um Freiraum in diesem globalen Machtkampf. Insbesondere Deutschland will sich nicht komplett vereinnahmen lassen von den USA. Teile seiner Wirtschaft sind hochgradig angewiesen auf chinesische Absatzmärkte. Da ist es ratsam, mit China im Gespräch zu bleiben.
Umgekehrt beginnt Europa zu begreifen, dass es nicht klug ist, sich abhängig zu machen von China. Italiens Liebe zu China ist zuletzt erkaltet und Litauen ausgestiegen aus dem 17+1-Format, mit dem Peking versucht hat, entlang der neuen Seidenstraße Verbündete aufzufädeln. Langsam setzt sich der Gedanke durch: Europa kann gegenüber China nur etwas erreichen, wenn es geeint auftritt und sich nicht spalten lässt.
In größerem Maßstab gilt das auch für den gesamten Westen, inklusive USA. Doch Europa sollte dabei auf seine eigenen Interessen achten und nicht bloß nachhüpfen, was die Amerikaner vorhüpfen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Europäer ihre Interessen erkennen und definieren.
Notwendig wäre ein differenzierter Zugang, bei dem Europa Kooperationsfelder definiert und zugleich klare rote Linien gegenüber China zieht. Joe Biden macht es genau so. Professionell eben.