Gute Freunde, strenge Rechnung: Joe Biden und die Spitzen der Union
EU-US-Gipfel. Präsident Biden und die Spitzen der Union werden einige harte Nüsse ungeknackt lassen.
Brüssel. Der erste Besuch Brüssels durch Joe Biden in seinem Amt als US-Präsident war schon lang vor der Landung von Air Force One auf dem Flughafen Zaventem an einem untrüglichen Zeichen zu erkennen: Der öffentliche Raum um das Hotel mit dem stimmigen Namen „The Hotel“, in dem bereits Amtsvorgänger Donald Trump samt Tross abgestiegen ist, ist seit dem Wochenende weiträumig abgesperrt. Und auch das EU-Viertel, in dem die Karawane gepanzerter Limousinen am Dienstagmorgen Einzug halten wird, wimmelt vor schwer bewaffneten Polizisten, die den herkömmlichen Verkehr umleiten.
Bidens Wahl war für die Europäer eine große Erleichterung. Wer vor dem Urnengang Anfang November vorigen Jahres mit EU-Diplomaten über die Möglichkeit sprach, dass Trump noch einmal vier Jahre im Amt bleiben könnte, sah bisweilen den Schatten des Grauens über das Gesicht so manches erfahrenen Eurokraten huschen. In der Klimapolitik, dem globalen Handel oder dem Versuch, die Steuertricks der großen Konzerne einzuhegen, war mit Bidens Amtsvorgänger kein Fortschritt möglich.
Das soll sich nun ändern. Seit Wochen tüfteln die Unterhändler von Biden, Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rates, sowie Ursula von der Leyen, der Vorsitzenden der Europäischen Kommission, an der gemeinsamen Gipfelerklärung. Der „Presse“fiel vorige Woche ein Exemplar des Entwurfes dafür in die Hände. Durch eine Unachtsamkeit der Autoren waren die erwünschten Änderungen seitens der Europäer und der Amerikaner im Word
Text lesbar. So tritt offen zutage, wo die Bruchlinien zwischen Washington und Brüssel liegen – aller neu gefundenen Verbundenheit zum Trotz.
Weiter keine volle Visafreiheit
Den von der EU gewünschten Satz „Wir werden auch auf volle gegenseitige Visafreiheit zwischen uns hinarbeiten“strichen die Amerikaner komplett durch. Denn während US-Bürger kein Visum brauchen, um die EU zu besuchen, müssen die Bürger einiger EUStaaten (darunter die NATO-Mitglieder Rumänien und Bulgarien) einen solchen Sichtvermerk beantragen, wenn sie in die Vereinigten Staaten wollen. Der Grund dafür liegt darin, dass signifikant viele Bürger illegal in die USA einzuwandern versuchen.
Auch beim Kapitel „Unseren Planeten schützen und grünes Wachstum fördern“treten weltanschauliche Unterschiede hervor. Die Europäer wollten die butterweiche Formel „und einen gerechten Übergang“in der gemeinsamen Erklärung, sprich: ein Bekenntnis dazu, dass die Energiewende auch für die Ärmeren leistbar sein muss. Dafür ist im Unionshaushalt auch ein eigener, milliardenschwerer Posten vorgesehen. Doch die Amerikaner löschten diese Passage. Ein Klimasozialfonds wäre Munition für die Republikaner im Kongresswahlkampf in einem Jahr. Stichwort: „Sozialismus“.
Nordstream-2-Sanktionen drohen
Im Gegenzug strichen die Europäer „einschließlich Nuklearenergie“aus der Passage heraus, in der es um das Gelöbnis ging, saubere Energieformen zu erforschen. Spannend ist in diesem Zusammenhang, dass die Europäer unter der neuen „transatlantischen grünen Technologieallianz“nur beim Einsatz von solchen Energietechnologien mit den USA kooperieren wollen – nicht aber bei deren „Erforschung, Entwicklung und Demonstration“(das strichen sie heraus).
„Handel, Investitionen, technologische Zusammenarbeit“wiederum sind das Kernstück der neuen Achse Brüssel-Washington. Man will da einen hochrangigen EU-USHandels- und Technologierat gründen (unter George W. Bush gab es vor fast zwei Jahrzehnten schon so etwas, es ist klanglos entschlafen). Nur: Auf die Strafzölle gegen mehrere EU-Staaten, die Digitalsteuern eingeführt haben, will Team Biden nicht verzichten. Der Satz „Wir werden davon Abstand nehmen, einseitige Zölle einzuführen, die in Beziehung zur Besteuerung von digitalen Dienstleistungen stehen“wurde auf Washingtons Geheiß gestrichen. Auch auf ein klares Zieldatum zur Beilegung des jahrelangen Streits um die Subventionen für die Luftfahrtkonzerne Boeing und Airbus wollte Team Biden sich nicht festlegen.
Im Kapitel „Eine demokratischere, friedlichere und sichere Welt schaffen“hätten die Europäer (allen voran die Deutschen) gerne eine verklausulierte Zusicherung der Amerikaner, keine Sanktionen gegen Unternehmen zu verhängen, die an der russischen Gaspipeline „Nordstream 2“beteiligt sind. Doch den Satzteil „namentlich die einseitige Anwendung extraterritorialer Sanktionen“beim Gelöbnis, an Themen weiterzuarbeiten, bei denen man unterschiedlicher Meinung ist, verbaten sich die Amerikaner.
Letztes Indiz für Dissonanz: Team Biden will „so bald wie möglich“eine Diskussion darüber, wie die USA mit der EU-Verteidigungsagentur ins Gespräch kommen kann – damit auch US-Rüstungskonzerne Mittel aus diesem Geldtopf beantragen können. Damit hat aber vor allem Frankreich keine große Freude.
AUF EINEN BLICK
EU-USA-Gipfel. Am Dienstag findet das Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden mit EU-Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel statt. Im Mittelpunkt steht die Annäherung der beiden Wirtschaftsblöcke. Mit einer gemeinsamen Erklärung sollen Konflikte bereinigt werden. Doch bis zuletzt wurde an diesem Text noch gefeilt.