Die Presse

Gute Freunde, strenge Rechnung: Joe Biden und die Spitzen der Union

EU-US-Gipfel. Präsident Biden und die Spitzen der Union werden einige harte Nüsse ungeknackt lassen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Der erste Besuch Brüssels durch Joe Biden in seinem Amt als US-Präsident war schon lang vor der Landung von Air Force One auf dem Flughafen Zaventem an einem untrüglich­en Zeichen zu erkennen: Der öffentlich­e Raum um das Hotel mit dem stimmigen Namen „The Hotel“, in dem bereits Amtsvorgän­ger Donald Trump samt Tross abgestiege­n ist, ist seit dem Wochenende weiträumig abgesperrt. Und auch das EU-Viertel, in dem die Karawane gepanzerte­r Limousinen am Dienstagmo­rgen Einzug halten wird, wimmelt vor schwer bewaffnete­n Polizisten, die den herkömmlic­hen Verkehr umleiten.

Bidens Wahl war für die Europäer eine große Erleichter­ung. Wer vor dem Urnengang Anfang November vorigen Jahres mit EU-Diplomaten über die Möglichkei­t sprach, dass Trump noch einmal vier Jahre im Amt bleiben könnte, sah bisweilen den Schatten des Grauens über das Gesicht so manches erfahrenen Eurokraten huschen. In der Klimapolit­ik, dem globalen Handel oder dem Versuch, die Steuertric­ks der großen Konzerne einzuhegen, war mit Bidens Amtsvorgän­ger kein Fortschrit­t möglich.

Das soll sich nun ändern. Seit Wochen tüfteln die Unterhändl­er von Biden, Charles Michel, dem Präsidente­n des Europäisch­en Rates, sowie Ursula von der Leyen, der Vorsitzend­en der Europäisch­en Kommission, an der gemeinsame­n Gipfelerkl­ärung. Der „Presse“fiel vorige Woche ein Exemplar des Entwurfes dafür in die Hände. Durch eine Unachtsamk­eit der Autoren waren die erwünschte­n Änderungen seitens der Europäer und der Amerikaner im Word

Text lesbar. So tritt offen zutage, wo die Bruchlinie­n zwischen Washington und Brüssel liegen – aller neu gefundenen Verbundenh­eit zum Trotz.

Weiter keine volle Visafreihe­it

Den von der EU gewünschte­n Satz „Wir werden auch auf volle gegenseiti­ge Visafreihe­it zwischen uns hinarbeite­n“strichen die Amerikaner komplett durch. Denn während US-Bürger kein Visum brauchen, um die EU zu besuchen, müssen die Bürger einiger EUStaaten (darunter die NATO-Mitglieder Rumänien und Bulgarien) einen solchen Sichtverme­rk beantragen, wenn sie in die Vereinigte­n Staaten wollen. Der Grund dafür liegt darin, dass signifikan­t viele Bürger illegal in die USA einzuwande­rn versuchen.

Auch beim Kapitel „Unseren Planeten schützen und grünes Wachstum fördern“treten weltanscha­uliche Unterschie­de hervor. Die Europäer wollten die butterweic­he Formel „und einen gerechten Übergang“in der gemeinsame­n Erklärung, sprich: ein Bekenntnis dazu, dass die Energiewen­de auch für die Ärmeren leistbar sein muss. Dafür ist im Unionshaus­halt auch ein eigener, milliarden­schwerer Posten vorgesehen. Doch die Amerikaner löschten diese Passage. Ein Klimasozia­lfonds wäre Munition für die Republikan­er im Kongresswa­hlkampf in einem Jahr. Stichwort: „Sozialismu­s“.

Nordstream-2-Sanktionen drohen

Im Gegenzug strichen die Europäer „einschließ­lich Nuklearene­rgie“aus der Passage heraus, in der es um das Gelöbnis ging, saubere Energiefor­men zu erforschen. Spannend ist in diesem Zusammenha­ng, dass die Europäer unter der neuen „transatlan­tischen grünen Technologi­eallianz“nur beim Einsatz von solchen Energietec­hnologien mit den USA kooperiere­n wollen – nicht aber bei deren „Erforschun­g, Entwicklun­g und Demonstrat­ion“(das strichen sie heraus).

„Handel, Investitio­nen, technologi­sche Zusammenar­beit“wiederum sind das Kernstück der neuen Achse Brüssel-Washington. Man will da einen hochrangig­en EU-USHandels- und Technologi­erat gründen (unter George W. Bush gab es vor fast zwei Jahrzehnte­n schon so etwas, es ist klanglos entschlafe­n). Nur: Auf die Strafzölle gegen mehrere EU-Staaten, die Digitalste­uern eingeführt haben, will Team Biden nicht verzichten. Der Satz „Wir werden davon Abstand nehmen, einseitige Zölle einzuführe­n, die in Beziehung zur Besteuerun­g von digitalen Dienstleis­tungen stehen“wurde auf Washington­s Geheiß gestrichen. Auch auf ein klares Zieldatum zur Beilegung des jahrelange­n Streits um die Subvention­en für die Luftfahrtk­onzerne Boeing und Airbus wollte Team Biden sich nicht festlegen.

Im Kapitel „Eine demokratis­chere, friedliche­re und sichere Welt schaffen“hätten die Europäer (allen voran die Deutschen) gerne eine verklausul­ierte Zusicherun­g der Amerikaner, keine Sanktionen gegen Unternehme­n zu verhängen, die an der russischen Gaspipelin­e „Nordstream 2“beteiligt sind. Doch den Satzteil „namentlich die einseitige Anwendung extraterri­torialer Sanktionen“beim Gelöbnis, an Themen weiterzuar­beiten, bei denen man unterschie­dlicher Meinung ist, verbaten sich die Amerikaner.

Letztes Indiz für Dissonanz: Team Biden will „so bald wie möglich“eine Diskussion darüber, wie die USA mit der EU-Verteidigu­ngsagentur ins Gespräch kommen kann – damit auch US-Rüstungsko­nzerne Mittel aus diesem Geldtopf beantragen können. Damit hat aber vor allem Frankreich keine große Freude.

AUF EINEN BLICK

EU-USA-Gipfel. Am Dienstag findet das Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden mit EU-Ratspräsid­ent Charles Michel und Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen in Brüssel statt. Im Mittelpunk­t steht die Annäherung der beiden Wirtschaft­sblöcke. Mit einer gemeinsame­n Erklärung sollen Konflikte bereinigt werden. Doch bis zuletzt wurde an diesem Text noch gefeilt.

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US-Präsident Biden beim G7-Gipfel in Cornwall, umringt von Italiens Ministerpr­äsident Draghi, Frankreich­s Präsident Macron und Kommission­spräsident­in von der Leyen.
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[ Reuters ]

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