Wie gefährlich ist die Delta-Variante?
Pandemie. In einer Woche sollten in Großbritannien alle Corona-Einschränkungen fallen. Doch die hochgradig ansteckende Delta-Variante lässt die Regierung in London die Notbremse ziehen.
Wien/London. Der „Tag der Freiheit“ist vorerst einmal abgesagt: Die Nachtclubs bleiben weiterhin geschlossen, in den Pubs muss man weiterhin bei Tisch Platz nehmen und Theater dürfen nur die Hälfte ihrer Sitzplätze besetzen. Zu schnell steigen laut Experten die Zahlen an Neuinfektionen mit der Delta-Variante des Coronavirus, sodass die für 21. Juni für England geplante Aufhebung aller Einschränkungen verschoben wird.
Diese zuerst in Indien aufgetretene Virusvariante (die von der WHO den Namen Delta bekam) sei ansteckender und könne schon bald die Krankenhäuser auf der Insel wieder stark belasten, so die Experten. Als neues Datum für den „Tag der Freiheit“, an dem sämtliche Corona-Schranken fallen, wird derzeit der 19. Juli gehandelt.
Gesundheitsminister Edward Argar sprach von einem „besorgniserregenden Anstieg“an Neuinfektionen und davon, dass die Zahl der Hospitalisierungen „im Steigen begriffen“sei. „Wir befinden uns in der frühen Phase einer dritten
Welle“, drückt es ein früherer Regierunsberater, der Immunologe Mark Walport, in einem BBC-Interview weniger vorsichtig aus. Es müssten schon jetzt wieder mehr Covid-19-Patienten in den Krankenhäusern behandelt werden, jedoch weit weniger als in den vorigen Wellen, so Walport.
Um 40 Prozent ansteckender
Zurzeit werden in Großbritannien täglich mehr als 7000 Neuinfektionen gemeldet – so viele wie zuletzt im Februar. Innerhalb von einer Woche könnte sich dieser Wert laut Experten verdoppeln. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist mit 73,6 nach jener Spaniens die höchste in Europa. Bei mehr als 90 Prozent der neuen Fälle in Großbritannien konnte die Delta-Variante nachgewiesen werden. Die Zahl der Hospitalisierungen ist (noch) gering.
Die Delta-Variante (B.1.617.2) gilt als mindestens 40, vielleicht auch 60 Prozent ansteckender als die Alpha-Variante – also die britische Mutante, die im Winter in Österreich für hohe Neuinfektionszahlen und für Landeverbote von Flugzeugen aus Großbritannien in allen europäischen Ländern gesorgt hat. Der Zeitpunkt, zu dem die Delta-Variante die Briten plagt, ist gleichzeitig ein Vorteil für die Eindämmung: Mehr als 55 Prozent der Erwachsenen verfügen nämlich bereits über den vollen Impfschutz. In den vier Wochen, in denen Einschränkungen aufrechtbleiben, hofft die Regierung, weitere zehn Millionen zum zweiten Mal impfen zu können.
Dem Großteil der Briten wurde das Mittel von AstraZeneca verabreicht, das in Oxford entwickelt wurde und bei dem die Impftermine zeitlich weiter auseinanderliegen als etwa bei Biontech-Pfizer. Noch im Frühjahr wurde der Termin für die Zweitimpfung möglichst weit nach hinten geschoben, um die Zahl der Erstimpfungen zu steigern. Nun wollen die britischen Gesundheitsbehörden nach spätestens acht Wochen (anstatt zwölf ) die zweite Dosis spritzen, um den Schutz gegen B.1.617.2 zu erhöhen. Eine Erstimpfung schützt nur zu 33 Prozent vor der Delta-Variante, nach der zweiten Impfung geht man von einem Schutz von mehr als 80 Prozent aus.
Da Großbritannien zu Pandemiebeginn im Vorjahr sehr stark betroffen war, hat London die Genehmigungen für Impfstoffe rasch abgewickelt und ist so zum Impfweltmeister geworden. Rund 30 Millionen der knapp 67 Millionen Briten sind geimpft. Vorgegangen sind die britischen Behörden so wie die österreichischen nach Altersgruppen. Die jetzt grassierende Variante wird daher vor allem jüngere Menschen betreffen, die bisher noch nicht geimpft sind, meinen die Experten.
„Fasst in Europa Fuß“
In vielen Ländern Europas wurde diese Variante mittlerweile nachgewiesen, auch in Österreich. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt: „Die Delta-Variante ist gerade dabei, in Europa Fuß zu fassen“, so WHO-Europa-Direktor Hans Kluge. Die Impfrate reiche nicht aus, um Europa vor einem Wiederaufflammen zu schützen, so Kluge. Der Vorteil: Den meisten Ländern – auch Österreich – bleibe Zeit, die Durchimpfungsrate zu erhöhen, um der Delta-Variante ein Schnippchen zu schlagen.