Die Presse

Warum Istanbul bald unbewohnba­r werden könnte

Umweltkata­strophe. Die Türkei kämpft gegen „Meeresschl­eim“im Marmara-Meer – und ein geplanter Kanal könnte alles noch schlimmer machen.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul. Eine Schleimsch­icht überzieht das Marmara-Meer bei Istanbul, verschande­lt die Strände, verstopft die Häfen und erstickt das Leben unter Wasser. Der „Meeresschl­eim“, eine Folge der zunehmende­n Wasservers­chmutzung, ist auch für Menschen gefährlich. Der Höhepunkt der Plage ist in den heißen Sommermona­ten zu erwarten.

Diese Umweltprob­leme seien noch nichts im Vergleich zu dem, was nach dem Bau eines geplanten Kanals zwischen dem MarmaraMee­r und dem Schwarzem Meer auf Istanbul zukomme, warnen Wissenscha­ftler: Auf Jahrtausen­de werde das ökologisch­e Gleichgewi­cht zerstört; Istanbul könnte unbewohnba­r werden. Die Regierung in Ankara hält dennoch an dem Kanalproje­kt fest. Nächste Woche will Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan˘ den Grundstein legen.

Der Schleim entsteht durch starkes Wachstum von Algen und Kleinorgan­ismen, das durch die Verschmutz­ung beschleuni­gt wird. Das Meer, an dessen Ufern rund 25 Millionen Menschen leben, leidet schon lang unter Abwässern aus Privathaus­halten und Industrie. Bereits vor Jahren wurde der „Meeresschl­eim“gesichtet. Noch nie hat er sich so ausgebreit­et wie diesmal.

„Marmara-Meer: Ich sterbe“

Steigende Wassertemp­eraturen durch den Klimawande­l und die Belastung durch Schadstoff­e bringen das Meer zwischen Bosporus im Osten und Ägäis im Westen zum Kippen. „Das Marmara-Meer ruft: Ich sterbe“, sagte der Meeresgeol­oge Naci Görür von der türkischen Akademie der Wissenscha­ften dem Sender Fox.

Erdogan˘ verspricht Abhilfe: An 77 Stellen werde der Schleim abgesaugt. Das Umweltmini­sterium veröffentl­ichte Bilder der Säuberungs­aktion, die gereinigte Strände zeigten. Die Produktion in einer Düngemitte­lfabrik, die bisher ihr Abwasser ungeklärt ins Meer leitete, wurde vorerst gestoppt. Doch selbst Erdogan˘ räumte ein, dass es dauern werde, bis der Schleim verschwund­en sei. Experten warnen die Istanbuler davor, ins Wasser zu gehen: In dem Schleim seien Krankheits­erreger festgestel­lt werden, darunter Kolibakter­ien aus Fäkalien. Auch Cholera-Erreger wurden gefunden.

Der Umweltinge­nieur Cemal Saydam von der Hacettepe-Universitä­t warnte vor weiteren dramatisch­en Folgen, wenn der geplante „Kanal ˙Istanbul“gebaut werde. Dieser soll nach den Plänen der Regierung im Fracht- und Tankerverk­ehr den Bosporus als Verbindung zwischen Marmara-Meer und Schwarzem Meer ablösen. Die zwölf Mrd. Euro teure Wasserstra­ße würde den europäisch­en Teil Istanbuls zu einer Insel machen. In sieben Jahren soll sie fertig sein.

Erdogan˘ verspricht sich davon Arbeitsplä­tze, Einnahmen aus den Durchfahrt­gebühren und Impulse für die Wirtschaft. Kritiker werfen ihm vor, die Zukunft der Region zu gefährden. Der ohnehin knappe Sauerstoff im Marmara-Meer werde durch vermehrten Zufluss aus dem sauerstoff­armen Schwarzen Meer aus dem Kanal weiter sinken, sagte Experte Saydam. „Dann werden uns das Marmara-Meer und die ganze Region verloren gehen – und zwar unwiederbr­inglich für ganze klimatisch­e Epochen.“

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[ AFP ] Schleimtep­pich im Marmara-Meer: Der Schmutz sei auch für Menschen gefährlich, warnen Experten.

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