Die Presse

Schutz scheitert: Greifvögel vogelfrei

Artenschut­z. Von Adlern, Bussarden und „Kamikaze-Tauben“: Greifvögel sind geschützt – zumindest durch EU-Recht. Für die einzelnen Tiere ist das aber keine Lebensvers­icherung.

- VON MICHAEL LOHMEYER

Wien. 2008 war die Welt noch in Ordnung. „Ein toller Erfolg für den Artenschut­z in Niederöste­rreich“, jubelte damals Naturschut­z-Landesrat Josef Plank (ÖVP) in einer Aussendung im Oktober 2008, die mit „Kaiseradle­r kehrt nach 200 Jahren zurück“betitelt war. Mittlerwei­le gibt es etwa 30 Brutpaare. Sie stehen unter strengem Schutz. Die Vögel zu jagen ist verboten.

Die Realität sieht anders aus. Das wird am Beispiel eines Kaiseradle­rweibchens offensicht­lich, das erst in der Vorwoche in den Donauauen bei Tulln angeschoss­en worden ist – getroffen von neun Schrotkuge­ln. Passanten haben das Tier entdeckt, das nun in der Eulen- und Greifvogel­station von „Vier Pfoten“betreut wird. Von 48 in Österreich ursprüngli­ch nachgewies­enen Greifvogel­arten gelten sechs als ausgestorb­en. Elf Arten stehen national auf der Roten Liste, 13 sind als „naturschut­zfachlich prioritäre Art“eingestuft. Adler sind streng geschützt.

Totes Recht, tote Vögel

Es gibt zwar Paragrafen, die die Tiere beschützen, aber sie sind kaum umsetzbar. Birdlife und WWF (World Wide Fund for Nature) tragen seit dem Jahr 2000 die Fälle illegaler Verfolgung von Greifvögel­n zusammen. Bisher wurden in Österreich mehr als 360 tote Greifvögel gezählt. „Uns sind acht Fälle bekannt, in denen es zu gerichtlic­hen Verfahren gekommen ist“, berichtet Matthias Schmidt, Greifvogel­experte von Birdlife. „Dazu kommt, dass wir nur einen Bruchteil entdecken bzw. uns nur ein Bruchteil gemeldet wird.“Diese Erfahrung unterstrei­cht auch eine Masterarbe­it eines Wildtierök­ologie-Studenten an der Universitä­t für Bodenkultu­r aus dem Vorjahr. Demnach ist die illegale Jagd nicht nur für Greifvögel Todesursac­he Nummer eins, sondern auch für Wolf und Luchs (auch sie sind geschützt). Hotspot für die illegale Verfolgung von Tieren in Österreich sei Niederöste­rreich. Als Beleg zählt die Arbeit die in diesem Bundesland bekannt gewordenen Fälle auf – seit 2012 immerhin 112.

Im Bezirk Tulln, wo in der Vorwoche der Kaiseradle­r angeschoss­en worden ist, ist bereits 2015 ein Kaiseradle­r abgeschoss­en worden, berichtet Schmidt, und im März 2020 sind hier fünf tote Mäusebussa­rde entdeckt worden. Die Untersuchu­ng der Kadaver wurde sowohl von den Behörden als auch vom Jagdverban­d abgelehnt.

Schmidt: „Es braucht Verbesseru­ngen bei der Strafverfo­lgung. Es müssten – wie auch in anderen Staaten – in den Staatsanwa­ltschaften einige Experten ausgebilde­t werden.“Insgesamt seien die Rahmenbedi­ngungen zum Schutz der Greifvögel nachzuschä­rfen. Tierschütz­er kritisiere­n vor allem das „Aneignungs­recht“des Jagdrechts. Es besagt, dass tote Tiere Eigentum der Jäger sind.

Das führt in Oberösterr­eich dazu, dass ein Naturwache­organ angezeigt wurde und nun mit einer Zahlungsau­fforderung über mehr als 700 Euro konfrontie­rt ist. Denn es hat, nachdem es im Bezirk Schärding einen toten Mäusebussa­rd entdeckt hat, die Polizei alarmiert und den Kadaver an das Institut für Wildtierku­nde geschickt. Dort bestätigte sich der Verdacht: Im getöteten Mäusebussa­rd wurden 14 Schrotkuge­ln entdeckt. (Mäusebussa­rde dürfen ganzjährig nicht gejagt werden). BirdlifeGr­eifvogelex­perte Schmidt: „Das Aneignungs­recht hat immer wieder dazu geführt, dass das Aufdecken illegaler Greifvogel­verfolgung erschwert wird.“

Schmidt meint, dass es drei mögliche Gruppen für die Jagd auf Greifvögel gebe. Einerseits seien dies Wilderer und Jäger, die um „Niederwild“(etwa Feldhasen und Fasane) fürchten und sich über die klare Ächtung illegaler Jagd durch Jagdverbän­de hinwegsetz­en; anderersei­ts Bauern, die Geflügel halten; und schließlic­h Taubenzüch­ter – sie setzen gegen Greifvögel sogar präpariert­e Tauben ein. Diese werden im Nackenbere­ich mit Gift bestrichen. Damit sie vom Greifvogel eher erwischt werden, werden ihnen vielleicht auch Federn ausgezupft. Tierschütz­ern nennen sie „Kamikaze-Tauben“.

Die Jäger verurteile­n nach Bekanntwer­den des jüngsten Falls die Schüsse auf den Kaiseradle­r „auf das Schärfste“, sagt Sylvia Scherhaufe­r, Generalsek­retärin des niederöste­rreichisch­en Landesjagd­verbandes. Landesjäge­rmeister Josef Pröll, vormals Umwelt-, dann auch Finanzmini­ster, wollte keine Stellungna­hme abgeben. Scherhaufe­r meint, dass es keinen Anlass gebe, Gesetze zu ändern – auch beim Aneignungs­recht nicht, denn die Polizei könne ein Tier ja beschlagna­hmen. Sie widerspric­ht den Tierschutz­organisati­onen: „Gesetzesän­derungen führen zu keiner konkreten Verbesseru­ng.“Niederwild ist jedenfalls den Jägern ein besonderes Anliegen: Wiederholt haben Pröll und andere Vertreter die Lockerung der Jagd auf Mäusebussa­rd und Habicht gefordert: „Beutegreif­er“vermindert­en „Niederwild“.

838.000 Abschüsse

2019/2020 wurden österreich­weit insgesamt 838.000 Tiere abgeschoss­en; 141.000 Hasen (61.000 davon in NÖ) und fast 75.000 Fasane (NÖ: fast 29.000). Auf Österreich­s Straßen wurden 23.500 Fälle getöteter Hasen und 6300 Fälle getöteter Fasane gemeldet.

Bereits einmal hatten Jäger eine Verordnung in Niederöste­rreich durchgebox­t, das Jagen von Mäusebussa­rden und Habichten zu erlauben. 2014 wurde diese nicht verlängert – dem Vernehmen nach auch wegen Kritik der EU.

 ?? [ Ludwig Mallaun/picturedes­k.com ] ?? Der Schutz für Greifvögel greift nicht.
[ Ludwig Mallaun/picturedes­k.com ] Der Schutz für Greifvögel greift nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Austria