Schutz scheitert: Greifvögel vogelfrei
Artenschutz. Von Adlern, Bussarden und „Kamikaze-Tauben“: Greifvögel sind geschützt – zumindest durch EU-Recht. Für die einzelnen Tiere ist das aber keine Lebensversicherung.
Wien. 2008 war die Welt noch in Ordnung. „Ein toller Erfolg für den Artenschutz in Niederösterreich“, jubelte damals Naturschutz-Landesrat Josef Plank (ÖVP) in einer Aussendung im Oktober 2008, die mit „Kaiseradler kehrt nach 200 Jahren zurück“betitelt war. Mittlerweile gibt es etwa 30 Brutpaare. Sie stehen unter strengem Schutz. Die Vögel zu jagen ist verboten.
Die Realität sieht anders aus. Das wird am Beispiel eines Kaiseradlerweibchens offensichtlich, das erst in der Vorwoche in den Donauauen bei Tulln angeschossen worden ist – getroffen von neun Schrotkugeln. Passanten haben das Tier entdeckt, das nun in der Eulen- und Greifvogelstation von „Vier Pfoten“betreut wird. Von 48 in Österreich ursprünglich nachgewiesenen Greifvogelarten gelten sechs als ausgestorben. Elf Arten stehen national auf der Roten Liste, 13 sind als „naturschutzfachlich prioritäre Art“eingestuft. Adler sind streng geschützt.
Totes Recht, tote Vögel
Es gibt zwar Paragrafen, die die Tiere beschützen, aber sie sind kaum umsetzbar. Birdlife und WWF (World Wide Fund for Nature) tragen seit dem Jahr 2000 die Fälle illegaler Verfolgung von Greifvögeln zusammen. Bisher wurden in Österreich mehr als 360 tote Greifvögel gezählt. „Uns sind acht Fälle bekannt, in denen es zu gerichtlichen Verfahren gekommen ist“, berichtet Matthias Schmidt, Greifvogelexperte von Birdlife. „Dazu kommt, dass wir nur einen Bruchteil entdecken bzw. uns nur ein Bruchteil gemeldet wird.“Diese Erfahrung unterstreicht auch eine Masterarbeit eines Wildtierökologie-Studenten an der Universität für Bodenkultur aus dem Vorjahr. Demnach ist die illegale Jagd nicht nur für Greifvögel Todesursache Nummer eins, sondern auch für Wolf und Luchs (auch sie sind geschützt). Hotspot für die illegale Verfolgung von Tieren in Österreich sei Niederösterreich. Als Beleg zählt die Arbeit die in diesem Bundesland bekannt gewordenen Fälle auf – seit 2012 immerhin 112.
Im Bezirk Tulln, wo in der Vorwoche der Kaiseradler angeschossen worden ist, ist bereits 2015 ein Kaiseradler abgeschossen worden, berichtet Schmidt, und im März 2020 sind hier fünf tote Mäusebussarde entdeckt worden. Die Untersuchung der Kadaver wurde sowohl von den Behörden als auch vom Jagdverband abgelehnt.
Schmidt: „Es braucht Verbesserungen bei der Strafverfolgung. Es müssten – wie auch in anderen Staaten – in den Staatsanwaltschaften einige Experten ausgebildet werden.“Insgesamt seien die Rahmenbedingungen zum Schutz der Greifvögel nachzuschärfen. Tierschützer kritisieren vor allem das „Aneignungsrecht“des Jagdrechts. Es besagt, dass tote Tiere Eigentum der Jäger sind.
Das führt in Oberösterreich dazu, dass ein Naturwacheorgan angezeigt wurde und nun mit einer Zahlungsaufforderung über mehr als 700 Euro konfrontiert ist. Denn es hat, nachdem es im Bezirk Schärding einen toten Mäusebussard entdeckt hat, die Polizei alarmiert und den Kadaver an das Institut für Wildtierkunde geschickt. Dort bestätigte sich der Verdacht: Im getöteten Mäusebussard wurden 14 Schrotkugeln entdeckt. (Mäusebussarde dürfen ganzjährig nicht gejagt werden). BirdlifeGreifvogelexperte Schmidt: „Das Aneignungsrecht hat immer wieder dazu geführt, dass das Aufdecken illegaler Greifvogelverfolgung erschwert wird.“
Schmidt meint, dass es drei mögliche Gruppen für die Jagd auf Greifvögel gebe. Einerseits seien dies Wilderer und Jäger, die um „Niederwild“(etwa Feldhasen und Fasane) fürchten und sich über die klare Ächtung illegaler Jagd durch Jagdverbände hinwegsetzen; andererseits Bauern, die Geflügel halten; und schließlich Taubenzüchter – sie setzen gegen Greifvögel sogar präparierte Tauben ein. Diese werden im Nackenbereich mit Gift bestrichen. Damit sie vom Greifvogel eher erwischt werden, werden ihnen vielleicht auch Federn ausgezupft. Tierschützern nennen sie „Kamikaze-Tauben“.
Die Jäger verurteilen nach Bekanntwerden des jüngsten Falls die Schüsse auf den Kaiseradler „auf das Schärfste“, sagt Sylvia Scherhaufer, Generalsekretärin des niederösterreichischen Landesjagdverbandes. Landesjägermeister Josef Pröll, vormals Umwelt-, dann auch Finanzminister, wollte keine Stellungnahme abgeben. Scherhaufer meint, dass es keinen Anlass gebe, Gesetze zu ändern – auch beim Aneignungsrecht nicht, denn die Polizei könne ein Tier ja beschlagnahmen. Sie widerspricht den Tierschutzorganisationen: „Gesetzesänderungen führen zu keiner konkreten Verbesserung.“Niederwild ist jedenfalls den Jägern ein besonderes Anliegen: Wiederholt haben Pröll und andere Vertreter die Lockerung der Jagd auf Mäusebussard und Habicht gefordert: „Beutegreifer“verminderten „Niederwild“.
838.000 Abschüsse
2019/2020 wurden österreichweit insgesamt 838.000 Tiere abgeschossen; 141.000 Hasen (61.000 davon in NÖ) und fast 75.000 Fasane (NÖ: fast 29.000). Auf Österreichs Straßen wurden 23.500 Fälle getöteter Hasen und 6300 Fälle getöteter Fasane gemeldet.
Bereits einmal hatten Jäger eine Verordnung in Niederösterreich durchgeboxt, das Jagen von Mäusebussarden und Habichten zu erlauben. 2014 wurde diese nicht verlängert – dem Vernehmen nach auch wegen Kritik der EU.