Über die Wertigkeit eines Sieges und Optionen im Angriff
Österreich erzielte nach 333 Minuten wieder ein Tor, gewann seit 31 Jahren wieder ein Endrundenspiel – und jetzt ist Realismus gefragter denn je. Vielleicht bleibt Arnautovi´cs Rolle bei dieser EM die des Edeljokers.
Österreichs Fußballnationalmannschaft hat das Toreschießen doch nicht verlernt. Das ist mit die wichtigste Erkenntnis nach dem 3:1-Auftaktsieg über Nordmazedonien. Nach drei Spielen und 333 Minuten ohne Treffer hat das Team nun endlich wieder sich bietende Chancen verwertet, durch Konrad Laimer kurz vor Schluss einen „Hochkaräter“vergeben. Die Effizienz vor dem gegnerischen Tor war letztlich aber gut. Das muss sie auch sein, um bei Turnieren bestehen zu können.
Wer Österreichs Spielern im Nationalstadion von Bukarest beim Aufwärmen und bei den Abschlussübungen zugesehen hat, der musste für die folgenden 90 Minuten Schlimmstes befürchten. Denn wer sich auch versuchte: Kaum ein Schuss oder Kopfball ging in geschweige denn auf das Tor. Nach Stefan Lainers Führungstreffer – dank anspruchsvoller Vollendung – war all das vergessen.
Für das Selbstverständnis und das Vertrauen in die eigenen Qualitäten waren die drei Tore gegen Nordmazedonien von unschätzbarem Wert. Sie sollten ein Stück weit befreiend wirken, Auftrieb geben, Mut machen. Zur schmerzhaften Erinnerung: In den sechs bisherigen EM-Spielen hatte Österreich gerade einmal zwei Tore erzielt. Ivica Vastic´ traf 2008 gegen Polen aus einem Elfmeter. Alessandro Schöpf sorgte 2016 im dritten und letzten Gruppenspiel gegen Island zumindest dafür, dass die mit vielen Vorschusslorbeeren bedachte ÖFBElf nicht torlos die Heimreise aus Frankreich antreten musste.
Überhaupt war der Erfolg gegen Nordmazedonien der erste Österreichs bei einem Großereignis seit 31 Jahren und dem 19. Juni 1990. Damals hatte die Mannschaft von Teamchef Josef Hickersberger im Stadio Artemio Franchi von Florenz die USA mit 2:1 besiegt. Vom aktuellen ÖFB-Kader waren zu diesem Zeitpunkt nur sechs Spieler überhaupt schon geboren.
Zurück in der Gegenwart ist Österreich ob des Erfolges über einen EM-Debütanten längst nicht alle Sorgen los. Um die Sachlage ganz nüchtern einzuordnen: Nordmazedonien ist auf dem Papier, also laut Fifa-Weltrangliste – Platz 62, Österreich ist die Nummer 23 –, die schwächste Mannschaft dieses Turniers. Nur der Marktwert des finnischen Kaders ist noch geringer als jener der Nordmazedonier. Die Aufgaben, die auf Franco Fodas Mannschaft im weiteren Turnierverlauf zukommen, werden somit zweifelsohne vielfach größer.
Hoffnung dürfte dem Teamchef die Tatsache machen, dass er im Angriff doch über mehrere Optionen verfügt. Nachdem das Sturmduo Kalajdziˇc-´Baumgartner in der ersten
Stunde über weite Strecken in der Luft gehangen hing und zu wenig Zugriff auf das Spiel fand, sah man nach der Einwechslung von Gregoritsch und Arnautovic´ im Angriff weitaus mehr Bewegung. Beide Joker rechtfertigten ihre Einwechslung auch mit Toren.
Gregoritsch hatte für seinen Klub Augsburg zuletzt vor neun Monaten getroffen. Er galt als EM-Wackelkandidat, Foda gab ihm schließlich den Vorzug gegenüber einem anderen Reservisten, Frankreich-Legionär Adrian Grbic´ – eine sehr gute Entscheidung, wie sich nun herausstellen sollte. Und Arnautovic?´ Er wird immer ein belegendes Element in Österreichs Spiel bleiben, nur sein Fitnesszustand bereitet Sorgen. Zuletzt plagten ihn Oberschenkelprobleme, in China bestritt er 2021 nur vier Spiele. Vielleicht bleibt seine Rolle die des „Edeljokers“. Solange er auch darin funktioniert, ist dem Team geholfen.
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