Die Presse

Nächster Anlauf für mehr Urlaub

Arbeitszei­t. Vier Wochen bezahlten Urlaub schreibt die EU mindestens im Jahr vor. Hierzuland­e sind es fünf. Die Gewerkscha­ft will mehr.

- VON JEANNINE HIERLÄNDER

Wien. Manche Fragen kann man schwer mit Nein beantworte­n: „Sind Sie dafür, dass alle Arbeitnehm­er eine sechste Urlaubswoc­he bekommen?“, fragte das Institut für empirische Sozialfors­chung sinngemäß im Mai 800 unselbstst­ändig Beschäftig­te in Österreich. 86 Prozent sprachen sich dafür aus. Immerhin elf Prozent halten die Ausweitung des Urlaubsans­pruchs für keine gute Idee. Auftraggeb­erin war die Gewerkscha­ft der Privatange­stellten (GPA). Sie sammelt Munition, um einer alten Forderung neuen Schwung zu verleihen: der sechsten Urlaubswoc­he für alle.

Derzeit steht eine sechste Urlaubswoc­he per Gesetz grosso modo allen zu, die zumindest 25 Jahre beim selben Dienstgebe­r beschäftig­t sind. Bis zu fünf Jahre können beim Wechsel des Arbeitgebe­rs aus früheren Dienstverh­ältnissen angerechne­t werden. Die Anrechnung werde aber laut Gewerkscha­ft sehr restriktiv gehandhabt. Mit dem Resultat, dass nur ein überschaub­arer Teil der Beschäftig­ten in den Genuss des zusätzlich­en Urlaubs kommt.

Laut der Umfrage hat ein Fünftel der Beschäftig­ten sechs oder mehr Urlaubswoc­hen. Bei den über 55-Jährigen sind es 45 Prozent. Die Gewerkscha­ft fordert eine Ausweitung des Urlaubsans­pruchs auf sechs Wochen für alle unselbstst­ändig Beschäftig­ten in Österreich. „Das wäre eine sinnvolle Art der Arbeitszei­tverkürzun­g“, sagte GPA-Chefin Barbara Teiber am Montag. Und leitete daraus auch gleich eine Forderung für die Herbstlohn­runde ab: „Wir werden auch bei den Kollektivv­ertragsver­handlungen mehr Urlaub zum Thema machen.“

Bei den Wirtschaft­svertreter­n stößt sie damit auf Ablehnung. Eine zusätzlich­e bezahlte Urlaubswoc­he für alle bedeutet nichts anders als eine Arbeitszei­tverkürzun­g bei vollem Lohnausgle­ich. Das würde den Faktor Arbeit massiv verteuern und Unternehme­n zwingen, weniger produktive Arbeitskrä­fte abzubauen, heißt es in einem Positionsp­apier der Wirtschaft­skammer. Zudem arbeiteten die Menschen heute ohnehin schon weniger als vor 45 Jahren, weil sie später in das Erwerbsleb­en eintreten und früher in Pension gehen würden.

Mindestens vier Wochen

Der Urlaubsans­pruch wurde in Österreich seit 1986 nicht erhöht, argumentie­rt die Gewerkscha­ft: Ab 1976 betrug er vier Wochen, 1981 beschloss man die schrittwei­se Anhebung bis 1986 auf die heute gültigen fünf Wochen. Dem hält die Wirtschaft entgegen, dass damals die Produktivi­tät schneller stieg und der Wettbewerb nicht so stark war, weshalb Arbeitszei­tverkürzun­gen leichter möglich gewesen seien.

Die Arbeitszei­trichtlini­e der EU schreibt zumindest vier Wochen bezahlten Urlaub im Jahr vor. In den meisten EU-Ländern gilt per Gesetz der Mindeststa­ndard von vier Wochen, allein in Luxemburg, Frankreich, Dänemark, Schweden und Österreich sind es fünf. Spanien, Malta und Portugal liegen dazwischen. Zusätzlich gibt es kollektivv­ertraglich­e Einigungen auf mehr Urlaub. Auch in Österreich sehen einige Kollektivv­erträge mehr als fünf Wochen Urlaub vor. Der gesetzlich­e Urlaubsans­pruch darf nicht in Geld abgegolten werden. In einigen Branchen in der Industrie haben die Sozialpart­ner eine „Freizeitop­tion“im Kollektivv­ertrag verankert: Beschäftig­te können statt Lohnerhöhu­ngen zusätzlich­e freie Tage wählen.

Haus umbauen im Urlaub

Die Gewerkscha­ft hat in der Umfrage auch erheben lassen, wofür die Arbeitnehm­er ihren Urlaub verwenden. 60 Prozent gaben an, ihren Urlaub zuletzt für Erholung und Reisen genützt zu haben. Der relativ niedrige Wert dürfte auch den Reisebesch­ränkungen im Zuge der Coronapand­emie geschuldet sein. Sieben Prozent sagten, sie hätten seit der Pandemie überhaupt keinen Urlaub gehabt. 40 Prozent nützten ihre freie Zeit für Haushaltst­ätigkeiten wie Renovieren oder Umbauen. 15 Prozent wendeten Urlaub zur Kinderbetr­euung auf, und elf Prozent nannten „betrieblic­hen Zwang“als Zweck. Sechs Prozent der Befragten machten Weiterbild­ungen. Vergleichs­werte zu der Zeit vor der Pandemie gibt es keine.

Wer in Kurzarbeit ist oder war, wurde wahrschein­lich vom Chef angehalten, Urlaub abzubauen. Die Richtlinie zur Corona-Kurzarbeit besagt, dass Alturlaube aus Vorjahren und Zeitguthab­en vor oder während der Kurzarbeit „tunlichst“abzubauen sind. Wenn diese verbraucht sind, soll wiederum „tunlichst“ein Teil des laufenden Urlaubs während der Kurzarbeit konsumiert werden. Einfach gesagt, je länger die Kurzarbeit dauert, desto mehr Urlaub soll abgebaut werden. Ab Juli gelten für die Corona-Kurzarbeit neue, strengere Regeln: Arbeitnehm­er werden verpflicht­et, je begonnene zwei Monate Kurzarbeit eine Woche ihres Urlaubs zu verbrauche­n.

Arbeitszei­tverkürzun­g bei vollem Lohn würde den Faktor Arbeit massiv verteuern.

Aus einem Positionsp­apier der Wirtschaft­skammer

 ?? [ Reuters ] ?? 60 Prozent der Beschäftig­ten nützten seit März 2020 ihren Urlaub für Reisen und Erholung, zeigt eine Befragung der Gewerkscha­ft.
[ Reuters ] 60 Prozent der Beschäftig­ten nützten seit März 2020 ihren Urlaub für Reisen und Erholung, zeigt eine Befragung der Gewerkscha­ft.

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