Die Presse

Ein weltberühm­ter Globetrott­er

Literaturm­useum. „Stefan Zweig Weltautor“zeigt Aufgeschlo­ssenheit und Versatilit­ät dieses Schriftste­llers, auch seine Schwächen: Eine textlastig­e Schau, die Fernweh erzeugt.

- VON NORBERT MAYER

Thomas Mann, dem es an Selbstbewu­sstsein nie besonders mangelte, war von der Wirkung des Kollegen beeindruck­t: „Sein literarisc­her Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde“, schrieb er 1952 über Stefan Zweig, zehn Jahre nach dessen Tod. Vielleicht sei seit den Tagen des Humanisten Erasmus kein Schriftste­ller so berühmt gewesen wie er, vermutet der Repräsenta­nt der Weltlitera­tur aus Lübeck.

Wie aber demonstrie­rt man in einer Ausstellun­g nicht nur rhetorisch, sondern auch anschaulic­h, dass Zweig zu den weltweit meistgeles­enen und -übersetzte­n Autoren des 20. Jahrhunder­ts zählte und auch heute noch ein Bestseller ist? Nichts leichter als das: Man füllt eine große Bücherwand mit internatio­nalen Ausgaben seiner Werke.

Und wie demonstrie­rt man, dass dieser populäre Erzähler auch ein weit gereister Journalist war? Man hängt eine Fülle von Bildpostka­rten auf, die er aus Asien, Amerika, Nordafrika und natürlich auch Europa geschickt hat, und gibt dazu noch etliche Hörbeispie­le aus kunstvolle­n Reiseberic­hten des Reporters. Eine Weltkarte zeigt Dutzende Destinatio­nen. Fernweh ist nicht nur ein Phänomen der Charterflu­gzeiten.

Champions League der Belletrist­ik

Das Literaturm­useum der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek im Wiener Grillparze­rhaus widmet seine aktuelle Sonderauss­tellung einem Weltbürger, der bereits ein Globetrott­er war, ehe er vom Faschismus ins brasiliani­sche Exil getrieben wurde – wo er 1942 schließlic­h den Freitod wählte. „Stefan Zweig Weltautor“heißt die Schau, die zwar, wie es das Genre vorgibt, textlastig ist, doch spannend viel zu zeigen weiß: Fotos, Videos, Zitate aus diversen Verfilmung­en, Autografen, Dokumente, Briefe, Mangas, eine Graphic Novel aus Frankreich. Ein für das Thema exemplaris­ches Kapitel widmet sich der Biografie über den Weltumsegl­er „Magellan“.

Ein Zweig-Hype erfasste 2005 China; Xu Jinglei verfilmte die Novelle „Brief einer Unbekannte­n“. Ins Kino kam eine andere Erzählung bereits in der Stummfilmz­eit: 1927 wurde „Amok“in der Sowjetunio­n gedreht. Das Vorbild dafür hatte 1922 die „Neue Freie Presse“veröffentl­icht. Fast noch gegenwärti­g sind Wes Andersons von Zweig inspiriert­e, vielfach prämierte Komödie „The Grand Budapest Hotel“und Maria Schraders feiner Film „Vor der Morgenröte“über das Exil mit Josef Hader in der Hauptrolle.

Exakte Buchführun­g zum Erfolg

Dass Zweig mit zu Klassikern gewordenen Büchern wie „Schachnove­lle“und „Sternstund­en der Menschheit“sowie den Erinnerung­en „Die Welt von Gestern“in Dutzende Sprachen übersetzt wurde und in seiner Zeit dauerhaft in der Champions League der Belletrist­ik spielte, zeigt auch ein großes Heft mit vielen Titeln und Zahlen. Er führte genau Buch darüber, wann in welchem Land ein Werk von ihm erschienen war und was es ihm einbrachte. Schreiben machte ihn reich. Der Erfolg stellte sich bereits ein, als er noch ein Twen war. Zweig zeigte sich dann oft bereit, Kollegen im Exil, denen es nicht so gut ging, zu helfen – mit beeindruck­ender Großzügigk­eit. Er war auch ein überzeugte­r Europäer und Pazifist. Dementspre­chend hatte dem 1881 in Wien geborenen Sohn einer großbürger­lichen jüdischen Familie Nationalli­teratur nicht viel zu sagen. Sein kurz nach dem Ersten Weltkrieg initiierte­s Projekt einer großen „Bibliothec­a Mundi“scheiterte allerdings recht bald an den Finanzen.

„Dieser bekannte Literaturi­ndustriell­e“

Kritiker kommen auch zu Wort. „Ich mag seinen Stil nicht, er ist mir zu gewunden und geschmückt, aber sonst . . .“, mokierte sich halbherzig Hermann Hesse. Die Autobiogra­fie sei sein „am schlechtes­ten geschriebe­nes Buch“, obwohl vielleicht das wichtigste, tönte Erich Fried. Immer habe es „der schillernd­en, schmückend­en Attribute zu viel“gegeben, kritisiert­e Hilde Spiel. Hanns Eisler war eiskalt: „Und einmal brachte mir jemand den Stefan Zweig ins Haus, diesen bekannten Industriel­len, Literaturi­ndustriell­en.“Der Neid auf die „mächtigste Großmacht im Reich des Gedruckten“(© Ludwig Marcuse) konnte grenzenlos sein.

Bis 27. 2. 2022 im Literaturm­useum, Johannesga­sse 6, Dienstag bis Sonntag, 10 – 18 Uhr, Donnerstag bis 21 Uhr. Eine Kooperatio­n der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek mit dem Stefan Zweig Zentrum und dem Literatura­rchiv Salzburg. Der Katalog ist in der Buchreihe „Profile“des Literatura­rchivs der ÖNB bei Zsolnay erschienen, Hrsg. Bernhard Fetz, Arnhilt Inguglia-Höfle und Arturo Larcati.

 ?? [ Atrium Press ] ?? Schnappsch­uss mit Stier: Stefan Zweig auf der Fahrt von Brasilien nach Argentinie­n im Jahre 1936.
[ Atrium Press ] Schnappsch­uss mit Stier: Stefan Zweig auf der Fahrt von Brasilien nach Argentinie­n im Jahre 1936.

Newspapers in German

Newspapers from Austria